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3800 Euro brutto für die Sozialarbeiterin in der Bahnhofsmission

Foto: Gabriele Riffert / Bearbeitung: jetzt

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Die Bahnhofsmission

Die Bahnhofsmission in München ist eine Anlaufstelle für alle Menschen, die irgendwie Hilfe brauchen. Über ein Ausgabefenster verteilen wir Margarine- und Schmalzbrote, Tee und Kaffee. Zu unserer Notversorgung gehören aber auch Hygieneartikel, Kleidung und andere Lebensmittel. Vor Corona hatten wir noch einen Aufenthaltsraum, in dem die Menschen sich mit Essen versorgen und sich aufwärmen konnten. Außerdem geben wir Beratungsgespräche, die man ganz unbürokratisch ohne Terminvereinbarung annehmen kann. Da wir im Bahnhof verortet sind, haben wir dort noch weitere Aufgaben. Wir bieten Umstiegshilfen für Menschen mit irgendeiner Form von Mobilitätseinschränkung an, das kann eine Person mit einer  Behinderung sein, ein älterer Mensch oder auch mal eine Familie mit kleinen Kindern und Gepäck. Außerdem haben wir ein Angebot für allein reisende Kinder, die von Ehrenamtlichen beim Zugfahren begleitet werden.

Die Zielgruppe

Zu uns kommen die Menschen, die sonst nicht so viele Anlaufstellen haben. Ein großer Teil davon sind obdachlose Menschen, die auf der Straße leben, oder wohnungslose Menschen, die kein eigenes Zuhause haben und in einer Notunterkunft leben. Das können aber auch Menschen sein, denen der Geldbeutel gestohlen wurde und die irgendwie nach Hause kommen müssen. Oder Frauen, die wegen häuslicher Gewalt mit ihren Kindern eine Notunterkunft suchen, die können nachts in unserem Frauenschutzraum unterkommen. Oder jemand, der Suizidgedanken hat und einfach mit jemandem sprechen möchte. Viele Menschen, die zu uns kommen, haben psychische Probleme. Wenn man noch keine Krankheitseinsicht hat oder keine klassische Behandlungsform möchte, stößt man relativ schnell an Grenzen im System. Wir sehen uns dann als eine Art Vermittlung. Wir fokussieren uns darauf, den ersten Druck rauszunehmen und dann an eine geeignetere Stelle weiterzuvermitteln. 

Der Arbeitsalltag

Wir arbeiten immer in Sechs-Stunden-Schichten. Die Frühschicht beginnt um 7 Uhr, die späteste Schicht geht bis 21:30 Uhr, auch an Wochenenden und Feiertagen. Am Anfang teilen wir die wichtigsten Aufgaben auf, die während der Schicht erledigt werden müssen. Im Schichtdienst machen alle alles. Als Festangestellte bin ich zwar schwerpunktmäßig für die Beratungsgespräche zuständig, aber ich schmiere auch mal Schmalzbrote, mache Umstiegshilfen, verteile Essen an unserem Ausgabefenster und schenke Kaffee aus. Das ist für uns Festangestellte wichtig, um weiterhin mit den Menschen in Kontakt zu sein, die regelmäßig zu uns kommen. Da ich in Vollzeit arbeite, bleibe ich nach der Schicht noch ein bisschen da und mache Büro-Arbeit, zum Beispiel die Schichteinteilung. Wir haben ungefähr 140 Ehrenamtliche, ohne die wir den Schichtbetrieb rund um die Uhr nicht aufrechterhalten könnten.

Wie man Sozialarbeiterin wird

Ich wollte einen Job, bei dem ich in Interaktion mit anderen Menschen bin und habe mich relativ schnell dazu entschlossen, soziale Arbeit zu studieren. Mit dem Studium kann man nicht nur in der Bahnhofsmission arbeiten, sondern auch in einer Schule, mit alten Menschen, mit Menschen mit Behinderung oder in der betrieblichen Sozialarbeit. Ich dachte mir, wenn ich das studiere, werde ich schon etwas Passendes finden. 

Mein Vater war von meiner Idee, Sozialarbeiterin zu werden, aber nicht so überzeugt. Er hat von einer Bekannten bei der Bahnhofsmission ein paar krasse Geschichten gehört, die sie dort wohl erlebt hat. Deshalb dachte er, er kann mich mit einem Praktikum noch abschrecken. Stattdessen habe ich total Feuer gefangen. Während meines Studiums habe ich ehrenamtlich in der Bahnhofsmission weiter gearbeitet und als ich fertig war, bin ich gleich in die Festanstellung gewechselt. 

Das Schöne an dem Job

Der Job ist so unmittelbar. Wenn jemand durchgefroren ist, einen Kaffee von mir kriegt und wir ein paar Worte wechseln, dann freut sich mein Gegenüber direkt. Natürlich kann man nicht immer Dankbarkeit erwarten. Es gibt immer wieder Menschen, die sich total freuen, aber es gibt auch Menschen, die das aus irgendwelchen Gründen nicht zeigen können oder wollen. Das ändert nichts daran, dass ich versuche, meinen Job immer gut zu machen. Ich biete ja gewissermaßen eine Dienstleistung an und werde als Festangestellte von der Stadt dafür bezahlt. Für die Menschen, die zu uns kommen, ist es sowieso schon schwierig, diesen Schritt zu wagen und sich Hilfe zu holen. 

Die Herausforderungen

Dadurch dass wir existenzielle Notversorgung mit Essen und Hygieneartikeln anbieten, sind die Themen, die bei uns aufschlagen, auch sehr Existenzielle. Da haben Menschen einfach Hunger. Wenn einem das nicht ans Herz geht, dann ist man glaube ich kein guter Sozialarbeiter. Man muss das Herz offen halten, damit man nicht abstumpft und in eine Routine verfällt, die den Job zu einem reinen Abarbeiten von Fällen macht. Wenn jemand einen Job versprochen bekommen hat und sein letztes Geld dafür ausgegeben hat, nach München zu kommen, jetzt ohne alles dasteht, die Sprache nicht versteht, Angst hat und sich einsam fühlt, dann habe ich das zwar schon oft gehört, aber für den Menschen ist das trotzdem eine absolute Katastrophe. Es ist ein schmaler Grat zwischen Empathie und professioneller Distanz.

Die Herausforderungen des Corona-Winters

Dieses Jahr sind unsere Kontaktzahlen jeden Monat doppelt so hoch wie 2019. Im ersten Lockdown haben ganz viele Einrichtungen dicht gemacht. Das hat natürlich viel mehr Leute zu uns gebracht, die auf Notversorgung angewiesen sind. Mittlerweile zeigt sich auch einfach, dass mehr Menschen hilfsbedürftig geworden sind. Viele Leute sind seit fast einem Jahr in Kurzarbeit und irgendwann reichen Kurzarbeitergeld und Rücklagen nicht mehr für die Familie aus. Viele Menschen mussten ihren Stolz hinter sich lassen und eine soziale Einrichtung aufsuchen. 

Seit Corona gibt es natürlich auch weniger Aufenthaltsmöglichkeiten. Die Menschen, die jetzt im Winter draußen schlafen müssen und was zum Aufwärmen brauchen, aber auch die, die sich in Notunterkünften mit drei anderen Menschen ein Zimmer teilen müssen, haben nicht mehr viele Anlaufstellen. Es ist sehr schwierig, wenn man den Leuten was zu essen oder einen Kaffee gibt und weiß, die müssen gleich wieder raus oder schnell in der zugigen Bahnhofshalle ihren Kaffee runterkippen.

Der typische Spruch auf der Party

Wenn ich erzähle, wo ich arbeite, höre ich eigentlich immer: „Boah krass, das könnte ich nicht.“ Wenn man im Alltag keine Berührung mit Menschen hat, denen es nicht gut geht, gibt es einfach Vorurteile, vor allem gegenüber wohnungslosen Menschen. 

In der Bahnhofsmission hat man alle möglichen unterschiedlichen Menschen geballt auf einem Fleck, die nicht der sogenannten Norm entsprechen. Wenn man aber in der Münchner Innenstadt unterwegs ist, bekommt man davon nicht viel mit. Ich fände es schön, wenn es diese Trennung nicht gäbe. Es wäre wichtig, vor allem für junge Menschen, zu sehen: Es geht nicht allen gleich gut. Es gibt unterschiedliche Menschen, die unterschiedlich leben und da sollte man keine Wertungen vornehmen.

Was ich oft gefragt werde, ist: „Hat der Obdachlose wirklich keine andere Wahl, als auf der Straße zu leben?“ oder „Wollen die Empfänger von Arbeitslosengeld II vielleicht einfach nicht arbeiten?“ Ich sage dann immer: Jede Situation ist einzigartig und man kann und darf nicht in Schubladen denken. Das ist zwar super anstrengend, aber sonst läuft man immer Gefahr, jemandem Unrecht zu tun. 

Das Gehalt

Ich werde nach Caritas-Tarifvertrag bezahlt. Da wird nach bestimmten Intervallen hochgestuft. Ich bin in Vollzeit und seit fünf Jahren bei der Bahnhofsmission, deshalb verdiene ich aktuell 3800 Euro brutto.

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