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Jobkolumne: Wie viel verdient ein Stuntman?
Paul begibt sich Woche für Woche freiwillig in (lebens-)gefährliche Situationen. Seit mittlerweile vier Jahren arbeitet er selbstständig als Stuntman. Hier erzählt er von extremen Stunts und wie er ohne klassische Ausbildung zu seinem Beruf gekommen ist.
Was ich als Stuntman mache
„Als Stuntman macht man das, was keiner von den Schauspieler:innen machen kann und will: Das ‚Gefährliche‘. Zum Beispiel einen Autounfall verursachen, oder sich von einer Klippe runter stürzen.“
Wie ich zu dem Job gekommen bin
„Ich komme aus einer Künstlerfamilie: Meine Großmutter hatte eine Ballettschule, meine Mutter war Tänzerin. Dadurch habe ich schon früh mitbekommen, wie es hinter den Kulissen des Showgeschäfts aussieht. Als ich die Filme mit Buster Keaton, Bud Spencer und Terrence Hill und Dick und Doof gesehen habe, war ich von den riskanten Stunts begeistert. Ich wusste damals noch nicht, was das ist, aber mir war klar: Das will ich machen. Als Kind und Jugendlicher war ich Kunstturner. Dabei bin ich manchmal absichtlich irgendwo runtergefallen, um zu schauen, was passiert. Mit 17 Jahren habe ich in Kopenhagen einen Basis-Workshop gemacht, bei dem man gelernt hat, wie man fällt und kameratauglich kämpft. Naiv, wie ich war, dachte ich: Jetzt geht’s los. Aber natürlich war das nicht so einfach. Ich bin in vielen Stunt- und Parkourshows aufgetreten. Dort konnte ich auch Neues lernen, zum Beispiel Reiten. Das war keine klassische Ausbildung. Es gibt Stuntschulen, die allerdings sehr kostspielig sind. Ich habe stattdessen eine Tischlerlehre und eine Skilehrerausbildung gemacht. Das war meiner Mutter sehr wichtig. Seit 2019 bin ich selbstständiger Stuntman.“
Wie der Tagesablauf an einem Drehtag aussieht
„Meist stretcht man sich kurz und fährt dann zum Filmset. Wenn ich für ein bestimmtes Manöver gebucht worden bin, muss ich das meist aus dem Stand abliefern können. Bei der Serie ‚Die Bergretter‘ sollte ich aus einem Helikopter ins Wasser springen. Mit dem Piloten habe ich ein paar Flüge gemacht, um die Höhe zu checken. Bei dem Sprung versuche ich, mich auf das zu konzentrieren, was ich beeinflussen kann: den Absprung und den Körper. Alles, was ich nicht beeinflussen kann – den Helikopter oder den Wind – versuche ich auszublenden. Ich gehe die Situation Tausend Mal im Kopf durch, habe aber keinen Mentaltrainer, mit dem ich darüber spreche.
Hinzu kommt, dass man während des Stunts ja immer schauspielt. Zum Beispiel rudert man mit den Armen oder passt seine Gesten an die des Schauspielers an. Es ist ein wunderbares Gefühl, nach einem krassen Stunt von der gesamten Crew Applaus zu bekommen, dafür wertgeschätzt und ein bisschen bewundert zu werden. Gerade nach sehr langen Drehtagen oder -nächten bin ich aber froh, ins Hotel zurückzukommen.“
Stunts, vor denen ich am meisten Respekt hatte
„Ich musste mal von einem Wasserfall herunterspringen, da ging es 15 Meter in die Tiefe. Im Rückwärtssalto sollte ich ins Wasser fallen. Ein anderes Mal bin ich als Nikolaus verkleidet am Kamm eines Berges entlangbalanciert. Links und rechts ging es mehrere Hunderte Meter steil nach unten. Da fragt man sich schon, wie man das schaffen soll. Ich vertraue dann auf meine Erfahrung und mache das Beste draus.“
Wie ich irgendwo herunterfalle, ohne mich zu verletzen
„Wenn es schmerzhaft aussieht, ist es das oft auch. Im Kostüm kann man Stürze mit Protektoren abfedern. Aber wenn ich 50 Steintreppen in einer Grotte runterfalle, dann habe ich eben Prellungen. Ich habe früher Judo gemacht und kenne einige Techniken, wie man leichter fällt. Aber im Film muss es natürlich halsbrecherisch aussehen. Lieber fällt man einmal gescheit und dann passt es beim ersten Mal. Wenn nicht, muss du den Sturz zehn Mal wiederholen. Dann kann es wirklich schmerzhaft werden. Wenn du dich verletzt, greift zwar die Stunt-Haft-und-Unfallversicherung. Die muss man haben, wenn man Stuntman ist. Trotzdem bist du als selbstständiger Stuntman auf Geld, das du an Drehtagen verdienst, angewiesen. Denn von dem Geld der Versicherung kann man nicht leben.
Im vergangenen Jahr habe ich mich verletzt und habe trotzdem noch mehrere Tage weitergedreht. Wenn man sich verletzt, ist man oft dazu gezwungen, trotzdem weiter zu drehen – sofern es natürlich geht. In meinem Beruf geht man anders mit Schmerz um. Man beißt die Zähne zusammen und nimmt noch eine zusätzliche Schmerztablette.
Wenn man viel mit dem Körper macht, ist irgendwann der Deckel zu. Wenn man älter wird, macht man die ‚harten‘ Stunts meist nicht mehr, sondern macht andere Sachen, die weniger anstrengend sind, zum Beispiel Stunt Koordinator. Ich kenne aber auch einige, die bis ins hohe Alter als Stuntman weiterarbeiten.“
Wie ich für Stunts trainiere
„Ich mache viel Krafttraining – denn die Muskeln sind die erste Schutzschicht. Da ich oft hart auf dem Boden aufkomme, trainiere ich die Hals – und Nackenmuskulatur viel. Außerdem turne ich und mache Parkour. Um auf Sprung-Stunts, sogenannte ‚High Falls‘, vorbereitet zu sein, springe ich auch Trampolin – damit sich mein Gehirn an die Abläufe gewöhnt. Und ich habe verschiedene Motorräder, mit denen ich Stürze trainieren kann.“
Was der Job mit dem Privatleben macht
„Ich bin viel unterwegs. Denn wenn ich zuhause bin, mache ich kein Geld. Oft ist Sonntag der Anreisetag und ich muss schon nachmittags los. Ich hatte mal eine Produktion auf Malta – da war ich zwei Monate gar nicht zu Hause. Beziehungen zu pflegen ist da schwierig. Man versucht aber, die wenige Zeit, die man zusammen hat, zu genießen.
Im vergangenen Jahr bin ich Vater geworden. Ein mögliches Engagement, das zu der Zeit reinkam, habe ich dankend abgelehnt. Als meine Partnerin zuvor hochschwanger war, habe ich darauf geachtet, Drehs in der Nähe anzunehmen. In den Wintermonaten bin ich dafür mehr zu Hause, weil es da sowieso kaum Aufträge gibt. Da heißt es dann: klug wirtschaften. Wenn meine Partnerin und ich beruflich das gleiche machen würden, wäre es mit einer Familie wahrscheinlich schwierig geworden.“
Welche Fragen ich auf Partys gestellt bekomme
„Wie oft brichst du dir was? Würdest du gerne nach Hollywood? Natürlich will man das. Mich enttäuscht diese Frage, weil sich die meisten oft nicht für meine aktuellen Projekte interessieren. Es gab Zeiten, da wollte ich deshalb gar nicht mehr erzählen, was ich mache. Denn wenn man sagt, man ist Stuntman, denken die meisten, man ist ein Übermensch. Aber das bin ich nicht.“
Welche Eigenschaften ich für den Job brauche
„Am wichtigsten ist die Selbsteinschätzung. Man beurteilt die Gefahren, stellt sich darauf ein und ist ehrlich, wenn man etwas nicht kann. Auf keinen Fall begibt man sich unwissentlich in Gefahr und probiert einfach mal was aus, ohne es vorher geübt zu haben.
Körperliche Fitness und mentale Stärke sind sehr wichtig. Oftmals arbeitet man als Stuntman unter widrigen Umständen: In Hamburg musste ich mal nachts im Winter bei fünf Grad Wassertemperatur ins Hafenbecken springen und so tun, als ob ich ertrunken wäre. Für eine andere Szene musste ich angezündet werden. Dafür braucht man Körperbeherrschung. Ich weiß, ich darf nicht vor Schreck oder aus Reflex den Mund aufmachen, sonst verbrenne ich mir die Lunge. Einmal hing ich im zweiten Stock an einem Fensterbrett und musste auf eine Matte ein Stockwerk weiter unten springen. Beim Sprung hatte ich zu viel Schwung und wäre fast runtergefallen, wenn mich ein Kollege nicht festgehalten hätte. Da denkt man sich schon, puh, das hätte auch schiefgehen können. Aber man macht es trotzdem wieder. Wenn man Höhenangst oder Klaustrophobie hat, wird das nichts. Angstfrei sollte man aber auch nicht sein, denn die Angst beschützt einen.“
Vorstellung vs. Realität
„Die Vorstellung vieler Menschen ist, man würde jeden Tag wie ein Rockstar leben. Aber die Realität ist: Auch ein Stuntman muss ‚langweilige‘ Sachen wie Buchhaltung machen.“
Wie viel ich verdiene
„Monatlich gesehen ist das schwer zu sagen. Ist ein Jahr gut, habe ich mehr als 100 Drehtage. Die Tagesgagen liegen bei etwa 1000 Euro Brutto. Wenn man besonders gefährliche Stunts macht, bekommt man noch eine Gefahrenzulage zwischen 100 und 1000 Euro dazu.“
Ob Stunts durch Spezialeffekte überflüssig werden
„Ich mache mir keine großen Sorgen. Visual Effects sind ja nichts neues: Bei Marvel spielt der Schauspieler eigentlich vor einer grünen Leinwand. Wie alle Branchen wandelt sich der Film nicht von heute auf morgen. In ein paar Jahren kann das schon anders aussehen. Aber ich glaube, es wird immer Produktionen geben, die echte Action in ihren Filmen haben wollen. Und ich bin ja zum Glück auch noch gelernter Tischler.“