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1199 Euro brutto pro Hochzeit für die Traurednerin

Ob sie ihren Job als Traurednerin irgendwann in Vollzeit machen möchte, weiß Alisa noch nicht. Vorstellen könnte sie es sich aber schon.
Foto: Privat/Bearbeitung: SZ Jetzt

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Alisa arbeitet hauptberuflich in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Durch ihre eigene Hochzeit kam sie auf die Idee, zusätzlich Traurednerin zu werden. Inzwischen traut sie durchschnittlich 15 Paare pro Jahr in freien Trauungen – und bildet angehende Trauredner:innen in Coachings aus. 

Vorstellung vs. Realität

„Ich hatte früher keine Ahnung, was ein Trauredner genau macht. Ich dachte nur, dass sie kreative Reden auf Hochzeiten halten. In Realität steckt viel mehr Organisation dahinter, als ich erwartet hatte. Trauredner sind quasi Dirigenten. Bei einer Hochzeit koordiniere ich den gesamten Ablauf der freien Trauung. Ich bin dafür verantwortlich, dass am Ende alles so abläuft, wie das Paar es sich wünscht.“  

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

„Wie die meisten Trauredner für freie Trauungen mache auch ich diesen Job in Teilzeit. Ich arbeite vier Tage die Woche bis 15 Uhr als Sozialarbeiterin in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Danach kümmere ich mich um alles, was als Traurednerin anfällt. Ich antworte auf Anfragen, gebe Coachings, plane, schreibe oder treffe mich mit Paaren zu einem der drei Vorgespräche.

Das erste Gespräch ist ein Kennenlernen: Wir schauen, ob die Chemie zwischen uns stimmt und tauschen uns kurz aus. Im zweiten Treffen erzählen sie mir detailliert ihre Liebesgeschichte vom Kennenlernen über Meilensteine, ihren Alltag, den Antrag bis hin zu Wünschen ans Eheleben. Von dem Gespräch erstelle ich ein Protokoll, das ich an die Paare zur Abnahme sende. Nicht, dass etwas Bedeutendes fehlt, ich etwas falsch verstanden habe oder sie etwas von dem Gesagten doch nicht in der Traurede hören möchten. Kaum ein Paar möchte die gesamte Rede im Voraus lesen. Aber durch das Protokoll haben sie schon mal einen guten Überblick darüber, was gesagt werden könnte und sie könnten nochmal intervenieren. Im letzten Treffen machen wir die finale Planung und gehen den Tag in kleinen Schritten durch: Welche Musik wird wann gespielt? Wie läuft der Einzug ab? Welche Rituale sollen bei der Trauung dabei sein? Im Nachgang fasse ich den Ablaufplan, die Lieder und die Rede in einem Dokument zusammen, an dem ich mich während der Trauung entlanghangle.

Während der Zeremonie stehe ich vorne beim Brautpaar. Ich führe sie und die Gäste Schritt für Schritt durch die gesamte Trauung und sage ihnen genau, was sie wann zu tun haben, wann sie sich an der Hand nehmen, zueinander drehen, ihre Eheversprechen vortragen oder sich küssen dürfen.

Die Rede wird am Ende so, wie das Paar ist. Sie soll sie widerspiegeln. Nach der Trauung bleibe ich für den Sektempfang vor Ort, um zu gratulieren und zu hören, ob das Paar glücklich mit meiner Arbeit war. Danach gehe ich nach Hause – sonst wäre ich jedes Wochenende auf einer Hochzeit.“  

Wie der Job mein Privatleben beeinflusst

„Mein Job lässt sich gut mit meinem Privatleben vereinbaren, weil die Trauungen  keinen ganzen Tag füllen und ich mittlerweile fast nur Anfragen annehme, die im Radius von einer Stunde von mir entfernt stattfinden. Freunde von mir habe ich bislang noch nicht getraut. Wenn das jemand unbedingt möchte, würde ich es schon machen. Aber es ist auch mal schön, einfach nur als Gast auf Hochzeiten zu sein, ohne alles zu organisieren.“  

Welche Eigenschaften man für den Job braucht

„Man muss sich auf ganz unterschiedliche Menschen einstellen können. Ich habe  mit den verschiedensten Persönlichkeiten, Paaren, Geschichten und Geschmäckern zu tun. Am Ende bekomme ich nur Aufträge, wenn ich mit allen von ihnen klarkomme. Man muss anpassungsfähig, kreativ und empathisch sein und gut zuhören können. Außerdem sollte man sehr organisiert sein.“

Fragen, die ich auf Partys gestellt bekomme

„Die meisten Leute sind sehr interessiert an meinem Job und fragen mich, wie ich mich das trauen kann. Sie würden diese Verantwortung nicht tragen wollen, denn für viele Paare ist die Hochzeit der wichtigste Tag in ihrem Leben. Es gibt keine zweite Chance, wenn etwas schiefläuft. Genau diese Gedanken hatte ich am Anfang auch, aber da muss man einfach durch. Mit der Zeit wird es besser, man wird sicherer und selbstbewusster. Meine Kunden sind zum Glück sehr zufrieden mit meiner Arbeit, ich bekomme fast ausschließlich gutes Feedback.“  

Welche Trauung am außergewöhnlichsten war

„Mein verrücktester Job war vermutlich der, als ich als Traurednerin bei der TV-Sendung ‚Save the Date‘ war. Dabei lernen sich Singles kennen und haben 50 Tage Zeit, um zu überlegen, ob sie heiraten möchten. Das mir zugewiesene Paar hat sich schließlich doch entschlossen, nicht zu heiraten. Das kam bei regulären Trauungen von mir noch nie vor: Ein anderes Paar hatte sich noch vor der geplanten Hochzeit getrennt, aber ansonsten haben alle immer ‚Ja‘ zueinander gesagt.“  

Was mir am Job besonders gefällt – und was nicht

„Ich verbringe meine Zeit bei der Arbeit mit der schönsten Sache der Welt: Liebe. Die Paare öffnen sich mir gegenüber sehr und erzählen manchmal Dinge, die nicht einmal ihre eigenen Eltern wussten. Ich merke richtig, wie sie sich in diesen Momenten neu ineinander verlieben. Teil davon zu sein, ist wunderschön. Ich hatte noch nie ein schlechtes Bauchgefühl bezüglich der Ehe von zwei Menschen, die sich von mir trauen lassen wollten. Jede Beziehung ist anders, aber ich hatte bisher immer das Gefühl, dass die Paare sich sicher miteinander sind – auch wenn es nur für den Moment ist. Was in der Zukunft mal sein wird, weiß natürlich keiner.  

Was ich bei Trauungen nicht mag, sind äußere Bedingungen, auf die ich keinen Einfluss nehmen kann. Bei einer Zeremonie hat es zum Beispiel extrem angefangen zu regnen, einmal ist mir permanent eine Wespe ins Gesicht geflogen und ein anderes Mal war es so heiß, dass ich danach einen Sonnenstich bekommen habe. Es gab schon Technikprobleme oder die Umgebung war extrem laut wegen eines Konzerts im angrenzenden Park oder schreienden Babys. Trotz allem muss ich konzentriert bleiben und die Stimmung aufrechterhalten. Ich war mittlerweile auf etwa 140 Hochzeiten und habe viel Erfahrung gesammelt. Ich habe also keine große Angst mehr, etwas grundlegend falsch zu machen. Aber der Respekt bleibt.“  

Wie ich zu meinem Job gekommen bin

„Früher dachte ich, ich werde niemals heiraten. Doch vor zehn Jahren habe ich meinen Mann kennengelernt und meine Einstellung dazu hat sich verändert. Eine traditionelle Hochzeit wollte ich aber nicht. Also habe ich mich nach Alternativen umgesehen und bin auf freie Trauungen gestoßen. Mein Mann meinte, dass der Job etwas für mich wäre, weil ich empathisch und kreativ bin. Zuerst hatte ich Zweifel. 2018 habe ich mich aber dazu entschlossen, es anzugehen. Ich habe an einem achtstündigen Coaching teilgenommen – bei der Frau, die meinen Mann und mich zwei Jahre später frei getraut hat – und habe in eine Webseite, Google Ads und Equipment investiert. Schon am zweiten Tag, nachdem die Webseite online war, bekam ich die erste Anfrage.“  

Wie viel ich als Traurednerin verdiene

„Pro Trauung verlange ich inzwischen 1199 Euro. Die Anzahlung bekomme ich direkt bei Vertragsschluss, die Abschlusszahlung erst nach der Hochzeit. Mit dem Preis liege ich noch im unteren Durchschnitt. In der Regel berechnen Trauredner zwischen 800 und 3000 Euro. Mittlerweile mache ich 15 Trauungen im Jahr und komme damit auf knapp 18 000 Euro brutto im Jahr. Außerdem biete ich seit 2020 Einzelcoachings für angehende Trauredner an. Vor Ort verlange ich für ein Coaching 850 Euro, online 750 Euro brutto. Ich könnte mir auch vorstellen, den Job Vollzeit zu machen. Damit sich das lohnt, müsste ich aber alle Aufträge nehmen, die reinkommen. Das wäre ein großer Schritt.“  

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