Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

3900 brutto für die Intensivpflegerin

Chiara macht besonders gerne Nachtschichten, weil es dann ruhiger zugeht.
Foto: privat, Bearbeitung: SZ jetzt

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Der Weg auf die Intensivstation 

Ich wollte nicht schon immer Krankenschwester werden, sondern bin da eher reingerutscht. Nach dem Abitur habe ich ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Rehaklinik gemacht. Dort wurde ich auch in der Pflege eingesetzt. Weil mir das so gut gefallen hat, habe ich mich für die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin beworben. Während der Grundausbildung durchläuft man unterschiedliche Stationen, von der Chirurgie bis zum Altersheim.

Als ich mich dann für eine Station entscheiden durfte, wählte ich die Intensivstation. Im Anschluss daran hat mich die Station gefragt, ob ich nach der Ausbildung direkt dort arbeiten möchte. Früher musste man noch zuvor zwei Jahre auf der normalen Station arbeiten, um auf der Intensivstation anfangen zu können. Mittlerweile werden wegen des Pflegenotstands aber auch Leute eingestellt, die frisch aus der Ausbildung kommen – so war es bei mir auch. Aktuell mache ich zudem meine Fachweiterbildung hier, die dauert zwei Jahre. Dabei lerne ich viel Theoretisches über Beatmung, verschiedene Krankheiten und die Medikation auf der Intensivstation. 

Vorstellung vs. Realität 

Früher habe ich den Beruf ein wenig romantisiert. Nach dem Motto: „Irgendwie den Menschen helfen.“ Natürlich helfen wir viel, doch Menschen auf diesem Weg zu unterstützen ist tough. Auch wenn man vorher schon von der Belastung weiß, ist es etwas anderes, sie tatsächlich zu erleben. Dennoch ist der Job wunderschön. Es ist besonders, die Menschen so zu begleiten, manchmal bis zu ihrem letzten Atemzug. Das hat mich schon immer fasziniert. Früher wollte ich Bestatterin werden. Doch die Gesundheits- und Krankenpflege bietet mir mehr Weiterbildungsmöglichkeiten, das hat mich überzeugt. 

Wie der Arbeitsalltag aussieht

Einen regelmäßigen Alltag gibt es bei mir nicht, das fängt schon beim Wecker an. Da ich in drei Schichten arbeite, klingelt der immer zu einer anderen Zeit. Wenn ich Frühdienst habe, startet mein Tag um 4.30 Uhr. Ich muss vor der Arbeit noch mit meinem Hund raus und um sechs Uhr stehe ich umgezogen auf der Station. Obwohl wir immer eine Übergabe machen, weiß ich nie, was der Tag bringt. Mir werden zwei bis vier Patient:innen zugeteilt, um die ich mich kümmere.

Morgens werden die Verbände gewechselt, es finden die Visite und auch die meisten Untersuchungen statt. Zusätzlich kommen aber immer spontan OPs und Notfälle rein. Am frühen Nachmittag ist Feierabend. Der Spätdienst hingegen startet um 13 Uhr und geht bis 20.30 Uhr. Kurz davor beginnt der Nachtdienst seine Schicht, die zieht sich bis um 6.30 Uhr morgens. Die Aufgaben während der Dienste sind immer ähnlich, nur im Nachtdienst rennen weniger Menschen und Ärzt:innen auf der Station herum, da kann man sich super um die Patient:innen kümmern. Ich mache daher total gerne Nachtdienste, weil man mehr Ruhe hat.  

Was sich durch die Pandemie verändert hat

Den größten Unterschied sehe ich bei meinen Kolleg:innen. In der Zeit haben viele Leute gekündigt und es sind weniger nachgekommen als aufgehört haben. Seitdem ist die Dynamik im Team eine ganz andere. Vor der Pandemie war es normal, sechs Leute pro Dienst zu haben. Jetzt sind manchmal nur drei Pfleger:innen da. Das kann man natürlich nicht kompensieren, dann müssen Betten gesperrt werden.

Besonders pflegeintensiv sind Patient:innen, die beatmet werden müssen. Auf unserer Station ist das häufig der Fall. Wenn wir allerdings unterbesetzt sind, muss manchmal eine Pflegekraft bis zu vier Menschen gleichzeitig betreuen. Da fällt es schwer, allen gerecht zu werden. Im schlimmsten Fall kommt noch eine akute Blutung dazu. Dann kann man nur hoffen, dass es den anderen Patient:innen in der Zeit gut geht.

An sich bin ich froh, dass wieder Normalität einkehrt. Was aber noch auffällt, ist das „Corona-Denken“: Die Patient:innen sind vorsichtiger und fragen immer wieder nach, ob sie überhaupt Besuch empfangen dürfen. Ich habe auch das Gefühl, dass sie uns gegenüber ein bisschen dankbarer sind. Dennoch gibt es nach wie vor Leute, die sich respektlos und übergriffig verhalten: Männer, die einen „Mäuschen“ nennen oder an die falsche Stelle fassen wollen.  

Was mich motiviert  

Das Schönste an meinem Job ist, wenn man einen Menschen aus dem Bett wieder ins Leben bekommt. Auf dem Weg dahin bringe ich die Leute unheimlich gerne zum Lachen und lerne die Person kennen, die da vor mir liegt. Oft sind das gebrechliche alte Frauen und Männer, die in ihrem Leben schon krasse Sachen erlebt haben. 

Welche Eigenschaften man für den Job braucht 

Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon in ein Zimmer reingekommen bin und der Patient hing über seinem Bett, hat sich alle Zugänge rausgezogen und war überall mit Stuhlgang verschmiert. In solchen Situationen ist es am besten, wenn alle gemeinsam drüber lachen können. Da heißt es dann Nase und Mund zu und durch. Natürlich empfindet man Ekel. Aber irgendwie wächst man da rein. Genauso wichtig wie Humor und eine hohe Toleranzschwelle sind Geduld und Empathie. Für uns ist das ein Patient, der da verstirbt – aber für die Angehörigen ist es der Opa oder der Bruder. 

Die Frage, die auf Partys immer gestellt wird 

Ich höre super oft das klassische: „Oh, das könnte ich ja nicht!“ Und wenn dann noch rauskommt, dass ich auf der Intensivstation arbeite, wird nach blutigen Horror-Stories gefragt. Meistens antworte ich auf beides nicht. Was soll ich da auch zu sagen? Ich glaube, dass niemand auf den Job tatsächlich vorbereitet ist –auch nicht nach der Ausbildung. Ich wurde auch schon mehrmals gefragt, ob man als Krankenschwester genauso viel Sex mit den Ärzten hat wie bei Grey's Anatomy. Noch schlimmer finde ich aber Sprüche wie: „Von dir würde ich mich auch gerne mal pflegen lassen.“ Das ist einfach zu viel. Ich verlasse solche Gespräche. 

Was der Job mit dem Privatleben macht 

Durch meinen Beruf bin ich auch eine Anlaufstelle für meine Freund:innen geworden: Wenn sich mal jemand verletzt, werde ich gefragt, welche Tabletten oder Salben gut wären. Das ist manchmal schon ganz lustig, weil man das über das Handy überhaupt nicht beurteilen kann. Ich kann außerdem nicht aufzählen, auf wie vielen Geburtstagen ich nicht war, weil ich Nachtdienst hatte. Ich verpasse so viel, das habe ich vorher unterschätzt. Besonders hart ist es für mich an Weihnachten und Silvester. Der Gedanke, irgendwann in der Zukunft ein Weihnachten wegen meines Jobs nicht mit meinen Kindern feiern zu können, fällt mir schwer.

So gerne ich meinen Job mag, ich werde ihn nicht bis zur Rente ausüben können, dafür ist es körperlich und psychisch zu belastend. Durch meine Fachweiterbildung habe ich allerdings die Option, in der Anästhesie zu arbeiten. Dort gibt es geregelte Arbeitszeiten und freie Wochenenden. Das könnte ich mir als familienfreundliche Alternative vorstellen. Bis dahin bin ich auf der Intensivstation glücklich.

Das verdient man als Intensivpfleger:in 

Mit den Schichtzulagen verdiene ich monatlich 3900 Euro brutto. Das geht nach einem Stufenmodell und richtet sich danach, wie lange man schon im Krankenhaus arbeitet. Wenn ich die Fachweiterbildung nächstes Jahr abgeschlossen habe, kommen noch etwa 100 Euro netto dazu. Ursprünglich hatte ich mir da mehr erhofft.  

Wenn ich sehe, was man woanders verdienen kann, fände ich es mehr als angebracht, das Gehalt aufzustocken. Ehemalige Kolleg:innen haben das Krankenhaus bereits für eine besser bezahlte Stelle verlassen. Ein höheres Gehalt könnte das verhindern und den Beruf für andere interessanter machen. Das wäre wichtig, schließlich brauchen wir dringend Nachwuchs.

  • teilen
  • schließen