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Ein Gespräch mit dem Dealer Paul aus München
Paul heißt natürlich anders. Was er tut, ist illegal. Er verkauft seit mehr als zehn Jahren Cannabis. Wir haben uns mit ihm lange über das Dealen in München unterhalten. Über seine Kunden, über seine Lieferanten. Und über Vertrauen in einer Branche, in der es wenig Vertrauen geben kann.
Aus verständlichen Gründen kann er viele Details nicht preisgeben, ohne zu viel von sich zu erkennen zu geben.
Deshalb haben wir zusätzlich beim Leiter des Drogenderzernats bei der Münchner Polizei nachgefragt, wie aktiv die Dealer-Szene in München ist: Wie viel wird im Jahr sichergestellt? Was passiert mit Menschen, die erwischt werden? Ist die Konzentration an THC, dem Wirkstoff im Cannabis wirklich so stark angestiegen, wie alle behaupten. Die Informationen sind kursiv gedruckt.
Wie wird man denn Dealer? Wie hast du angefangen?
Klein. Ich habe bei einem Kumpel, der etwas mehr gemacht hat, hin und wieder 50 bis 100 Gramm geholt. Davon habe ich Freunden was abgegeben und damit meinen eigenen Bedarf finanziert. Noch ohne finanziellen Gewinn also. So bin ich da reingekommen. Und dann wurde es stetig mehr.
Wie?
Indem ich Menschen kennengelernt habe, die etwas mehr besorgen konnten.
Wo lernt man die kennen?
Immer durch Kontakte – aus dem Freundeskreis, aus dem Sportverein, aus der Uni.
Wie viel verkaufst du jetzt?
Es schwankt. Aber schon ein paar Kilo im Jahr.
Wie viel in München insgesamt mit Cannabis gehandelt wird, lässt sich nicht sagen. Ein Anhaltspunkt ist höchstens die Menge an Drogen, die die Polizei sicherstellt. Auch die sichergestellte Menge hat aber nur bedingte Aussagekraft, sagt Markus Karpfinger, Leiter des Münchner Drogenderzernats bei der Polizei: „Betäubungsmittelkriminalität hat ein hohes Dunkelfeld. Sichergestellte Mengen lassen keine Rückschlüsse darauf zu, wie viel Ware im Umlauf ist. Wir hatten schon Jahre, in denen wir mehr als 100 Kilogramm in München sichergestellt haben. Manchmal, zum Beispiel 2014, sind es auch nur ca. 20 Kilogramm. Die Zahl schwankt, und ist auch stark von Zufällen abhängig.“ Auf eine Zahl kann Karpfinger noch verweisen: Laut Polizeilicher Kriminalstatistik wurden in München im Jahr 2013 insgesamt 503 Verfahren bezüglich Handel und Schmuggel mit Cannabis erfasst.
Über was für eine Marge reden wir da?
Das ist wie beim ganz normalen Handel: Es hängt sehr davon ab, in welchen Einheiten ich einkaufe. Im Schnitt aber wohl irgendwas zwischen 20 und 30 Prozent.
Wie transportierst du das, wenn du es abholst?
Immer anders. Mal zu Fuß, mal auf dem Rad. Manchmal auch im Auto oder Taxi. Selten zweimal hintereinander auf demselben Weg. Von da, wo ich es kaufe, bis zu den Orten, an denen ich es lagere, ist es aber nie weit.
Wo und wie lagert man so viel Gras?
(lacht) Soll ich dir jetzt die Adressen sagen? Auf jeden Fall nicht an einem Ort, sondern verteilt. In Einheiten, die so klein sind, dass man keine ganz ernsthaften Probleme bekommt, falls doch mal was schiefgeht.
Strafbar ist der Handel mit Cannabis immer, egal wie groß die Menge ist. Nur wenn kein Handel vorliegt, bleibt der Besitz von geringen Mengen unter sechs Gramm Cannabis meist ohne strafrechtliche Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft geht dann von Eigenbedarf aus. Der stellt zwar auch eine Straftat dar und wird von der Polizei zur Anklage gebracht, die Staatsanwaltschaft lässt die Anklage bei Ersttätern aber meistens fallen.
Tauschst du dich mit irgendwem drüber aus, wie groß die Einheiten sein können?
Ich habe Kunden, die Anwälte sind. (lacht)
Angenommen, es geht doch mal was schief: Gibt es einen Ehrenkodex, dass man Lieferanten nicht verrät?
Bei mir schon. Die Menschen, bei denen ich kaufe, kenne ich alle schon lang. Das sind fast alles Freunde. Die würde ich niemals hinhängen. Aber noch mal: Das sind keine Dimensionen, bei denen mir ein Deal mit der Staatsanwaltschaft etwas bringen würde.
Denkst du, deine Kunden wären auch so loyal dir gegenüber?
Bei fast allen: ja. Zum einen, weil keiner bei mir so viel kauft, dass es für ihn irgendeinen Unterschied machen würde, wenn er meinen Namen nennt. Zum anderen gilt hier dasselbe wie bei den Menschen, bei denen ich kaufe: Ich kenne eigentlich alle persönlich. Sonst würde ich es auch nicht machen.
Leute, bei denen die Polizei Betäubungsmittel findet, werden immer nach ihren Bezugsquellen befragt, sagt Markus Karpfinger. Wie viele davon ihre Quellen preisgeben, darüber führe man aber keine Statistik. „Klar ist: Je mehr Strafe jemand zu erwarten hat, desto eher ist er geneigt, durch Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden das Strafmaß zu minimieren.“
Bekommst du Kunden also auch nur über Bekannte vermittelt? Werbung kannst du ja nicht machen.
Quasi ausschließlich, ja. Und dann sind es eigentlich immer gute Freunde von denen. Das ist mir auch wichtig. Ich möchte auf keinen Fall einfach nur der Dealer für Menschen sein und so viel raushauen, wie geht. Mit den Leuten, die kommen, kann ich ratschen, das ist zum Teil über viele Jahre gewachsen. Es sind gefühlt immer noch Bekannte, denen ich etwas mitbringe. Natürlich verdiene ich auch etwas damit. Aber eben nicht auf Teufel komm raus. Das macht mein Leben auch insgesamt unkomplizierter: Weil ich die Leute kenne, wissen sie, dass ich eben auch mal nicht erreichbar bin. Nur ganz wenige rufen deshalb ständig an und nerven mich.
Hast du Regeln, wie Leute dich kontaktieren dürfen?
Klar. Aber die erzähle ich dir sicher nicht. Höchstens so viel: Es wird nix am Telefon geredet.
Was sind das für Leute, die bei dir kaufen?
Ganz normale, gediegene Münchner: Anwälte, Lehrer, Studenten, Familienväter.
„Wir erfassen den sozialen Hintergrund der Beschuldigten nicht“, sagt Karpfinger. „Aber die Erfahrungswerte sagen: Das ist ein ziemlicher Querschnitt aus allen Alters- und sozialen Schichten, vielleicht mit einem Schwerpunkt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In diesem Alter ist man wohl geneigter, Drogen auszuprobieren. Und dann sind da auch ältere Beschuldigte, ich sage mal: aus dem Bereich der Alt-68er.“
Wir reden also tatsächlich von einer Volksdroge, die sich in allen gesellschaftlichen Schichten findet?
Wenn ich mich bei mir umschaue: absolut, ja. Da ist alles dabei. Auch völlig arrivierte Menschen, die hin und wieder abends chillen. Die würden sonst halt ein Bier trinken. Wobei ich das Kiffen damit auf keinen Fall verharmlosen will. Ich habe meine private Einstellung da inzwischen etwas verändert.
Inwiefern?
Das Gras, das du heute bekommst, ist so hochgezüchtet, dass es eine viel krassere Wirkung hat als früher. Mit der kann man umgehen. Aber man sollte sich schon bewusst sein, dass wir hier über eine Droge sprechen. Wirklich prall zu sein, ist schon ein extremer Zustand. Jeder, der etwas anderes behauptet, macht sich etwas vor.
Immer, wenn die Polizei Drogen sicherstellt, wird ein Gutachten angefertigt. „Da wird gemessen, wie viel Wirkstoff tatsächlich in den Betäubungsmitteln feststellbar ist. Und der THC-Gehalt bei Marihuana hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Früher lag er bei zehn Prozent, heute liegt er in der Regel zwischen 20 und 30 Prozent.“
Du verkaufst das Zeug aber doch.
Ja. Weil ich denke, dass die Menschen für sich selbst verantwortlich sind und wissen müssen, was sie tun.
Hast du Leute erlebt, die bei dir einkaufen, bei denen du gemerkt hast, dass sie Suchtprobleme haben?
Zum Glück noch nicht oft.
Was hast du dann gemacht?
Einer war ein Freund, den ich schon lange kannte. Ich habe viel mit ihm geredet und ihm klar gemacht, dass er was tun muss. Gegeben habe ich ihm auch nichts mehr. Der hat das dann tatsächlich in den Griff bekommen und kifft nur noch selten. Bei einem anderen habe ich das auch versucht. Der ist irgendwann nicht mehr gekommen.
Weißt du, wo dein Zwischenhändler das Gras herbekommt?
Nicht bis ganz zurück. Will ich auch nicht wissen.
Weil es weiter oben in der Kette doch ungemütlicher wird?
Zumindest so weit, wie ich die Kette kenne, sind das alles ziemlich normale Menschen, keine Mafiosi, falls du dir das gerade so vorstellst. Beim Handel mit Gras ist das meistens noch entspannter als bei anderen Drogen.
Das meiste Cannabis, das in München verkauft wird, kommt aus Holland, sagt Markus Karpfinger vom Münchner Drogendezernat. „Viel kommt aber auch über die Balkanroute. Albanien zum Beispiel ist da zu nennen.“
Trotzdem gibt es auch da schlimme Auswüchse. Gras, das mit Blei beschwert wurde. Leute, die mit Vergiftungen ins Krankenhaus kommen. Kannst du die Qualität irgendwie kontrollieren oder beeinflussen?
Beeinflussen nicht. Ich hatte aber einmal eine Lieferung, die voll mit Bleistaub war. Das merkt man zum Glück meistens rechtzeitig.
Und dann?
Habe ich’s zurückgegeben.
Gibt das Stress?
Ein bisschen. Aber es gibt auch keine Alternative. Ich würde das jedenfalls nie verkaufen.
Dass Gras mit Blei oder anderen Substanzen beschwert oder gestreckt wurde, hat die Münchner Polizei bislang bei ihren Funden noch nie feststellen können, so Karpfinger. Mit Blei versetztes Gras sei momentan vor allem in Leipzig und Umgebung im Umlauf. Dealer nutzen Bleistaub, um das Gewicht ihrer Betäubungsmittel zu erhöhen, damit höhere Umsätze zu erzielen sind. Mehr als 120 Leipziger wurden bislang in Krankenhäuser eingeliefert, weil sie das mit Blei versetzte Marihuana geraucht hatten.
Wie anspruchsvoll sind deine Kunden hier sonst? Merken die Qualitätsunterschiede und sprechen dich drauf an?
(lacht) Schon. Ich hatte am Anfang mal eine Zeitlang nur Homegrown (Gras, das privat angebaut wird, Anm. d. Redaktion). Da haben ein paar dann im Scherz rumgepöbelt: „Hast du immer noch die deutsche Hecke oder gibt es inzwischen wieder was anständiges?“ Ist aber schon länger her.
Fragen die Kunden hier auch schon nach bestimmten Sorten oder Geschmacksrichtungen?
Nein. Dafür ist das Angebot zumindest in München einfach nicht groß genug.
Wie stehst du zur Legalisierung?
Ich bin absolut für die Legalisierung. Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn man auch in München endlich entspannt irgendwo sitzen und einen Joint rauchen könnte. Andere Städte wie Köln oder Berlin sind da wenigstens inoffiziell weiter. Hier haben die meisten immer noch Paranoia, sofort in Handschellen auf dem Boden zu liegen, wenn sie draußen rauchen.
Für dich fiele im Fall der Legalisierung aber auch deine Einnahmequelle weg. Oder würdest du so etwas wie einen Coffee-Shop aufmachen?
Nein. Für mich war das nie ein echter Job. Wenn’s legal wird, ist das die perfekte Gelegenheit für mich, aufzuhören.
Klingt, als wäre das nicht ganz so einfach.
Natürlich nicht. Es ist ein sehr angenehmes Nebeneinkommen. Aber tatsächlich habe ich auch ohne die Legalisierung schon einen groben Zeitplan, wann ich aufhöre. Das sind aber private Gründe. Ich mache das seit mehr als zehn Jahren. Irgendwann wird man auch müde.
Schläfst du gut?
Nicht immer. Man kann das nie ganz vergessen.
Hast du je überlegt, noch andere Drogen zu verkaufen?
Nie! Das wäre mir zu gefährlich. Vor allem habe ich aber keinen Bock, an echte Junkies zu verkaufen. Die drehen dir dann tatsächlich mal durch, wenn sie unbedingt was brauchen. Das würde ich nicht packen. Die Leute, die bei mir kaufen, sind alle sehr entspannt. Die kaufen inzwischen ziemlich vorausschauend und wenn es mal nichts gibt, gibt es eben nichts.