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Betroffene berichten von Mobbing am Arbeitsplatz
Mobbing hört nicht nach der Schule auf. Auch Erwachsene können erbarmungslos sein. Sie brauchen dafür keine nachvollziehbaren Gründe.
Wir haben mit einem Industriemechaniker, einer Ergotherapeutin und einem Bundeswehrsoldaten über ihre Erfahrungen gesprochen. Weil der Bundeswehrsoldat dem Staat gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, und sowohl die Ergotherapeutin als auch der Industriemechaniker sich gerade noch in der gleichen Arbeitssituation befinden, möchten sie ihre richtigen Namen nicht hier lesen. Deshalb haben wir ihre Fälle anonymisiert. Der Mobbingberater Dr. Axel Esser, der viel mit Gewerkschaften von Bund und Ländern zusammenarbeitet, hat sich ihre Fälle angesehen.
1. Maximilian Koch, 21 Jahre, Bundeswehrsoldat im freiwilligen Wehrdienst
Niemand hat wirklich Zeit, dich im Freiwilligen Wehrdienst einzulernen. Ich habe also am Anfang eine Menge falsch gemacht. Und ein bisschen Schikane gehört wohl dazu: Man kommt zur Bundeswehr und ist halt der Neue. Nicht nur die Kameraden, sondern auch die Vorgesetzten lassen dich das spüren. Sie verbieten dir, fernzusehen oder kommen in deinen Schlafsaal und pusten dir ihren Shisha-Rauch ins Gesicht, wenn du schläfst.
Solche Dinge müssen anfangs alle unteren Dienstgrade über sich ergehen lassen. Aber bei mir hat sich das durch den kompletten freiwilligen Wehrdienst gezogen: Manchmal haben die anderen Soldaten in meinem Beisein so getan, als sei ich gar nicht da. Und dann über mich geschimpft, dass ich zu langsam sei und zu nichts Nutze. Ich war als Kellner in der Kantine eingeteilt, da hat man es erst recht nicht einfach. Das ist der unbeliebteste Job und auch die Neuen verlieren schnell den Respekt vor dir. Die Offiziere haben mir am Anfang versprochen, ich könne jederzeit in ein anderes Arbeitsfeld wechseln. Das war aber eine glatte Lüge.
Ich mochte den Wehrdienst eigentlich, ich habe viel erlebt. Aber gegen Ende wurde die Stimmung immer gereizter, da hätte ich mir gewünscht, ich hätte früher aufgehört und war froh, dass der freiwillige Wehrdienst nur zwei Jahre ging.
In der Grundausbildung gab es einen Kameraden, der mir beim Marschieren immer wieder absichtlich auf die Fersen getreten ist, wenn er in der Formation hinter mir lief. Er hat behauptet, ich würde falsch marschieren. Der Kamerad war nicht immer so angriffslustig, deswegen habe ich da auch noch nichts gesagt. Aber nach der Grundausbildung sind wir in die gleiche Stammeinheit gekommen. Da hat er mich ständig beleidigt: Arschloch, Hurensohn, Wichser... Einmal hat er mich „Spasti“ genannt, als mein Vorgesetzter direkt neben mir stand. Und der hat nicht mal mit der Wimper gezuckt. Mich hat es total wütend gemacht, dass er diese Beleidigung einfach toleriert und sozusagen noch unterstützt, indem er nicht für mich Partei ergreift. Der hat doch seinen Auftrag als Vorgesetzter verfehlt!
Der Kamerad hat mir regelmäßig Abfall in die Stiefel gekippt, verschimmelte Bananenschalen zum Beispiel, oder mir seine Snickerspapiere unter meine Bettdecke geschoben. Ich habe zuerst gedacht, das sei jemand aus meinem Schlafsaal gewesen, und habe meine Kameraden zur Rede gestellt. Aber niemand wollte es gewesen sein. Dass es dieser eine Kamerad gewesen sein muss, habe ich erst verstanden, als er die Kaserne verlassen hatte und das mit dem Müll gleichzeitig aufgehört hat.
Einmal ist der Kamerad sogar nachts in unseren Schlafsaal gekommen und hat mich aufgeweckt und geschlagen. Er war allerdings ziemlich betrunken und ich konnte ihn schnell abwehren. Die anderen in meinem Schlafsaal sind auch aufgewacht, glaube ich. Aber niemand hat was gesagt. Er ist dann schnell abgehauen und ich habe ihn natürlich am nächsten Tag gefragt, was das sollte, aber er konnte sich nicht daran erinnern. Das habe ich ihm sogar geglaubt, so betrunken war der. Ich habe mich nach einigen Monaten auch bei einem Vorgesetzten über diesen Kameraden beschwert. Aber als klar war, dass er die Kaserne bald verlassen würde, hat sich mein Vorgesetzter wahrscheinlich gedacht, das bringt jetzt eh nichts mehr. Passiert ist jedenfalls nie etwas.
So beurteilt der Mobbingberater die Situation:
In diesem Fall müsste sich der Betroffene auf jeden Fall an eine höhere Stelle wenden. Denn wenn die Schikane so weit geht, dann bräuchte er einen relativ mächtigen Verbündeten, den Wehrbeauftragten.
Gerade bei hierarchischen Organisationen wie dem Bund, wo es gewisse Rituale gibt, die Neuen zu schikanieren, geht es sehr viel um Rivalität und spätere Posten. Militärische und ähnliche Organisationen, in denen Hierarchie, Gehorsam und Disziplin eine große Rolle spielen oder spielen müssen, haben in Bezug auf Mobbing ein strukturelles Problem. Es gibt dort eine Kultur, die Mobbing begünstigt.
Zwischen jungen Männern ist „Verarschen“ ja eine verbreitete Kommunikationsform. Das ist nicht schön, aber es ist normal. Und bei der Bundeswehr gibt es ein Rudelverhalten: Es ist witzig, wenn sich jemand nicht wehren kann, da kann man mal wieder gemeinsam drüber lachen.
Wenn der junge Mann bei der Bundeswehr bleiben möchte, und es ändert sich nichts, könnte das zur psychischen Krankheit führen. Er hat auf jeden Fall viel zu tun, um aus dieser Rolle als Underdog rauszukommen. Für die Mobber ist die gemobbte Person das eigentliche Problem. Erst wenn der Gemobbte erledigt ist, ist für die Mobber das Problem erledigt.
2. Isabel Heider, 27 Jahre, Ergotherapeutin
Im August 2016 haben wir in dem Pflegeheim, in dem ich als leitende Ergotherapeutin arbeite, eine neue Heimleiterin bekommen. Im Prinzip ging es da sofort mit dem Mobbing los. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten: Wenn sie mir in einem Moment anordnete, ich solle Dinge für die Senioren einkaufen, war das im nächsten Moment falsch. Wenn ich beim Schreiben der Pflegeplanung nicht hinterherkam, weil ich alleine in einem Heim arbeitete, das auf zwei Stellen angelegt war, war das für sie eine Bestätigung, dass ich inkompetent sei. Sie sagte, es gebe Beschwerden über mich von den anderen Kollegen. Als ich die Kollegen darauf angesprochen habe, haben die das verneint. Als die Heimleiterin angefangen hat, meine freien Tage aus dem Dienstplan willkürlich rauszustreichen, habe ich das erste Mal für mich den Begriff Mobbing zugelassen.
Ab dann wurde es schlimmer und ich stand permanent unter Strom. Bei uns im Heim sind der Raum, in dem ich als Ergotherapeutin arbeite, und das Büro der Heimleiterin direkt nebeneinander. Die Heimleiterin begann, die Tür zwischen beiden Zimmern offen zu lassen. Davor war die immer geschlossen. Ich wurde in der Behandlung meiner Patienten immer angespannter. Ich wusste gar nicht mehr, ob ich noch ich selbst war. Oder ob ich manches nur sagte, damit mich die Heimleiterin hört.
Ich wurde immer häufiger krank und bin wegen Kleinigkeiten zu Hause geblieben, wegen derer ich vorher nie krank gemacht hätte. Als mir dann die Leitung als Ergotherapeutin entzogen wurde, war ich erleichtert. Die Chefin dachte, sie tut mir damit weh, aber ich habe mich gefreut. Ich hatte einfach keine Kraft mehr.
Als ich im vergangenen Herbst schwanger wurde, habe ich ein Beschäftigungsverbot von meiner Frauenärztin bekommen. Ich habe ihr die Situation geschildert und sie hat gesagt, ich solle mich dem Stress nicht mehr aussetzen. Sie hat mir aufgeschrieben, dass kein schwangerschaftsgerechter Arbeitsplatz vorliegt; ich wollte nicht, dass sie irgendetwas reinschreibt von Psychoterror oder Mobbing. Die Heimleiterin hat mich daraufhin angerufen, und gesagt, das könne sie so nicht akzeptieren. Sie hat auch bei meiner Frauenärztin angerufen und versucht, mit ihr zu sprechen. Sie hat ihr sogar einen Brief geschrieben, um sie zu beeinflussen. Meine Frauenärztin hat nie mit ihr gesprochen.
Ich merke jetzt erst, seit ich beurlaubt bin, was diese Frau wochen- und monatelang für eine Macht über mich hatte. Ab dem Moment, als ich wusste, dass ich schwanger bin, hatte ich ständig Angst: Was passiert, wenn die Chefin mein Beschäftigungsverbot nicht akzeptiert? Was, wenn ich noch während meiner Schwangerschaft wieder dorthin zurückmuss? Es geht doch jetzt nicht mehr nur um mich.
So beurteilt der Mobbingberater die Situation:
Hier passiert etwas Typisches: Betroffene merken häufig erst recht spät, dass man sie von Anfang an auf dem Kieker hatte. Typisch für Mobbing ist auch, dass die neue Chefin gezielt nach Fehlern sucht, aber nicht, um die Arbeit zu optimieren, sondern um es der Betroffene immer wieder anzuhängen.
Schlimm sind erfundene Beschwerden von Kunden, Patienten oder Kollegen. Damit trifft man Menschen, die ihre Arbeit besonders gut machen wollen, ins Herz. Fragt sich, wieso es hier zu Mobbing kommt: Zwischen Frauen gibt es noch eine andere Form von Konkurrenz als zwischen Männern. Oft indirekt, mit Augen verdrehen und hinterm Rücken reden. Es kann sein, dass die Heimleiterin sich in irgendeiner Weise bedroht gefühlt hat von der Ergotherapeutin. Die junge Kollegin hatte ihren Platz im Team schon sicher, als die neue Chefin kam. Und die neue Chefin musste ihren Platz erst erobern.
Für die Zeit nach dem Mutterschutz rate ich: Erstens nachträglich ein Mobbingtagebuch schreiben, mit allem, was passiert ist. Beweise sammeln für den Missbrauch des Weisungsrechts durch die Chefin. Zweitens: einen Fachanwalt für Arbeitsrecht zur Rate ziehen und zusammen Kontakt mit dem Betreiber des Heims aufnehmen, also die Stelle über der Heimleitung, und dort eine Vereinbarung über die zukünftige vertrauensvolle Zusammenarbeit auf den Tisch legen. Also Grenzen ziehen wie zum Beispiel eine geschlossene Tür zwischen Heimleitungsbüro und Therapiezimmer. Alles Weitere wird sich dann zeigen.
3. Aron Friedrichs, 35 Jahre, Industriemechaniker
Ich arbeite seit mehr als 15 Jahren bei einem großen Unternehmen in der Metallverarbeitung. Ich hatte schon oft das Gefühl, dass mein Chef meiner Karriere im Weg steht. Aber seit einigen Jahren ist das Mobbing konkreter geworden. Vor ein paar Jahren sollte ich an einem neuen Arbeitsplatz arbeiten, es ging um Schleifarbeiten. Ich habe aber Asthma und dafür auch ein Attest eingereicht. Ich konnte diese Schleifarbeiten also gar nicht machen. Daraufhin hat mein Chef mich zur Betriebsärztin geschickt. Im Gespräch hat sie mir vorgeworfen, ich wolle mir nur eine bessere Stelle erschleichen. Ich bin ganz ruhig geblieben und habe ein klärendes Gespräch mit dem Betriebsrat und meinem Chef erwirkt. Der Betriebsrat stand auf meiner Seite. Mein Chef wurde nervös und ich durfte an meinem alten Arbeitsplatz bleiben.
Kurz darauf ist das Mobbing von den Arbeitskollegen in der Werkstatt losgegangen. Zunächst mit Beleidigungen, sie nannten mich Depp, Vollpfosten und so weiter. Dann so Psychokram: Sie beschuldigten mich, ihre Maschinen verstellt zu haben, wenn sie etwas kaputt machten. Sie lästern, sie haben mir Öl in die Arbeitshandschuhe geschüttet, sie ziehen mir den Stuhl weg. An unserem Kalender an der Wand hängen sechs kleine Fotos von unseren Köpfen. Mein Gesicht ist immer überklebt.
Im Moment sieht mein Alltag so aus: Ich behandle meine Kollegen alle ganz normal, ich grüße, ich verabschiede mich, ich verhalte mich, wie ich mich immer verhalten würde, bin höflich. Es kommt nichts zurück. Ich habe in der ganzen Sache ziemlich abgeschaltet. Denn die wollen ja, dass man ausflippt. Ich bin in die ganze Sache schon so reingewachsen, ich fühle mich nicht als Opfer.
Was mich wirklich nervt, sind nicht die Sticheleien oder Kindereien der Kollegen. Sondern das Verhalten meines Chefs. Vor kurzer Zeit Jahr hat er eingeführt, dass ich mich bei ihm abmelden muss, wenn ich während der Arbeitszeit irgendwo hingehe. Als Begründung nannte er Brandschutz, aber die anderen Mitarbeiter müssen das nicht tun. Das ist Schikane. Er will nur verhindern, dass ich wieder zum Betriebsrat gehe.
Ich habe eine chronische Krankheit, das weiß aber niemand. Die Mobbingsituation stresst mich und das wirkt sich auch auf meine Gesundheit aus. Als ich im Frühjahr 2018 nach einer Krankheitspause wiedergekommen bin, hat der Chef mich in einen separaten Raum gebeten. Er wollte unbedingt wissen, warum ich krank war. Er ist wütend und laut geworden und alle möglichen Allergien durchgegangen, hat darauf beharrt, zu wissen, was ich für eine Krankheit habe. Aber ich bin still geblieben und habe es ihm nicht gesagt.
Ich halte die Füße still. Ich mag meine Firma, die Arbeitsbedingungen wären eigentlich super. Aber mein Chef steht mir im Weg. Ich habe mich schon drei oder viermal innerhalb der Firma auf andere Stellen beworben und nur Absagen bekommen.
So beurteilt der Mobbingberater die Situation:
Um es vorweg zu sagen: Die meisten Chefs mobben nicht. Wenn Chefs aber mobben, dann häufig einen Untergebenen, von dem sie sich insgeheim ein Stück weit fürchten. Vor denen sie Angst haben, dass sie in einem bestimmten Bereich kompetenter sind. Die Chefs, die sehen, dass ihre Mitarbeiter fleißig und kompetent sind, die stolz auf ihre Mitarbeiter sind, die kennen solche Ängste nicht.
Ich nehme in diesem Fall auch an, dass der Chef die Kollegen gebrieft hat. Und die wollen mit dem Chef keinen Ärger und werten den Kollegen deswegen ab.
Der Mann hat schon einmal erreicht, dass der Betriebsrat sich für ihn eingesetzt hat. Und diesen Weg müsste er weiterverfolgen: sich im Betriebsrat jemanden suchen, mit dem er persönlich eine Art Bündnis eingeht und der ihn längerfristig begleitet. Und er sollte mit Hilfe des Betriebsrates alles versuchen, eine vernünftige Versetzung zu erwirken.
Was viele von Mobbing Betroffene ansprechen: Dass sich alle mal zusammensetzen könnten und darüber reden. Das funktioniert aber nicht und kann dazu führen, dass das Gespräch zum Tribunal gegen die Gemobbten wird. Wenn man von Kollegen gemobbt wird, werden sie in dieser Situation dazu gezwungen, zuzugeben, dass sie sich mit Dreck bekleckert haben. Und selbst, wenn einzelne insgeheim bereit wären, sich mit dem Betroffenen zu unterhalten, werden die das in der Gruppe sicher nicht tun. Dafür sind zu viele Geheimnisse im Spiel.