- • Startseite
- • Job und Karriere
-
•
Gehalt: Was verdient eine freie politische Bildnerin
Anna, 30, ist freiberufliche politische Bildnerin in Teilzeit, 15 Stunden pro Woche ist sie zudem bei der Stadt angestellt. Dass der Beruf etwas für sie sein könnte, fand sie heraus, als sie während ihres Bachelors im Team Seminare gab.
Was ich als politische Bildnerin mache
„Jede:r politische:r Bildner:in hat verschiedene Themengebiete, Ansätze und Methoden. Mein Schwerpunkt liegt auf der Demokratiebildung. Ich mache also Demokratietrainings bei verschiedenen sozialen Trägern, Firmen, Jugendhäusern und an zwei Universitäten. Buchen kann mich aber theoretisch jedes Unternehmen. Die verschiedenen Auftraggeber:innen sagen mir konkret, was für Schwerpunkte sie in den Seminaren haben möchten. Die meisten buchen mich, weil Demokratie als Kompetenz immer mehr in den Fokus in der Arbeitswelt rückt und sich Unternehmen einen Raum wünschen, um sich mit Demokratie in ihrem Arbeitsumfeld auseinanderzusetzen. Es geht viel darum, die Haltung der Mitarbeiter:innen und den Umgang miteinander im Team unter demokratischen Aspekten weiterzuentwickeln. Ich erkläre in den Seminaren also nicht, was die Demokratie als Gesellschaftsform ist. Es geht darum, wie man demokratische Werte wie Partizipation, Vielfalt, Minderheitenschutz und Meinungsfreiheit ausleben und praktizieren kann. Das mache ich durch spielerische Workshopformate. Die Teilnehmer:innen lernen darin, wie man gemeinsam nach Lösungen und Kompromissen suchen kann. Es geht darum, wie mit man Konflikten, die ja aus komplexen Gesellschaften entstehen, möglichst demokratisch umgehen kann.
Bei einer Methode, die ich in den Demokratietrainings gerne anwende, hat die Seminargruppe beispielsweise 20 Minuten Zeit, um sich gemeinsam eine Regel zu überlegen – ganz egal, welche. In jeder Gruppe gibt es jemanden, der überhaupt keine Regel möchte, jemand anderes möchte die Redeanteile aufteilen, die nächste Person möchte eine lustige Regel. Dann analysieren wir, wer die Führung übernommen hat, wer nur zugehört hat, wer vielleicht laut geworden ist und nicht kompromissbereit war. Die Teilnehmer:innen stellen dann vielleicht fest, dass sie anderen Menschen nicht genug Raum gegeben haben, nicht kompromissbereit waren oder gar keine Meinung haben. Das Ziel ist, dass sie diese Gedanken mit in den Alltag bezwihungsweise Arbeitsalltag nehmen.“
Wie mein Arbeitsalltag aussieht
„Mal halte ich ein mehrtägiges Seminar ab und bin bis zu einer Woche deutschlandweit unterwegs, mal gebe ich in Witten, wo ich lebe, einen dreistündigen Workshop. Ich koordiniere die Termine selbst und kann meinen Arbeitsalltag flexibel gestalten. Ungefähr die Hälfte der Zeit gebe ich Workshops gemeinsam mit anderen freiberuflichen politischen Bildner:innen, die andere Hälfte meiner Workshops halte ich alleine ab.
Die einzige Kontinuität ist der Lehrauftrag an zwei Universitäten und mein Nebenjob bei der Stadt. An der Uni gebe ich Demokratietrainings im Studiengang Soziale Arbeit auf Honorarbasis. Bei der Stadt arbeite ich für 15 Stunden pro Woche in der Städteplanung. Es gibt aber neben den Workshops auch viel Büroarbeit zu tun: Rechnungen schreiben, Planung und Konzeption von neuen Workshops und die Akquirierung von neuen Aufträgen.“
Wie politisch neutral ich sein muss
„In der politischen Bildung gibt es verschiedene Leitlinien, an die sich politische Bildner:innen halten. Ein wichtiger Grundsatz ist der Beutelsbacher Konsens, der als erforderliches Mindestmaß gilt. Er besagt: Was in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, sollte auch in der politischen Bildung kontrovers dargestellt werden. Ich persönlich finde das aber nicht ausreichend. Ich richte mich noch nach weiteren Richtlinien. Die sogenannte Frankfurter Erklärung hat beispielsweise einen kritisch-emanzipatorischen Ansatz, das bedeutet vereinfacht gesagt, dass sie Kritik und Kritikfähigkeit in den Mittelpunkt politischer Bildung rückt. Es gibt viele verschiedene Leitlinien in der politischen Bildung, über die ich mich auf Fortbildungen mit anderen politischen Bildner:innen austausche. Wichtig ist auf jeden Fall zu sagen, dass ich in den Workshops nicht sagen darf, dass es nur eine richtige Meinung gibt. Doch die verschiedenen Meinungen müssen im Rahmen der Menschenrechte abgesteckt sein. Wenn jemand die Menschenrechte missachtet oder extremistische Positionen äußert, greife ich ein und sage, dass das keine demokratische Aussage ist.“
Wie ich zu dem Job kam
„Nach meinem Abitur habe ich zwei Freiwilligendienste gemacht – einen in Berlin in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und einen in Tansania in einer Schule. Zur Vorbereitung und als Begleitung während der Freiwilligendienste gab es mehrere Seminare. Dort bekommt man hauptsächlich Anregungen, Tipps und Ideen für die Arbeit in der Einsatzstelle und kann sich austauschen. Daran teilzunehmen, hat mir viele Denkanstöße gegeben und mir während meiner Freiwilligendienste sehr geholfen. Während meines Studiums der Sozialen Arbeit habe ich die Möglichkeit bekommen, solche Freiwilligendienst-Seminare selbst abzuhalten. Die Seminare haben wir immer im Team abgehalten und so habe ich von erfahrenen Workshopleiter:innen viel gelernt. Ich habe mir recht schnell ein Netzwerk aufgebaut und mit der Zeit für immer mehr Träger gearbeitet.
Nach meinem Bachelor habe ich mir aber mehr thematische Tiefe in den Workshops gewünscht. Deshalb habe zwei Masterstudiengänge in Politik und Philosophie und in Gender Studies gemacht, um einen Fokus auf die Demokratiebildung setzen zu können.
Während meines Masterstudiums habe ich weiterhin Seminare abgehalten, thematisch den Schwerpunkt auf politische Themen gesetzt und mein Netzwerk vergrößert. Nach meinem Masterabschluss 2019 habe ich hauptberuflich angefangen, die Workshops und Seminare zu leiten und noch mehr Workshops gegeben als während meiner Studienzeit. Man braucht keine spezifische Ausbildung oder ein Zertifikat für den Job. Ich bin durch eine Mischung aus Erfahrung, Netzwerkaufbau und inhaltlicher Tiefe durch ein Studium dahin gekommen, wo ich jetzt bin. Ich gehe aber auch selbst auf Fortbildungen und tausche mich regelmäßigen mit anderen hauptberuflichen politischen Bildner:innen aus.“
Was der Job mit meinem Privatleben macht
„Eine Trennung zwischen Job und Privatleben gibt es bei mir nicht, denn ich habe außer den Seminartagen keine festen Arbeitszeiten. Mir persönlich passt das super, denn ich kann arbeiten, wenn ich die Energie dafür habe: Das ist manchmal morgens um halb sieben, manchmal abends von zehn bis halb eins. An manchen Tagen mache ich einen Coworking-Tag bei einer Freundin oder arbeite im Café. Im Sommer kann ich auch mal längere Zeit keine Aufträge entgegennehmen und verreisen. Job und Privatleben ergänzen sich super. Ich habe auch keine Trennung zwischen privater und geschäftlicher Handynummer, sondern eine Nummer für alles. Für mich passt das so, mich stresst das nicht.“
Was ich auf Partys gefragt werde
„Sehr oft werde ich gefragt, wie ich in meinen Seminaren mit der AfD umgehe. Das finde ich schade, denn viele stellen sich unter politischer Bildung scheinbar nur vor, dass ich mich in einen Seminarraum stelle und erkläre, wofür die verschiedenen Parteien stehen. Ich antworte dann immer, dass ich in meinen Seminaren wenig über Realpolitik spreche.“
Die größten Herausforderungen in meinem Job
„Mehrtägige Seminare sind energiezehrend. Man muss immer individuell auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden eingehen und jede Gruppe hat eine eigene Dynamik. Die zweite große Herausforderung in meinem Job ist es, mit meinen Formaten ein diverses Publikum anzusprechen. Meist buchen soziale oder pädagogische Träger meine Formate. Die Teilnehmer:innen haben also ohnehin schon Zugang zu solch einer Art von Bildung. Das macht mir auch Spaß, aber ich möchte an Orte, in denen sonst politische Bildung nicht auf der Tagesordnung steht: Ich würde gerne mal Workshops in den deutschen Stahlwerken oder bei großen Firmen wie der Telekom oder der Deutschen Bahn anbieten. Ich habe es noch nie initiativ versucht, aber von sich aus haben sich solche Firmen noch nie bei mir gemeldet.“
Wieviel Geld ich verdiene
„Das vergangene halbe Jahr habe ich 31 Seminartage bei politischen Trägern, Jugendhäusern, an der Universität und in Firmen abgehalten und damit durchschnittlich 2500 Euro brutto im Monat verdient. Aber zu den Seminartagen kommen ja viele Tage an Arbeit mit Konzeption, Vor- und Nachbereitung dazu.
Einen weiteren Zuverdienst habe ich noch mit meinen 15 Stunden pro Woche bei der Stadt. Dieser Job macht mir auch Spaß, in erster Linie habe ich ihn aber aufgrund der fehlenden Sicherheit in der Freiberuflichkeit. Die Freiberuflichkeit bringt zwar viel Flexibilität mit sich, natürlich aber auch Nachteile wie beispielsweise keine Sicherheit bei Krankheit oder keinen bezahlten Urlaub. Rein finanziell gesehen könnte ich auch nur freiberuflich arbeiten, die Auftragslage würde es auf jeden Fall zulassen, noch aufzustocken.“
Wie sich die aktuelle politische Lage auf meine Arbeit auswirkt
„Ich glaube wahrzunehmen, dass die Anfragen für meine Demokratieworkshops zunehmen. Mir schreiben in letzter Zeit mehr Firmen und Vereine, die auf das Erstarken der AfD reagieren und etwas machen möchten. Dann kommen sie auf die Idee, mal ein Demokratietraining zu buchen. Aber das hätte man schon vor fünf Jahren machen müssen. Meine Angebote funktionieren mehr als Prävention statt als Feuerwehr.“