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Mit Pferd Fred ist prächtig betteln
Heute bettle ich in Berlin-Mitte, alle Utensilien liegen bereit. Das treu blickende Pferd – hab` ich. Zirkusgeruch – hab` ich. Eine Thermostasse, in der das Kleingeld knackig klimpert – auch da. Es bleibt nur ein Problem: Wie schaffe ich den Gaul nach Mitte? Umzugstransporter? Das Mercedes-Cabrio eines Freundes? Es führt kein Weg an den öffentlichen Verkehrsmitteln vorbei. Im Morgengrauen nehme ich das Pferd in Empfang. „Es hat keinen Namen“ erklärt mir der Schlächter. „Was in die Wurst kommt, heißt meistens nicht!“. Ich taufe ihn Fred. Am Rathaus Spandau steigen Fred und ich in die U 7, Fred bekommt auch eine Einzelfahrkarte. Ein Mädchen fragt, ob sie auf Fred reiten dürfe. Eine ältere Dame erinnert mein Klepper an das Pferd, mit dem sie im Krieg auf der zugefrorenen Ostsee Richtung Heiminsrestreich floh. Am Hackeschen Markt stelle ich das Pferd mittig auf die Fläche zwischen S-Bahnhof und Touristenlokalen und hänge ihm mein mit naiver Malerei (Sonne, Blumen, Wolken) verziertes Schild um: „Hallo, ich bin Fred und ich tu gern Haferstroh essen!“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Goldesel-Illustration: Daniela Pass Ich zausle ein letztes Mal durch meine verfilzten Haare und stelle die Thermostasse samt Schild vor mich. „Zirkus Bolabelli – Bitte Geld her, sonst verhungern unsere Tiere!“ Es läuft sehr gut. Ich bin mit meinem mageren Fred die größte Attraktion auf dem Platz. Mein Vorteil: Hier ist noch keine FIFA-Worldcup™-Sperrzone, in der nur Pferde mit FIFA-Worldcup™-Logo stehen dürfen. Das Geld klimpert nur so in meinem Thermosbecher, ab und zu rascheln sogar ein paar Scheine darin. Brenzlig wird es erst gegen Nachmittag, als mir feindliche NABU-Drückerkolonnen-Aktivisten das Ordnungsamt auf den Hals hetzen. Ob das Pferd was zu saufen habe? Nein, antworte ich, aber ich hätte gerade vorgehabt, ihm hinter mir im Café ein Eis zu kaufen. Wo mein „Zirkus Bolabelli“ Rast mache? Geistesgegenwärtig entgegne ich, dass man vor den Toren Potsdams gastiere. Was in Potsdam passiert, interessiert in Berlin keinen. Und als ich den beiden Ordnungsamtsleuten anbiete, einmal rund um den S-Bahn-Hof zu reiten, um dort Herumlungerer zu vertreiben, sind sie Wachs in meinen Händen. Der eine steckt mir heimlich einen 20-Euro-Schein in die Tasche und wünscht mir alles Gute bei meiner Pferde-Voltigier-Nummer, von der ich ihm vorgelogen habe. „Dass der alte Klepper das noch mitmacht!?“ „Ja, Fred und ich reiten seit 20 Jahren zusammen, nicht wahr, Fred? Guter Junge!“ 18 Uhr und 350,90 Euro in meinen Taschen. Fred, das war ein guter letzter Tag! Aber nun ist gut. Ab zum Schlächter. In dem Moment versinkt die Sonne am Horizont, wir reiten gerade aus dem U-Bahn-Schacht „Rosa-Luxemburg-Platz“ Richtung Volkspark Friedrichshain. Sind wir nicht doch ein – gutes Team? Fred nutzt einen Brunnen als Tränke und ich stoße mit einem seiner Hufe und einem Pilsator auf die Zukunft an. Auf eine gemeinsame Zukunft. Der Rossschlächter machte mir einen Freundschaftspreis. Hier kannst du dir die Job-Kolumne im Podcast anhören