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Dr. Baum erwartet Sie bereits

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Meine Freundin hat sich von mir getrennt, ehe ich überhaupt die neue Technik der „harten Hand“ anwenden konnte. Um meine Laune weiter zu verschlechtern, begebe ich mich ins Arbeitsamt beziehungsweise zur Arbeitsagentur, gehe nicht über „Los“ und nehme auch keine 4.000 Euro ein. Die Frau am Empfang fragt mich freundlich, ob ich denn gebucht hätte und wie der Name denn noch einmal sei; erst da bemerke ich, dass ich irrtümlich ins nahegelegene Hotel „Maxim“ gegangen bin. Wortreich entschuldige ich mich, doch die Empfangsdame lächelt und sagt, dass das öfters mal vorkomme. Wenigstens sei ich nicht pampig geworden und habe randaliert, weil mein Name nicht bekannt war… Die Frau am Empfang fragt mich, was ich denn hier wolle, ob ich denn arbeitslos gemeldet sei und ob ich meinen Namen bitte genau buchstabieren könne. „Ja. F. L. O. R. I. A. N. L. A. M. P.“ „Und der Nachname?“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nach fünf Minuten Wortscrabble hat sie meinen Namen endlich notiert, greift zum Telefon und wählt eine Nummer. Sie möchte nicht, dass ich zuhöre und schickt mich deswegen in eine Seitenkammer, wo mir Augen und Ohren verbunden werden. Kurze Zeit später darf ich wieder sehen und hören. Sie teilt mir mit: „Dr. Baum erwartet Sie bereits.“ Anscheinend habe ich einen neuen Sachbearbeiter. „Gehen Sie bitte die Treppe da hinten hoch, dann links, dann wieder rechts, dann die Treppe da hinten wieder runter und dann weiter in den Keller. Dort ist ein Aufzug und mit dem fahren Sie dann in den ersten Stock.“ 20 Minuten dauert der Weg, an jeder Ecke sind pfeilförmige Schilder befestigt, auf denen der Name „Dr. Baum“ geschrieben steht sowie ein Hinweis „Da entlang.“ Teilweise sind unter die Schilder noch kleinere Anmerkungen gedruckt, auf manchen sogar in Blindenschrift. Am schönsten finde ich den Text, der auf einem windrosenartigen Wegweiser zu finden ist. Auf dem Pfeil, der nach Süden zeigt, steht: „Bitte erst als dritten Weg nutzen. Vorher einen beziehungsweise zwei der drei anderen nehmen.“ Vor der Tür zu Dr. Baums Büro steht ein riesiger „nusseiserner“ (gusseisern inkl. Haselnussintarsien) Schreibtisch, hinter dem eine seltsame Person mit verschiedenfarbigen Augen sitzt. Ein Namensschild an seiner Brust weist ihn als Herrn Lohmann aus. Als ich versuche, an ihm vorbei zu Dr. Baum ins Zimmer zu treten, hindert er mich zunächst daran: „Der Doktor ist nicht zu sprechen!“ Ich schubse ihn beiseite und drücke die Türklinke, doch egal, wie oft ich sie niederdrücke, immer wieder teilt mir eine sonore Stimme mit „Ich möchte nicht gestört werden!“ Auch mein Hämmern an der Tür bringt Dr. Baum nicht aus der Ruhe. Schließlich gelingt es Herrn Lohmann, mich zu beruhigen. „Dr. Baum hat mir diesen Umschlag hier gegeben. Ein Jobangebot für Sie, Herr Lamp.“ Erschreckt und erstaunt über die schnelle Arbeit in der Agentur sinke ich in einen Sessel und reiße den Brief auf. „Sehr geehrter Herr Lamp. Bitte melden Sie sich heute Abend um Halbsieben bei der Chemie-Tec im Norden von Berlin. Fragen Sie den Pförtner nach „Sektion 2 B“ und dann wird man Sie zu ihrem neuen Arbeitsplatz führen. Mit freundlichen Grüßen Gez. Dr. Baum PS: Bitte stellen Sie keine Nachfragen an Herrn Lohmann.“ Der Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich mich beeilen muss, wenn ich pünktlich im Norden von Berlin sein will. Schon seltsam. Da hab ich Geisteswissenschaften studiert und soll dann in einer Chemiefabrik arbeiten… naja, Hauptsache Arbeit, denke ich mir und steige in eine Metrobahn. Es ist schon dunkel, als ich um kurz nach 19 Uhr und einem längeren Fußweg vorm Tor der Chemie-Tec stehe. Dann erst bemerke ich, dass die früh einsetzende Dunkelheit nicht nur extrem dunkel ist, sondern auch noch widerlich stinkt. Die Chemie-Tec brennt und zwar lichterloh. Ein brennender Pförtner kommt an mir vorbeigerannt und weigert sich, mir Auskunft über „Sektion 2 B“ zu geben. Bei so unfreundlichen Leuten will ich auch gar nicht arbeiten. Enttäuscht, dass abermals mein Arbeitsplatz abgebaut wurde, bevor er überhaupt existiert hat, halte ich mir ein Taschentuch vor Mund und Nase und trotte in Richtung Heimat. Der Bahnverkehr ist auf Grund eines Störfalls ebenfalls eingestellt, keines der vorbeifahrenden Autos nimmt mich mit. Auf einer Tankstelle mache ich Rast und beobachte einen älteren Herrn mit wirrem Haar, wie er zunächst sein Auto, einen uralten Mercedes SSK, betankt, nur um dann einen Kanister nach dem anderen mit Benzin aufzufüllen. Als ich ihm zu Hilfe eile und ihn frage, was er denn bitte mit soviel Benzin vorhabe, lächelt er nur: „Das werden Sie schon noch sehen, Herr Lamp!“ „Woher kennen Sie mich? Aus dem Fernsehen oder von jetzt.de?“ „Fragen Sie nicht so dumm! Das kostet Sie nur Platz in der letzten Folge ihrer Kolumne!“ „Stimmt auch wieder.“ Ich schweige. „Herr Lohmann hat mir alles über Sie erzählt und ich denke, Sie sind der geeignete Mann.“ „Wofür denn, Herr… Dr. Baum?“ „Ach, verzeihen Sie, dass ich mich nicht gleich vorgestellt habe. Nicht so eilig, Herr Lamp, wir haben doch noch eine Ewigkeit vor uns! Steigen Sie doch einfach mit ein. Ich bringe Sie nach Hause... Nein! Sie müssen sich nicht anschnallen.“ Wir rasen über dunkle alleen-überdachte Landstraßen Richtung Brandenburg, als mir Dr. Baum meine ungefähre Aufgabe für die nächste Zeit erklärt: „Der Sinn der Herrschaft des Verbrechens, lieber Herr Lamp, ist die Herrschaft des Verbrechens.“ „Wenn Sie meinen… und wie viel Geld kommt dabei dann netto raus?“ Illustration: Daniela Pass

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