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Wo traust du dich nicht mehr hin?

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Anfang des Jahres hatte ich einen guten Vorsatz: Ich wollte regelmäßig schwimmen gehen. Am 2. Januar war ich das letzte Mal im Becken. Es ist nicht meine Schuld, echt nicht. Ich war wirklich motiviert. Gerade erst war ich in eine Wohnung in unmittelbarer Schwimmbadnähe gezogen und meine Schwestern hatten mir zur Unterstützung meiner großkotzig verkündeten Pläne (drei Mal die Woche! Vor der Arbeit!) sogar eine Zehner-Karte zu Weihnachten geschenkt. Neun Mal habe ich immer noch.

Als ich zum ersten Mal in meinem Triangel-Bikini der vorletzten Strandsaison über die Fußpilzfliesen des Hallenbads watschelte, hörte ich folgenden Satz: „Hammse eijentlich Knieschmerzen?“ Er kam vom Bademeister und beantwortete damit eine Frage, die ich mir stelle, seit ich das Seepferdchen gemacht habe: Kann man vom Beckenrand aus sehen, dass ich meine Beine wie ein Hund bewege? Unschuldig schüttelte ich den Kopf. „Werdense aber bald!“, prophezeite er und begann sogleich in Trockenübung die empfohlene Brustschwimm-Beinbewegung vorzuturnen.  

Er hätte es dabei belassen können. Er hätte mich und meine Beine in Ruhe und Würde üben lassen können. Aber: Ihm war langweilig. Niemand musste beaufsichtigt werden, niemand brauchte Hilfe. Außer mir. Fand er. Darum spazierte er neben mir her, während ich unter größten Anstrengungen versuchte, den Hund zum Frosch werden zu lassen. Anscheinend ohne sichtbare Erfolge, denn bereits nach einer Bahn machte er mir den Vorschlag, ein Brettchen in meine Bemühungen einzubeziehen. „Wennse sich nich zu fein sind.“ Ich schluckte Wasser. Ich prustete. Iiiiiich mir zu fein? Wie kam er denn da drauf?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nach einem peinlichen Erlebnis meidet unsere Autorin das Schwimmbad.

Er hätte mir auch Schwimmflügel geben können, es wäre ebenso erniedrigend gewesen. Ich kam nur langsam voran und hatte Mühe, das Gebilde aus Brettchen und mir in der Spur zu halten. So brachte ich ständig die reibungslose Choreografie der Adidasschwimmanzüge und Dreiecksbadehosen durcheinander, wofür mich teils erboste, teils mitleidige Blicke trafen. Ich versuchte mir einzureden, sie könnten denken, mein Brettchen sei Teil eines Fitnessprogramms für Profischwimmer (besonderes Belastungstraining der Beine oder so). Oder dass es sich um eine Physiotherapie handelte, die mir nach einem schweren Reitunfall wieder das Laufen beibringen sollte. Aber dafür fehlten wohl die Delfine im Wasser.  

Nach vier Bahnen hatte ich genug und gab dem Bademeister sein Brettchen zurück. Ich müsse dann mal. Es sei ja schon spät. Man dürfe nicht übertreiben. Übermorgen sei ja auch noch ein Tag. Verständnisvoll nickte der Bademeister und versprach mir, übermorgen auch da zu sein. Dann könne man ja mal an meiner Kopfhaltung arbeiten. Meine 10er-Karte ist zum Glück auch fürs Freibad gültig.  

Seitdem war ich nicht mehr im Schwimmbad. Hast du auch einen Ort, an den du nicht mehr gehen kannst? Das Café, in dem der Typ arbeitet, der deine Nummer auf der Serviette einfach nicht wählen wollte? Oder der Laden, in dem dich zwei Verkäuferinnen mit vereinten Kräften aus der zu engen Lederleggins ziehen mussten? Um welche Orte machst du einen großen Bogen, weil dir dort etwas sehr Blödes oder Peinliches passiert ist?


Text: verena-kessler - Bild: judigrafie / photocase.com

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