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Wann wirst du zum Tier?

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Axel Hacke gilt gemeinhin als besonnener Kopf. Er ist Autor mehrerer Bestseller, Kolumnist des SZ Magazins – und Fußballfan. Als er vor ein paar Wochen in der WDR-Talkshow "Kölner Treff" saß und Werbung für sein neues Fußballbuch machte, wurde folgende Anekdote hervorgekramt: Hacke, 2013 im Münchner Fußballstadion, fiel beim Champions-League-Spiel der Bayern gegen Juventus Turin in einen Chor der Zehntausenden ein: "Vidal, du Arschloch!" Hätte man natürlich nicht gedacht von so einem kultivierten Typ. Gemeint war Arturo Vidal, Mittelfeldspieler Turins, der seinen Wechsel zu Bayern vor ein paar Jahren in letzter Sekunde abgesagt hatte – und nun bestraft wurde. "Archaische Dinge, geradezu atavistische Dinge dringen da nach oben. Das ist die Aufgabe des Fußballs in unserer Gesellschaft", sagte Hacke beim Kölner Treff. Frei nach dem Motto: Fußball – hier bin ich Tier, hier darf ich’s sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Fehlpass – und schwuppdiwupp werden viele zum Tier. Du auch?

Daraufhin habe ich mich gefragt: Wie schaue ich selbst eigentlich Fußball? Genauer: wie schaue ich die Spiele meiner Lieblingsmannschaft. Als Fan von Arminia Bielefeld hatte ich die denkbar beste Voraussetzung, zum Tier zu werden: Miese Saison, zwei Relegationsspiele, unglücklicher Abstieg in die dritte Liga. Allein: Ich wurde nicht zum Tier. Emotional war es, keine Frage. Auch aufwühlend und erschütternd. Aber aggressiv oder beleidigend war ich nie. "Macht er ja nicht absichtlich", denke ich immer, wenn mal wieder jemand einen Fehlpass spielt. Aggressionen überflüssig. Ich werde nicht zum Tier – zumindest nicht beim Fußballgucken. 

Ganz anders beim Autofahren. Da verwandele ich mich innerhalb von Sekunden. Ein behüteter Schleicher vor oder ein beknackter Drängler hinter mir und ich verliere die Fassung. Andere – so liest man in Internetforem – rasten schon bei nassen Socken oder kaputten Fernsehgeräten aus. Kleinigkeiten sind das, zum Teil sogar Nichtigkeiten.

Wie sitzt du heute Abend vorm Fernseher, wenn Deutschland bei der Fußball-WM gegen Portugal spielt? Besonnen oder bekloppt? Rastest du schon bei einem misslungenen Torschuss aus und machst dich zum Affen? Oder verlierst du die Contenance zu ganz anderen Gelegenheiten?

Text: michel-winde - Foto: Franziska-Fiolka - photocase.de

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