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Dürfen wir genervt sein?
Mittlerweile hat es, nach bald zwei Wochen, sogar meine Freunde erwischt – die sich sonst nicht von jedem Trend mitreißen lassen: Mein Facebook-Feed quillt über von den sich Eiswasser über den Kopf schüttenden Mitmenschen. Alles für den guten Zweck, eine Nominierung auszuschlagen, das macht praktisch kaum jemand. Und so rattern tagtäglich dutzende der Videos durch den Newsfeed, im Schneeballsystem muss auch aus meiner Freundesliste einer nach dem andern ran. Ihre Videos mischen sich mit denen von Günter Jauch, Mark Zuckerberg, Ronaldo und Britney Spears. Alle Welt stellt sich unter die Eisdusche oder schaut anderen dabei zu. Vielleicht aus den Gründen, die „Phänomeme“ aufführt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Einfach den Eimer jetzt stehen lassen? Mancher hat von der Ice-Bucket-Challenge genug
Man könnte jetzt „Wasserverschwendung“ rufen. Oder einwenden, dass die ALS-Forschung mit Tierversuchen betrieben wird. Mancher mokiert sich im Spaß auch darüber, dass die Polkappen schmelzen würden, bei dem ganzen verbratenen Eis. Aber im Prinzip gibt es nur ein Argument dagegen: Es nervt einfach mittlerweile so sehr.
Das darf man ja wohl noch sagen. Oder eben gerade nicht? Es ist schließlich für den „guten Zweck“ – und sich über den aufzuregen, fühlt sich - so wenig ich auch Helene Fischer nass und im Sport-BH auf Facebook sehen will - irgendwie sehr falsch an. Aber mal ehrlich, ist der gute Zweck nicht irgendwann mal erfüllt? Konzentrieren wir uns gerade nicht zu sehr auf eine Krankheit? Ja, jedes Jahr erkranken weltweit 120 000 Menschen an ALS. Aber 50 Millionen Menschen sind gerade auf der Flucht, 800 Millionen leiden an Hunger. Ebola, Aids und Krebs wüten genauso wie der Krieg in der Ukraine, in Syrien und im Irak. Leid kann man nicht gegeneinander aufrechnen, doch hat die ALS-Stiftung, die mittlerweile mehr als 15 mal so viele Einnahmen wie im Vorjahr verzeichnet, nicht genug Aufmerksamkeit bekommen?
Verdienen denn all die anderen Missstände nicht ebenso viel. Der Ansicht ist zumindest die Nachrichtensprecherin Linda Zervakis, die deshalb (und weil sie schwanger ist) die Nominierung ablehnte. Ein mutiger Schritt, denn das Ice-Bucket-Spiel nicht mitzuspielen, muss man sich erst einmal leisten können. Wenn sogar Spiegel online über Bush herzieht, weil er keine Eiswürfel in seinem Wasser hatte und ihn deswegen verdächtigt, ein Warmduscher zu sein, dann ist es vielleicht besser, einfach mitzumachen, statt der Böse zu sein. Oder aber - es ist für alle höchste Zeit aufzuhören.
Was ist mir dir? Wurdest du schon nominiert? Was hast du getan? Oder was wirst du tun, wenn es noch passiert? Bist du von den Videos genervt? Klickst du sie weg oder schaust du dir jedes einzelne noch an? Und bist du der Meinung, man darf die Eisdusche für den guten Zweck auch irgendwann einfach nur noch doof finden?
Text: tim-kummert - Foto: Guntier / photocase.de