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Der "soll man sich virtuell streiten?"-Ticker

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Zehn Uhr an einem beliebigen Sonntagmorgen. Schlaftrunken schlurfe ich in die WG-Küche. An einem Sonntag kann zehn Uhr schon eine grausame Zeit sein, aber es hilft nichts: ich habe Besuch, es gilt, ein Sightseeing-Programm zu absolvieren.
Mit einem Klick springt unter Summen und Brummen die Kaffee-Maschine an. Sie ist schon etwas älter, röchelt deshalb immer ein wenig beim Aufbrühen. Aber unter zwei Tassen werde ich heute nicht wach. Die Katze meiner Mitbewohner kommt laut miauend in die Küche. Demonstrativ klappert sie mit ihrer Fressschale, die Bedeutung ist klar. „Plong plong plong“ macht es, während ich die unappetitlichen brauen Briketts in ihre Schüssel fallen lasse. Auch der Rest der Küche sieht eher unappetitlich aus. Dreckiges Geschirr stapelt sich seit letzter Woche auf der Spüle. Ich versuche, es einhändig in die Maschine zu räumen (die andere Hand ist noch vom Kaffee belegt), ein Weinglas geht dabei zu Bruch. „Scheiße“, entfährt es mir. Unter dem Miauen der Katze, die nun bespaßt werden will, räume ich die klirrenden Scherben zusammen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Kann man die Verantwortung für das dreckige Geschirr auch bei Facebook ausdiskutieren?

Im Anschluss belade ich beide Arme mit dem Inhalt des Kühlschranks. Die Katze darf nicht mit ins Schlafzimmer, mit einem Fuß versuche ich, sie aus meiner Tür zu halten. Das ganze Unterfangen entpuppt sich mit vollen Händen als schwieriger, als gedacht, aber mit einem ordentlichen Hüftschwung schaffe ich es schließlich, die Tür hinter mir ins Schloss fallen zu lassen. Rumms! Die Katze miaut traurig weiter vor der Tür, während ich zufrieden mein Brötchen daumendick mit Marmelade bestreiche.  

Mehrere Stunden später gehe ich auf Facebook. Mein Mitbewohner hat mir geschrieben: „Erinnerst du dich an die Mail, die ich dir letztes Wochenende geschrieben habe? Da habe ich doch schon gesagt, dass du morgens leiser sein sollst. Denkst du nicht daran, dass hier auch noch andere Leute schlafen wollen?“  

Ja, die Nachricht hatte ich zugegebenermaßen erhalten. "Sorry, sag's mir beim nächsten Mal doch direkt", hatte ich geantwortet. Bringt ja mehr, als wenn der Lärmverursacher es erst Stunden später liest. Abgesehen davon liegt sein Zimmer drei Meter Luftlinie von meinem entfernt.
Unter die Wut über die erneute Anschuldigung (schließlich ist es SEINE Katze und auch SEIN Geschirr, das den erhöhnten Geräuschpegel verursachte) mischt sich jetzt jedoch schnell auch Fassungslosigkeit. Geht man so jetzt etwa unangenehmer Kommunikation aus dem Weg? Früher hätte er vielleicht in so einer Situation geschwiegen, nun kann er sich in einem "ich habe ihr mutig die Meinung gesagt"-Gefühl baden. Aber zu Recht?

Wo bleibt da die Streitkultur innerhalb einer WG? Das wunderbar genuschelte "sei ma' leiser, ischab Kopfweh" des Mitbewohners, der mit verquollenem Gesicht in einer alten Snoopy-Boxershorts morgens an die Zimmertür klopft? Kann man auch virtuell derartige Streitigkeiten lösen?



Text: charlotte-haunhorst - Bild: doesnotcare/photocase.com

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