Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Ich hasse, was du liebst

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Es gibt Dinge, die haben klammheimlich Einzug gehalten in den erlauchten Kreis der Sachen, die man einfach gut finden muss. Unumstößlich stehen sie auf einem Sockel der kollektiven Anbetung – und so schnell wird keiner kommen, um sie dort runterzuholen. Weil es eben „common sense“ ist, sie für gut und bedeutend zu halten.

Ich weiß noch, wie mir auf einer gar lustigen Party jemand erzählte, er gehe jetzt bald zu einem „Holi-Fest“. Da gäbe es dann Techno und irgendwann schmeißen sich alle für teures Geld gekaufte Farbbeutel ins Gesicht und schießen ein paar Selfies für die Daheimgebliebenen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sieht total nach Spaß aus - kann man aber auch doof finden.

Der Party-Gast tat mir leid. Vor meinem inneren Auge sah ich schon, wie sich alle von dem kindischen Gast abwenden würden und er mit zitternder Unterlippe darüber nachzudenken hätte, wie er sich mit diesem peinlichen Geständnis so ins Abseits hatte schießen können.

Doch zu meinem Entsetzen waren die umstehenden Gäste voller Neid und Bewunderung für die mutige und spaßige Annäherung an die indische Kultur, die der Partygast vorhatte.

Und ich merkte, dass es da wohl etwas gibt, das alle supertoll finden. Ich aber nicht.

Das war eine existentielle Erfahrung, denn ich spürte eine innere Leere in mir aufsteigen. Ich gehörte nicht dazu und auf Mitgefühl oder Zustimmung konnte ich nicht hoffen. Auf einmal war ich allein. Und würde ich meine Abneigung öffentlich aussprechen, wüsste ich nicht einmal, wie ich argumentieren sollte.

Sollte ich sagen, „Ich finde das einfach doof“, würde ich klingen wie ein bockiges Kind. Man könnte es sachlich probieren, dachte ich mir: „Holi-Feste sind ein Ausdruck jugendlicher Dekadenz und unangebrachter Unbekümmertheit in weltpolitisch unsicheren Zeiten!“ Aber niemand mag neunmalkluge bockige Kinder. Ich blieb also lieber still.

Mit dieser Erfahrung bin ich nicht alleine. Nur selten brechen mutige Menschen das Schweigen und bekennen öffentlich ihre Abneigung gegen Katzen oder die eigene Verwandtschaft: Tabubrüche, die einen schnell mal zum Außenseiter machen. Oder hast du schon mal versucht, was gegen „Radiohead“ zu sagen?

Deswegen heute unser Abrechnungs-Ticker: Was finden alle toll, du aber überhaupt nicht? Und woher kommt diese Abneigung, die es eigentlich nicht geben „darf“?

Text: gregor-rudat - Foto: dpa

  • teilen
  • schließen