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"Zuckerberg wollte hübsche Mädchen sehen"

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Stefan Glänzer beteiligt sich an Start-Ups und hilft Existenzgründern mit seinem Kapital und seiner Erfahrung. Glänzer hat mehrere Internetunternehmen selbst gegründet und war als Investor unter anderem an Last.fm beteiligt. Im Gespräch mit jetzt.de erklärt er, was eine gute Idee fürs Web auszeichnet und warum sie allein noch keinen Erfolg garantiert.
 
  jetzt.de: Herr Glänzer, mit Google sucht man, mit Ebay kauft man ein, mit Facebook findet man Freunde – kann man sagen, dass die besten Web-Ideen ganz simple Bedürfnisse befriedigen?
  Stefan Glänzer: Könnte man wohl. Es ist ja so: Alles, was es in der Offline-Welt schon gibt, passiert jetzt eben online. Alles, was in der analogen Welt gültig war oder ist, bekommt nach und nach sein Äquivalent in der digitalen Welt. Deswegen ist das Internet für junge Menschen so ein fantastischer Spielplatz, wo sie mit neuen Lösungen und neuen Technologien ankommen können.
 
  jetzt.de: Wie gut muss man sich im Netz auskennen, um eine gute Idee zu entwickeln? Um zum Beispiel auf eine Idee wie Flattr, den Micropaymentservice für Blogeinträge zu kommen, muss man schon sehr gut verstehen, wie Blogs und Urheberrechte im Netz funktionieren. Amiando, ein Portal für Online-Eventmanagement ist hingegen entstanden, weil bei einer großen Party zur WM 2006 das Management der Gästelisten und der Bezahlung so chaotisch war.
  Glänzer: Es ist in beiden Fällen der gleiche Ansatz gewesen: Die Amiando-Gründer wollten zur WM 2006 eine BBQ-Party veranstalten, und die Organisation verlief sehr schmerzhaft. Also haben sie gedacht: Das muss man doch mit Hilfe des Internet irgendwie besser machen können. Flattr wurde vom ehemaligen Sprecher des BitTorrent-Filesharingportals Pirate Bay gegründet, der sich jahrelang mit dem Teilen von Inhalten im Netz auseinandergesetzt hat. Dabei ist ihm aufgefallen, dass die Content-Besitzer sich immer beschweren, dass das illegale Downloaden aufhören müsse. Gleichzeitig gab es keine einfache Möglichkeit, kleine Geldbeträge mit einem Klick hin- und herzuschieben. Es wurde also sowohl bei Amiando als auch bei Flattr ein fehlendes Puzzlestück entdeckt, ein Defizit. 
 
  jetzt.de: Heißt das, der Ausgangspunkt der meisten guten Netz-Ideen sind keine Visionen, sondern Probleme?
  Glänzer: Um Helmut Schmidt zu zitieren: Wenn man Visionen hat, sollte man besser zum Arzt gehen. Ich glaube, es entsteht leichter was, wenn man von einem Problem ausgeht. Das ist handfester und irgendwie greifbarer. Es muss aber nicht gleich ein riesiges Problem sein, sondern vielleicht nur eine Lösung, die noch nicht optimal ist.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  jetzt.de: Gibt es einen kleinen gemeinsamen Nenner guter Start-Up-Ideen?
  Glänzer: Es gibt wahrscheinlich eher kleinste gemeinsame Nenner von Start-Up-Unternehmern als von Start-Up-Ideen. Die Idee selbst ist am Ende gar nicht so viel wert, man sollte damit auch recht offen umgehen und viel Feedback einholen. Eine Idee ohne Umsetzung ist nichts wert. Ich weiß nicht, wie viele soziale Netzwerke es gab, bevor Marc Zuckerberg mit Facebook gekommen ist – wo ja im Übrigen auch ein ganz klares Problem am Anfang stand: Er wollte gerne all die hübschen Mädels an der Uni sehen. Das ist ein ganz praktisches Ziel, das gar nichts mit Technologie zu tun hat. 

  jetzt.de: Wenn die Idee alleine gar nicht das Entscheidende ist – was sind die Zutaten, die ich brauche, um einen guten Web-Idee-Kuchen zu backen?
  Glänzer: Ganz wichtig ist das Team, mit dem eine Idee am Anfang umgesetzt wird, die ersten fünf bis zehn Leute. Die verkörpern so etwas wie die DNA einer Firma. Wenn man sich Google heute anschaut, sind ja noch sehr viele dieser ersten Mitarbeiter mit an Bord. Die haben eine Idee gehabt und sich vorgestellt, wie man in ihrem Feld die Welt revolutionieren kann. Das klappt natürlich nicht immer. 
 
  jetzt.de: Wenn ich mich für ein paar Tage einsperren möchte, um das nächste große Internet-Ding zu entwickeln, welche Leute sollte ich mitnehmen?
  Glänzer: Man braucht Leute, die gerne etwas anpacken. Und es hat extreme Vorteile, einen technisch versierten Menschen im Gründungsteam zu haben. Man liefert ja einen digitalen Service, die Technologie ist quasi das Herz dessen, was man tut. Wenn man eine Idee hat, muss man sich reinfrickeln und sehen, was funktioniert. Und es ist gut, wenn man das nicht an eine externe Agentur abgeben muss, sondern wenn in der IT richtig viel Herzblut drinsteckt. Was die beruflichen Hintergründe angeht, ist es ansonsten glaube ich egal, mit welchen Leuten man sich einsperrt. Man sollte es vielleicht möglichst komplementär machen. Also jemanden nehmen, der eher offen ist, einen anderen, der vor Kreativität sprüht, und einen, der mehr analytisch denkt. Man sollte sehen, dass die Stärken und Schwächen der Leute sich gegenseitig ausgleichen.
 
  jetzt.de: Kann man verallgemeinernd sagen, welcher Schlag Mensch gute Ideen fürs Netz hat?
  Glänzer: Sie mögen gerne Bewegung. Neues, Innovation, Veränderung. Das sind keine Bewahrertypen. Häufig sind sie sehr intrinsisch motiviert, weil sie ein Problem für sich lösen möchten. Das ist ähnlich wie bei Akademikern, die wollen auch oft ein Problem von Grund auf erforschen. Und man spürt bei allen eine große Begeisterung für das eigene Produkt, und die Fähigkeit, diese Leidenschaft in die Firma zu transportieren. Firmen wie Amazon oder Google leben heute noch von der Begeisterung ihrer Gründer.
 
  jetzt.de: Sie sehen sich ständig nach jungen Unternehmern um, deren Idee sie unterstützen wollen. Kennen Sie so etwas wie Liebe auf den ersten Blick?
  Glänzer: Klar. Es passiert zwar sehr selten, aber es ist jedes Mal ein toller Moment. Bei mendeley.com zum Beispiel hat es keine 30 Sekunden gedauert, bis ich von der Idee begeistert war. Das ist das größte weltweite Forschungsnetzwerk. Das nutzen vornehmlich Doktoranden und Juniorprofessoren, um auf Basis ihrer Arbeiten ein soziales Netzwerk aufzubauen.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Stefan Glänzer

  jetzt.de: Haben Sie sich oft geirrt?
  Glänzer: Klar. Es kann immer sein, dass sich eine Idee als gar nicht mehr so toll entpuppt. Das gilt für all meine Investments, die am Ende nichts geworden sind. Inzwischen ist mir aber klar, dass es schon rein statistisch nicht möglich ist, dass alle groß raus kommen. Manchmal hat vielleicht auch die zeitliche Komponente nicht gestimmt. Jede Idee hat ihre Zeit. 

  jetzt.de: Brauche ich also Geduld, wenn ich eine Idee durchbringen will?
  Glänzer: Nehmen wir mal Last.fm. Das ist in der ersten Version, glaube ich, im Jahr 2000 live gegangen, und wurde in den ersten vier Jahren nur von relativ wenigen Menschen genutzt. Zwischen 2000 und 2004 hatten die Gründer und die ersten drei, vier Mitarbeiter noch nicht mal genügend Geld, um sich was zu Essen zu kaufen. Aber dann ging ein Ruck durch die Leute.
 
  jetzt.de: Sie haben damals in Last.fm investiert. Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?
  Glänzer: Ich habe in Blogs davon gelesen, und da ich früher selbst DJ war, hat mich das sofort überzeugt. Die Stärke von Last.fm ist ja, dass es einem neue Musik empfiehlt. Und ich habe selbst als Student zwischen vier und acht Stunden pro Woche in Plattenläden verbracht, um mir neue Musik zu suchen. Da fand ich die Technologie von Last.fm schon irgendwie besser, um Musik kennenzulernen. Für mich hat sich das Problem, das damit gelöst werden sollte, eben sofort erschlossen.
   
  jetzt.de: Gibt es in der Branche viel Ideenklau?
  Glänzer: Es reicht nicht, wenn man einmal eine gute Idee hat. Man muss sich permanent aktualisieren, um vorne zu bleiben. Natürlich nimmt man da seine Inspiration aus der Summe aller Sachen, die man mal gesehen oder erfahren hat. Nur: Wo ist da die Grenze zwischen Kopieren, Klauen und Inspiration? Normalerweise bleibt das Original aber sowieso immer werthaltiger als die Kopie. Das beste Beispiel ist Facebook und StudiVZ. 
 
  jetzt.de: Wie wichtig ist der Ort, an dem eine Idee umgesetzt wird?
  Glänzer: Als überzeugter Europäer kann ich nur beten, dass mehr und mehr Leute sich besinnen, dass wir hier in Europa auch große Technologiefirmen hervorbringen können, wenn wir nur wollen. Es muss nicht jedes Talent ins Silicon Valley abwandern. Aber es hilft natürlich, wenn man mit seinem jungen Unternehmen an einen Ort zieht, an dem sich ein gewisses Ökosystem entwickelt hat. 
 
  jetzt.de: Wo findet man so ein Ökosystem momentan?
  Glänzer: Das ist momentan ganz eindeutig Berlin, und zwar Berlin Mitte. Natürlich spielen auch München, Hamburg und Köln eine Rolle, aber das Cluster bildet sich in Berlin Mitte. Was das Kapital angeht, würde ich nach London schauen. 
 
  jetzt.de: Aber warum brauche ich in der digitalen, globalen Welt überhaupt einen Ort, ein Ökosystem?
  Glänzer: Wir treffen uns ja hier auch Face to Face. Man braucht als Firma eine Keimzelle. Die Keimzelle muss nicht da sitzen, wo das Ökosystem ist, aber es tut gut. Wenn man in Reit im Winkl sitzt, ist man wahrscheinlich der einzige digitale Unternehmer in der Umgebung und fragt sich vielleicht, ob man nicht doch einen kleinen Schuss hat. In Berlin ist das normaler, und in San Francisco ist man ja mittlerweile schon ein Alien, wenn man nicht in dieser Branche arbeitet.

Text: christian-helten - Fotos: Schneekind/photocase.com; oh

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