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Zelte zum Anziehen

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Die Gegend um meinen Jeansknopf fühlt sich seit einer Woche wie nach dem Verzehr eines doppelten Käsefondues ohne Schnaps hintenher an. Und nachdem mir am Freitag beim Essen mit vollem Tablett in der Hand beinahe die Hose vom Hintern gerutscht wäre, weil ich den Knopf nicht mehr zumachen kann und der Bund auf einer nach unter steiler werdenden Bauchrutschbahn nicht mehr hält, musste ich etwas tun.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie immer in solchen Fällen rufe ich also meine Mutter an, die es liebt, mir mal „was Ordentliches zum Anziehen“ zu kaufen und sich am Ende doch immer zu einem ausgedehnten Streifzug durch den H&M („so ein schrecklicher Laden“) überreden lässt. Aber erst, klar, sind ihre Läden dran: Schlichting, Lodenfrey, „Schwanger&chic“. Im Schlichting bekomme ich zum Anprobieren eine Bauchatrappe in die Umkleidekabine gereicht, ein rundes, hautfarbenes Kissen, das ich mir unter das „Blouson mit großflächigem Blumenmuster“ klemme. Ich sehe aus wie meine alte dicke Blockflötenlehrerin an Fasching. Meine Mutter sagt: „Nee, das geht nicht“, und kauft schon mal ein paar Socken für das Baby. Im Lodenfrey gibt es für Schwangere Zelte zum Anziehen in allen Farben. Faszinierender Weise sieht man darin auch ohne Bauchatrappe bereits in der 14. Woche wie im 20. Monat aus. Immerhin könnte ich mit so einem Kleid eine asylsuchende Kleinfamilie über die Grenze schmuggeln, wenn wir das mit den vielen Beinen irgendwie hinbekämen. Meine Mutter sagt: „Vielleicht solltest du mal einen Reistag einlegen“, und kauft ein hellblaues Mützchen fürs Baby. Und auch „Schwanger&chic“ hält nicht, was der Name verspricht. Schwanger: ja, aber von chic kann bei soviel Satin und weinrot absolut keine Rede sein. Die Verkäuferin will mir einen längsgestreiften Badeanzug mit känguruhmäßigen Stoffreserven vor dem Bauchnabel andrehen. „Macht schlank!“, sagt sie tatsächlich. „Stimmt nicht“, sagt meine Mutter, als ich demütigend halbnackt in Socken vor ihr stehe. Dann kauft sie noch ein Kapuzenhandtuch – nicht für mich. Wir gehen erstmal was essen. Beim Nachtisch gibt sie nach: H&M am Samstag – mit Mama in die H&M-Mama-Abteilung. Bäuche schieben sich durch Kleiderständer, Locken verhaken sich in Bügeln, wartende Väter kauen an ihren Fingernägeln, Einzelteile liegen am Boden wie Fallobst. Meine Mutter fängt an zu schwitzen und schimpft. Jetzt schnell sein. Jetzt shoppen. Nach fünf Minuten stehe ich mit 21 Teilen im Arm in der ladenlangen Umkleidenschlange, vor mir Bäuche, hinter mit Bäuche, dazwischen ich und meine Mutter – schnaubend. Kommt eine Frau, mitteldicker Bauch, von hinten angekugelt, macht ein gestresstes Gesicht und steuert schnursstracks schnellen Schrittes an der Schlange vorbei in die nächste freiwerdende Umkleide, während sie irgendwas von „. . . schwanger!“ murmelt. Empörung! Aufstand! Unruhe! Ja die kann doch nicht! Ja wir sind doch auch! Ja was denkt die denn! Die Frauen fangen an, ihre Kleider in Stoffbomben umzuformen. Ein wirklich dickschwangeres Mädchen hinter mir wetzt einen Plastikbügel an ihren Stiefeln. Meine Mutter schreit am lautesten von allen. Ich schaue mich nach einer Verkäuferin um, die der Frau Geleitschutz aus der Kabine geben könnte. Doch dann wird die Umkleide vor mir frei und ich verstecke mich hinterm Vorhang. Bei Kleidungsstück 17 ertönt ein lauter Schrei, ein Plumps, ein vielstimmiges „Ohh“. Ich gucke aus der Kabine und kombiniere aus der Szenerie, dass meine Mutter beim Babystrampler aussuchen über eine am Boden liegende Latzhose gestolpert sein muss und die schwangeren Frauen nun gemeinsam versuchen, sie wieder aufzustellen. Hinter dem Getümmel schleicht sich die lebensmüde Vordränglerin für ihre Bauchgröße äußerst elegant und unbemerkt aus dem Laden. Illu: dirk-schimdt

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