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"Wow, die Leute tragen mich"

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Seit fast vier Jahren reist Noam Galai, 25, schreiend um die Welt. Auf T-Shirts in New York, auf Protestplakaten in Spanien und auf Hauswänden im Iran ist ein Selbstportrait des israelischen Fotografen aufgetaucht, das er einst auf dem Bildportal Flickr hoch geladen hatte. Der junge Wahl-New Yorker hat davon lange Zeit überhaupt nichts mitbekommen. Jetzt dreht er den Spieß um – er will von der Popularität seines Konterfeis profitieren. jetzt.de: Noam, unter welchen Umständen ist das Bild entstanden? Noam Galai: Es war einfach etwas, was ich schon lange im Kopf hatte – ein solches Bild von mir, wie ich schreiend vor einer Wand stehe. Für mich ist das etwas Besonderes, weil ich eigentlich eher ein ruhiger Typ bin, so ganz anders als der Typ auf dem Foto, das sehr gefühlsbetont ist und auf dem ich sehr aus mir heraus gehe. Und was hattest Du damit geplant? Nichts Bestimmtes, ich hatte einfach eine Serie von 15 „schreienden Selbstportraits“ gemacht, wollte auch ein bisschen ausprobieren, was ich durch verschiedene Lichtverhältnisse erreichen kann. Zwei oder drei davon habe ich dann auf Flickr hochgeladen. Ich mache das mit vielen meiner Bilder, um Werbung für meine Arbeit als Fotograf zu machen. Als ich nach etwa vier Monaten nochmal das Rohmaterial durchschaute, sah ich, dass ich das Beste aller Bilder aus der Serie schlicht übersehen hatte. Im Juni 2006 stellte ich es der Vollständigkeit halber auch noch dazu. Ich dachte nicht, dass das irgendjemanden besonders interessieren würde.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Noams Schrei-Bild, Noam bei der Arbeit. Das Bild ist schon auf den ersten Blick außergewöhnlich – war dir das bewusst? Ich wusste schon, dass dieses Bild etwas hat, das die Leute mögen würden. Und unter den anderen Bildern aus der Serie waren schon viele Kommentare. Bei diesem einen Bild hatte ich so ein Gefühl, aber natürlich keine Ahnung, was passieren würde. Das hat ja – bei allem Tempo im Internet – eine Weile gedauert. Ja, bis 2008 waren es zwei ruhige Jahre. Bis eines Morgens eine Freundin von mir in New York in die Arbeit kam und sagte: ,Ich habe vorhin in der U-Bahn Dein schreiendes Gesicht auf einem T-Shirt gesehen.‘ Ich war natürlich überzeugt, dass sie sich irren musste. Aber sie hatte mit dem Typen gesprochen, der das T-Shirt trug. Der war sich aber nicht mehr ganz sicher, wie der Laden hieß, in dem er es gekauft hatte und wusste nur noch, dass es in Brooklyn gewesen sein musste. War das für dich der Anlass, dich auf die Suche zu machen? Nein, weil ich nicht wirklich daran glaubte, dass das mein Foto ist. Bis ich ein halbes Jahr später mit einem Freund in einen Shirt-Laden ging. Und während er so umherlief, weil er etwas suchte, sah ich plötzlich mein Gesicht. Das war kein kleiner Laden, sondern ein richtig großer Store, mitten in Soho! Und da hing mein Gesicht auf der Stange. Das hat sich sehr komisch angefühlt – aber irgendwie auch interessant. Cool und sonderbar war das, ,Wow, Leute tragen mich‘, dachte ich mir damals. Hast du dich dann auf die Suche nach deinem Gesicht begeben? Noch nicht wirklich. Ungefähr zur gleichen Zeit hatte ich für das Foto auf Flickr einige Anfragen. Einige kleinere Magazine wollten es verwenden. Die suchen sich wohl öfter über Flickr Motive. Und eine größere Anfrage war dabei: Es war kurz vor der US-Wahl, und National Geographic hatte ein Wahlspezial geplant. Für das Cover wollten sie mein Foto – und haben im Gegensatz zu den Shirtproduzenten auch ein bisschen was bezahlt. Ob sie das Foto schon kannten und nur den anständigen Weg gingen oder ob sie es unabhängig davon gefunden haben, weiß ich nicht. Vielleicht haben sie auch einfach „Schrei“ gegoogelt. Ich weiß, dass meine Fotos bei Flickr sehr weit vorne stehen und kurzzeitig auf einer der ersten beiden Seiten waren. Ich selbst habe dann angefangen, nach den Begriffen „scream“ und „screaming“ zu suchen, um zu schauen, wo mein Bild sich noch so befindet. Schon bei der ersten Suche fand ich zehn Bilder auf T-Shirts und als Graffiti. Ich in Mexiko, ich in Iran . . . Und dann hast Du das Facebook-Album mit den Links zu allen deinen Schrei-Bildern angelegt? Ja. Manche Leute denken vielleicht, ich bin verrückt. Aber ich fand es einfach spannend, zu sehen, wo das Internet mein Bild überall hingetragen hat. Zumal immer mehr Freunde zu mir kamen oder mir Mails geschickt haben mit ,Schau‘ mal, ich hab’ Dich dort und dort gesehen.‘ Einige wenige Male haben mich sogar Leute gefragt, ob ich der Typ von dem „Schrei“-Bild bin. Die Facebook-Galerie hat mittlerweile fast 70 Bilder – aus Spanien, Argentinien, aus der ganzen Welt. Und das Bild kommt in den verschiedensten Formen vor: als Buchcover, als Albumcover, als Konzertflyer oder auf Protestplakaten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was aus dem Schrei-Bild alles wurde: eine Auswahl der Ergebnisse. Dein Beispiel steht schon für einen lockeren Umgang mit den Rechten anderer im Internet, oder? Ja, am Anfang war ich schon ein bisschen sauer. Mir geht es da auch nicht nur ums Geld, das hat meiner Meinung nach mit einem Mangel an Respekt zu tun. Aber letztendlich ist es Kunst. Kunst ist gut, Kunst mag ich, die Leute können es einfach benutzen. Einige haben ja sogar gefragt. Hast du vor, die Leute die damit Geld verdienen, zu belangen? Theoretisch könnte ich das – ich habe Rechte im doppelten Sinne, als Fotograf und als Modell. Noch habe ich das nicht vor, das ist alles so groß und komisch und auch schwer zu überblicken. Aber die Möglichkeit möchte ich mir vorbehalten. Vorerst drehe ich den Spieß um und denke mir: ,Was ihr könnt, kann ich schon lange‘ – also Geld aus meinen Gesicht machen. Vor zwei Wochen habe ich meinen eigenen Onlineshop aufgemacht. Dort gibt es Tassen, T-Shirts und sogar Skateboards mit dem Schrei darauf zu kaufen. Auf das Skateboard bin ich gekommen, weil ich eines entdeckt habe, wo jemand mein Gesicht darauf gedruckt hatte. Was glaubst du sehen die Leute in dem Bild? Es drückt wohl gleichzeitig Freiheit und Wut aus. Und das, obwohl ich mich zu der Zeit eigentlich ziemlich gut gefühlt habe. Auf jeden Fall ist etwas sehr Intensives zu sehen. Und der Erfolg zeigt, dass das Gefühl auf dem Bild viele Leute anspricht – unabhängig davon, wer Du bist und wo Du bist. Dennoch: Ich stehe definitiv nicht hinter allem, wofür mein Gesicht verwendet wird. Aber dass dein Gesicht auf Hauswänden in Teheran zu sehen ist, gefällt Dir? Durchaus. Ich weiß zwar nicht, welchen Hintergrund das dort hat, aber das kann man sich ja ein bisschen denken. Und das ist ohnehin meine einzige Chance, als Israeli jemals im Iran zu sein – das gefällt mir.

Text: lea-hampel - Fotos: Noam Galai, Screenshots

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