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Wo ist das Hobby hin?

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In den Poesie-Alben meiner Kindheit wurde so selbstverständlich nach Hobbys gefragt wie nach dem Namen oder der Lieblingsfarbe. Mit der Reihe meiner offiziellen Kinderhobbys – Leichtathletik, Reiten, Klavierspielen – die ich jeweils für ein paar Jahre ausgeübt habe, verbindet mich heute allerdings nichts mehr, nicht einmal eine nostalgische Erinnerung. Das Hobby rückte gegen Ende der Schulzeit immer mehr in den Hintergrund, andere Sachen wurden wichtiger, Kellnern, Reisen, Freunde treffen. Hin und wieder las ich, schrieb etwas, zeichnete und nähte, aber als richtiges Hobby konnte ich keine dieser versprengten Tätigkeiten bezeichnen. Bis heute ist das so geblieben: Ich mache immer irgendetwas – nur nichts regelmäßig. Manchmal überfällt mich darüber ein schlechtes Gewissen. Vielen meiner Freunde geht es genau so.

Laut etymologischem Wörterbuch ist das Wort Hobby eine Verniedlichung von horse, das wortwörtliche Steckenpferd eines Menschen, das einfach nur „jegliche Beschäftigung zur Erholung und zum Zeitvertreib“ meint. Will man sich mit dem Begriff des Hobbys befassen, muss man sich also vor allem mit dem Begriff der Freizeit befassen. Und dessen Geschichte ist in Deutschland nicht gerade alt. Die erste Erwähnung des Wortes Freizeit im Duden findet sich im Jahr 1929. Erst durch die Industrialisierung verschob sich der Fokus der Menschen allmählich von der Arbeit auf die Freizeit. Noch bis in die Fünfzigerjahre hinein war die freie Zeit neben der Arbeit zum bloßen, nicht weiter von hohen Erwartungen gebeutelten Ausruhen gedacht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Wort Hobby kommt vom englischen Begriff für Pferd. Manchmal sieht es aus, als wäre dieses Pferd vom Aussterben bedroht.

Der konkrete Hobby-Begriff wurde erst in den Sechzigern populär. 1964 schrieb die Wissenschaftlerin Liselotte Moser in ihrer Doktorarbeit über die Zusammenhänge zwischen Beruf und Hobby: „Ein nicht realisierter, echter Berufswunsch wird oft kompensiert durch ein mit diesem Berufswunsch verwandtes Hobby.“ Über eines ihrer Fallbeispiele, eine junge Medizinstudentin, die lieber Bildhauerin geworden wäre, aber die Kunst nun als Hobby ausübt, schreibt sie: „Ihr bevorzugtes Hobby wirkt gegen die gereizte Stimmung so sicher wie ein gutes Beruhigungsmittel gegen Nervosität.“ So alt dieser Satz ist, so stimmig trifft er das, was wir uns von unserer Freizeit eigentlich versprechen: ein Interesse, das von keinerlei äußeren Erwartungen abhängt und einem eine Art Freund sein kann, der einen als verlässliche Konstante durch Krisenzeiten trägt. Auch ich sehne mich nach solch einer Konstanten. Als Idealbild dessen schwirrt mir noch immer ein Hobby im Kopf herum. Doch gleichzeitig klingt das Wort in meinen Ohren altmodisch, verstaubt, eben nach einem Hobbykeller, in dem ein Mittfünfziger eine Modelleisenbahn fahren lässt.

Der Freizeitwissenschaftler Professor Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg führt mit seinem Forschungsteam regelmäßig Umfragen zum Freizeitverhalten der Deutschen durch. Er erklärt, dass die Erwartungen an die Freizeit heute viel höher sind als früher. In einer Zeit mit unzähligen Möglichkeiten wollen die Menschen immer weniger verpassen und ihre Zeit so sinnvoll wie möglich nutzen. In der Konsequenz können sie sich für nichts mehr richtig entscheiden. Das Ergebnis ist einerseits der klassische Freizeitstress – und etwas, das vielleicht erklärt, warum das Hobby als isolierte Tätigkeit an Bedeutung verliert: Ein einziges Hobby ist kaum jemandem noch genug. Fast jeder Deutsche übt alle zwei Stunden seiner Freizeit eine neue Tätigkeit aus. Kaum einer fängt am Samstagmorgen etwas an und hört erst am Abend oder am Sonntag damit auf. Reinhardt sagt: „Wir leben unsere Freizeit in einer Art Zwei-Stunden-Rhythmus. Wir brauchen stets etwas Neues. Den alten Satz meiner Jugend: ‚Tue eines zur Zeit’ gibt es so nicht mehr.“ Die Linien zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen zunehmend. Wir verbinden die Besprechung mit den Kollegen mit einem Feierabendbier. Wofür die Freizeit verwendet wird, ist so für viele kaum mehr überschaubar. Reinhardt betont allerdings, dass der Konflikt mit der Freizeit vor allem einer von Menschen sei, die kreativ arbeiten. Der Werftarbeiter mit festen Arbeitszeiten kann in seiner freien Zeit leichter abschalten als jemand, der noch spät abends in Filmen oder Büchern nach Anregungen und neuen Themen für seine Arbeit sucht.

Letztlich klingt der Begriff des Hobbys für mich also vor allem deshalb so überkommen, weil er nicht in meine Lebenswelt passt. Ich gehöre zur Gruppe derer, deren Leben ein schlecht zu trennender Brei aus Arbeit und Freizeit ist. Alles, was mich interessiert, könnte mich auf neue Ideen fürs Schreiben bringen – und lädt sich dadurch automatisch schon wieder mit einem gewissen Druck auf.

In den Studien der BAT-Stiftung wird neben dem gesteigerten Freizeitstress außerdem ersichtlich, dass kaum jemand sich noch ein Mehr an Zeit für das Internet, den Fernseher oder andere mediale Tätigkeiten wünscht – was laut Reinhardt vor einigen Jahren noch durchaus üblich war. „Der Großteil der Befragten will heute einfach nur eines: Endlich Nichtstun. Und endlich mehr Zeit für die Suche nach der inneren Ruhe übrig haben.“

Es ist also vielleicht überhaupt nicht schlimm, dass ich kein Hobby besitze, so lange ich mich mit Dingen zu beschäftigen weiß, die mir Freude bereiten. Tatsächlich wäre es wahrscheinlich am hilfreichsten für eine gesunde Freizeit, den Anspruch des „Hobbyhabens“ einfach ruhen zu lassen und stattdessen die Muße weiden zu lassen. Und vor allem: ein größeres Selbstbewusstsein für all die scheinbar so unbedeutenden Dinge aufzubringen, die ich in meiner freien Zeit tue. Spazierengehen, in Büchern schöne Stellen markieren und amerikanische Serien gucken – das sind letztlich alles hervorragende Beschäftigungen, die keiner weiteren Rechtfertigung bedürfen, solange sie mir, frei nach Liselotte Moser, „ein gutes Beruhigungsmittel gegen die Nervosität“ sind.



Text: mercedes-lauenstein - Foto: Aenbde / photocase.com

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