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"Wir" haben eine Fünf geschrieben

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Die Lehrerin Cornelia Zaumseil leitet seit 13 Jahren den Studienkreis Nachhilfe im bayerischen Bayreuth. Viele bereiten sich dort in Ferienkursen zum Beispiel auf die Aufnahmeprüfung zur Fachoberschule vor oder auf die Nachprüfung vor dem Beginn des nächsten Schuljahres. Ein Gespräch über das Lernen in den Sommerferien und das Stigma der Nachhilfe. jetzt.de: Frau Zaumseil, in welchen Fächern müssen Sie am häufigsten helfen? Zaumseil: In Mathematik und Englisch. Wo hakt’s in Englisch? Zum Beispiel bei der Zeitenstruktur. Inwiefern? Es gibt so viele Zeiten im Englischen! Sie müssen ganz viele Regeln lernen, Signalwörter erkennen. Und wo brennt’s in Mathe? In der Stochastik zum Beispiel. Die gab es früher nicht, deshalb können auch die Eltern nicht helfen. Einer Studie zufolge bekommen gut eine Million Schüler Nachhilfe und es werden mehr. Die zugehörigen Eltern geben dafür bis zu 1,5 Milliarden Euro aus. Sind Nachhilfelehrer der inoffizielle Bestandteil des Bildungssystems geworden? Wir sind mehr und häufiger gefordert. Der Markt verlagert sich. Früher wurde Onkel Erwin oder der Student aus der Nachbarschaft um Hilfe gebeten. Wenn es darum geht, eine kurzfristige Lücke zu schließen, reicht das. Jetzt aber, zum Beispiel durch die Verkürzung des Gymnasiums, bauen sich Lücken auf. Und die Schule lässt weniger Zeit, die Lücken alleine aufzuholen. Wenn die Schüler nachfragen, sagen manche Lehrer: Ich habe keine Zeit, das noch mal zu erklären. Lies im Buch nach.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sind die Lehrer schuld am Boom Ihrer Branche? Gar nicht. Bei 30 Schülern haben sie nicht die Möglichkeit, auf einzelne Fragen einzugehen. Was kostet bei Ihnen die Stunde? Etwa sieben Euro, weil wir die Schüler zwar individuell, aber in Kleingruppen von bis zu fünf Personen unterrichten. Rechnen die Eltern die Kosten für die Nachhilfe schon in den Ausbildungsetat der Kinder? Ja. Viele sagen: Das ist es mir wert. Wir haben Fälle, in denen die Mama für die Nachhilfe der Kinder putzen geht. In einigen Bundesländern sind schon Sommerferien, in Bayern fangen sie gerade an. Stehen jetzt schon wieder Schüler vor Ihrer Tür? Nein, wir haben jetzt eine Woche geschlossen. Jetzt ist die Luft raus. Die Kinder müssen mal durchschnaufen. Meine Empfehlung ist ja, die Kinder vier Wochen mit den Schulsachen in Ruhe lassen. Sie dürfen nicht immer die Angst haben, dass die Eltern gleich wieder mit dem Schulbuch um die Ecke kommen und Vokabeln abfragen. Können Sie das Nachhilfejahr in Phasen teilen? Wir haben hier immer zwischen 150 und 300 Schülern. Gerade sind wir beim Minimum angelangt, da die Abschlussschüler weg sind. Die Hauptsaison beginnt im Januar. Da drohen die Fünfer in den Zwischenzeugnissen. Und die Eltern versuchen, das Ruder rumzureißen. Manche müssen nach dem Schuljahr in die Nachprüfung, die wiederum vor dem Beginn des Schuljahres ist. Sind da zwangsläufig die ganzen Ferien versaut? Aber was heißt denn versaut? Die Lernatmosphäre bei uns ist ausgesprochen fröhlich! Wenn jemand mit zwei Fünfen kommt und in einem Fach auf eine Vier will, empfehle ich schon einen dreiwöchigen Kurs. Warum brauchen wir immer häufiger Nachhilfe? Liegt es nur am höheren Tempo in den Schulen oder lernen wir falsch? Viele können gar nicht strukturiert lernen. Wir fangen jetzt zum Beispiel ein Programm an, in dem wir strukturiertes Lernen schon für Grundschulkinder anbieten. Hinsetzen, Stifte spitzen, Lernplan schreiben, schwierige und leichte Fächer abwechseln . . . Außerdem nimmt die Ablenkung der Kinder durch Spielekonsolen und Handys zu. So kriegt ein Schüler links und rechts nichts mehr mit. Glauben Sie mir: Ein Lehrer hat nicht dieselbe Ablenkungsfähigkeit wie ein iPhone. Die Eltern auch nicht. Die Kinder müssen stärker lernen, konzentriert zu arbeiten. Wie? Wir schauen zum Beispiel auf den Lerntyp. Bist du der visuelle, der auditive oder vielleicht der motorische Lerntyp? Vielleicht ist es gut, wenn du beim Lernen gehst oder häufig schreibst. Und die Kinder müssen Verantwortung übernehmen. Es ergibt ja keinen Sinn, wenn die Eltern bis zur neunten Klasse neben den Hausaufgaben sitzen. Kommt das vor? In Einzelfällen schon. Diese Eltern sitzen dann im ersten Gespräch vor mir und sagen: „Wir haben eine Fünf geschrieben.“ Sind Nachhilfeschüler eigentlich noch stigmatisiert? Von wegen: ,Aha, die schafft’s wohl nicht allein?‘ Hm, das ändert sich gerade. Es gibt immer noch Kinder, die sagen: ,Es soll bitte keiner wissen, dass ich hier bin.‘ Aber dann treffen sie bei uns auf dem Gang fünf Leute, die sie aus der Schule kennen und spätestens in der Kleingruppe sehen sie: ,Ich bin nicht alleine mit meiner „Blödheit“‘. Die anderen können es auch nicht. Das macht Mut.

Text: peter-wagner - Fotos: privat, cydonna/photocase.de

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