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Wir bitten um Verständnis
Da blickt doch eh kein Mensch mehr durch – derlei Sätze hört man oft, wenn das Gespräch auf die Bankenkrise und mögliche Auswege kommt. Die Finanzkrise, das darf an dieser Stelle ruhig gesagt werden, ist tatsächlich eine knifflige Angelegenheit. Spekulationen, Leistungsbilanzen und Exportüberschüsse – alles nicht so einfach. Doch warum geben wir uns eigentlich mit dem Stigma „Finanzkrise ist gleich Verständniskrise“ zufrieden? In der Schule, im Studium und im Job schaltet man ja auch nicht gleich auf Durchzug, nur weil es bei einer Aufgabe nicht sofort klick macht. Sind wir geistig vielleicht wirklich nicht in der Lage, dieses Phänomen zu verstehen? Oder liegt das vielleicht eher an purer Bequemlichkeit? Ein Erklärungsversuch.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
1. Die Thematik
Eines steht fest: Die Hintergründe, Zusammenhänge und Auswirkungen auf den Banken- und Wirtschaftssektor sind komplex. Sicherlich, die Grundzüge, beispielsweise der Griechenland-Krise, lassen sich in Fachliteratur nachlesen. Sie sind in Essays wie Michalis Pantelouris’ „Hände weg von Griechenland“ für jedermann plausibel aufgedröselt. Doch welches Rädchen genau ins andere greift und welches nicht, das ist selbst für Experten schwierig nachvollziehbar. Das größte Problem daran sei die Geschwindigkeit und Dynamik, mit der sich die Finanzmärkte entwickeln, sagt der Börsenexperte Dirk Müller: „Gerade hat man sich mit einem Thema auseinandergesetzt, kommt schon wieder ein neues hinzu. Da wird plötzlich über die Einführung einer Parallelwährung in Griechenland diskutiert, die wieder neue Folgen für Anleger und Sparer hat. Durch dieses Wirrwarr zu steigen, erfordert Zeit und Geduld.“ Vor allem müsse man ständig am Ball bleiben. Auch die Attraktivität der Problematik hält sich in Grenzen. Müller vergleicht es mit dem ersten Besuch eines Formel-1-Rennens: „Am Anfang denkst du dir: Wie sinnlos und monoton ist denn bitte dieses Im-Kreis-Gefahre.“ Allerdings lohne es sich, nicht gleich zu verzweifeln. „Hat man die Rennabläufe erst einmal verstanden, kann Wirtschaft richtig spannend sein.“
2. Die Uneinigkeit der Experten
Um bei Griechenland zu bleiben: Welche Lösung dem klammen Land am ehesten wieder auf die Beine hilft, darüber sind sich Experten genauso uneins wie über die Ursachen für das Aussterben der Dinosaurier. Die einen sind davon überzeugt, es sei das Beste, die Griechen aus der Euro-Zone auszuschließen. Das zum Beispiel sagt der Chef des Ifo-Institutes für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn. Andere halten das für kontraproduktiv und plädieren für strenge Sparmaßnahmen. Mit letzterem sind wiederum andere nicht einverstanden, weil sie meinen, härtere Einschnitte treiben das Land noch mehr in die Rezession. Stattdessen müsse man die Konjunktur der griechischen Wirtschaft mit gezielten Investitionen ankurbeln, wie es Gustav Horn, Leiter des Konjunktur-Forschungsinstitutes IMK, vorschlägt.
Den Laien verunsichern solche Theorien nur. Er ist irritiert. Der Medienpsychologe Frank Schwab erklärt dieses Verhalten mit einer einfachen Denkweise: „Wir sind ein Land, in dem Experten einen sehr hohen Ruf und ihre Aussagen generell viel Glaubwürdigkeit genießen. Dass diese Leute im Fall der Euro-Krise nicht mit Fakten, sondern Hypothesen hantieren und auch mal falsch liegen können, erschüttert unser Weltbild“, sagt Schwab. Der Bürger reagiert darauf mit einer Abwehrhaltung. Er fragt sich automatisch: Wenn schon die Experten keine Ahnung von der Krise haben, wie sollen wir sie dann verstehen?
3. Die fehlende Sachkenntnis von Politikern
Wenn Angela Merkel auf einer CDU-Veranstaltung davon spricht, dass die Griechen viel früher in Rente gehen als die Deutschen und damit selbst zu ihrer misslichen Lage beitragen, dann ist das nicht nur falsch. Es sorgt auch dafür, dass wir pauschalisieren. Wir bemühen uns gar nicht mehr, nach den tatsächlichen Ursachen für die Krise zu suchen. Die umstrittenen Äußerungen eines Philipp Rösler, der meint, der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone habe seinen Schrecken verloren, verschärft die Lage umso mehr, findet Professor Hans Bickes, Kommunikationswissenschaftler der Leibnitz Universität Hannover: „Rösler beweist damit nicht nur Unwissen, sondern verhindert auch, dass Bewegung in eine Lösung des Problems kommt.“ Bickes betont, dass die Bürger nach und nach die Unwahrheit solcher Aussagen erkennen. Gleichzeitig würden sie jedoch das Interesse verlieren, die Krise begreifen zu wollen. Unterschiedliche Expertenmeinungen, Falschaussagen der Politiker – wer wolle da schon noch dahinter steigen?
Wie tief und breit inzwischen der Graben zwischen Bürgern und Politikern ist, zeigt eine erst kürzlich veröffentlichte Studie der Universität Hohenheim. Laut dieser Studie misstrauen 60 Prozent der repräsentativ befragten Bürger den Aussagen der Bundesregierung. Den Oppositionsparteien vertrauen gar 70 Prozent nicht mehr. Und eine Mehrheit von 76 Prozent ist überzeugt, dass die Verantwortlichen die Krise überhaupt nicht mehr im Griff haben.
4. Die Macht der Medien
Die Medien als Mittler und Wächter, als diejenigen, die den Menschen eigentlich erklären sollen, was es mit der Finanzkrise auf sich hat, waren bisher nur bedingt in der Lage, dieser Rolle auch nachzukommen. Schaut man sich heute die Wirtschaftsseiten der führenden Print- und Onlineprodukte an, bekommt man oft das Gefühl, der Leser müsse zum Verständnis der Zeilen zunächst einmal Volkswirtschaft studieren. Der Journalist Michalis Pantelouris bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die Medien ihrerseits „eine Weile gebraucht haben, um die Thematik zu verstehen“. So hätten sie anfangs oft nur an der Oberfläche gekratzt. Zum einen seien dadurch platte Metaphern wie „das können die doch eh nicht zurückzahlen“ entstanden. Zum anderen hätten sich Stereotypen wie die des „faulen und korrupten Griechen“ verfestigt.
Wer seit etwa 2010 in deutschen Medien die Berichterstattung über die griechische Finanzkrise verfolgt, dem dürfte zudem nicht entgangen sein, was Boulevardblätter über die Griechen geschrieben haben. Dort wurden sie als „Pleite-Griechen“ und „Euro-Verbrenner“ dargestellt. Sie wurden als diejenigen verschrien, die nicht einmal in der Lage waren, ihre eigenen Kunstschätze zu schützen – wie im Fall des gestohlenen Picasso-Gemäldes aus der Nationalgalerie in Athen. Statt Opfer waren sie auf einmal Täter. Für Kommunikationswissenschaftler Bickes hat die mediale Darstellung der Griechen als Schuldige auch zu einer Verschleierung der Faktenlage beigetragen: „Viele wissen gar nicht, dass das Gros der Rettungsgelder nicht der griechischen Wirtschaft, sondern vor allem dem Bankensektor zu Gute kommt.“ Dieser trage auch die Hauptschuld an der Krise.
Apropos Wissen: Natürlich wird niemand alle Zusammenhänge verstehen, die sich hinter dem Phänomen Finanzkrise verbergen. Doch ist nicht gerade die jüngere Generation gefordert, sich zumindest mit den Grundzügen dieser Problematik auseinanderzusetzen und vielleicht Lösungen anzubieten, die verständlich sind? Nicht nur, weil uns die Krise ja auch selbst betrifft – immerhin haftet Deutschland für den erst jüngst verabschiedeten Rettungsschirm ESM mit bis zu 310 Milliarden Euro. Sondern auch, um bei den vielen Unwahrheiten, die über Politiker und Medien verbreitet werden, nicht den Überblick zu verlieren. Unserer Solidarität für ein schwer angeschlagenes Volk würde das obendrein sicherlich auch ganz gut tun.
Der Text erscheint im Rahmen einer Kooperation mit der Deutschen Journalistenschule. Deren 50ste Lehrredaktion hat unter dem Titel Franz Josef ein junges politisches Magazin erstellt, das demnächst erscheint. Das Erscheinungsdatum und den Link zum Magazin-PDF findest du auf facebook.com/FRNZJSF.
Text: matthias-fiedler - Mitarbeit: Simon Heinrich; Illustration: katharina-bitzl