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Wii die Enkel
Zwei Mal lässt Frau Schülgen, 73, die Kugel fallen, aber beim dritten Anlauf schafft sie es: Die Kugel gleitet die Bahn entlang und dann, peng!, krachen die Pins um. „Alle Neune!“, ruft Frau Goller, 95, begeistert, dabei sind es eigentlich sogar zehn. Denn die beiden Damen spielen Bowling. Zusammen mit weiteren Mitbewohnern des Seniorenwohnheims Nymphenburg haben sie sich im Gemeinschaftsraum versammelt und schieben nun eine ruhige Kugel nach der anderen - auf der Leinwand. Die Spielekonsole „Wii“ macht es möglich. Richtiges Bowling, das ginge nicht, „dafür sind wir zu alt“, sagt Frau Goller. Aber mit der Konsole, die ja eigentlich auch eher für die Jungen gedacht ist, klappts. Organisiert haben das Josef Kiener, 34, und Markus Deindl, 26. Die beiden studieren Soziale Arbeit an der FH München und wollten in ihrem Praxissemester ein Projekt mit Senioren machen, „weil sonst immer alle nur mit Kindern und Jugendlichen arbeiten“, wie Josef erklärt. „Ist doch ganz nett“ Als Markus sich vor zwei Jahren eine „Wii“ kaufte und mit seinem Bruder spielte, wurde die Oma neugierig. „Ich war überrascht, wie schnell sie das System verstand und dann mit uns Bowling, Tennis oder Golf spielte“, sagt Markus. Wenn meine Oma das kann, dachte er, dann können das auch andere. Zusammen mit Josef zog er los. Allein im letzten Jahr besuchten sie 60 Altenheime in elf Städten und veranstalteten dort die deutsche Seniorenmeisterschaft im „Wii“-Bowling. Sie wollen den Gemeinschaftssinn der alten Menschen stärken, ihnen helfen, ihre motorischen Fähigkeiten zu trainieren, und ihnen nicht zuletzt die Angst vor der Technik nehmen. Im Wohnheim Nymphenburg funktioniert das auf Anhieb. Interessiert schauen die Senioren sich einen Werbefilm an und lassen sich dann bereitwillig die weißen Fernbedienungen ans Handgelenk schnallen. Als Markus erklärt, dass die besten drei am Ende eine Medaille bekommen, wird gelacht. Ein Wettbewerb, das finden sie lustig. Konkurrenz gibt es normalerweise nicht im Seniorenheim. Deswegen wird auch nicht hämisch gelacht, als Frau Halseband das mit dem Knopfdrücken und wieder Loslassen nicht gleich versteht. Oder als Frau Hahn sich in der ersten Runde lieber mit einer Hand an ihrem Rollator festhält, weil sie noch nicht einschätzen kann, wie das beim Ausholen mit dem Gleichgewicht ist. „Sie können sich auch an uns festhalten“, sagt Markus, „dafür sind wir ja da.“ Auch Rollstuhlfahrern und Demenzkranken haben die Studenten schon Bowling beigebracht. „Aus dem meisten Veranstaltungen werden die herausgehalten, weil sie motorisch oder geistig nicht dazu in der Lage sind“, sagt Josef. „Aber bei uns kann wirklich jeder mitmachen.“ Tatsächlich haben die alten Herrschaften den Dreh schnell raus. Nachdem das mit dem Knopfdrücken geklärt ist, fallen reihenweise Spares und Strikes. Dann wird applaudiert und gelobt, aber es ist doch anders als beim normalen Spieleabend unter Freunden. Langsamer, bedächtiger und auch nicht ganz so spannend. Den Senioren jedoch macht es auf jeden Fall Spaß. „Das ist doch ganz nett“, sagen viele und Frau Goller freut sich auch: „Es ist mal was anderes, da kann man sich beweisen, dass man noch was drauf hat.“ Sonst macht sie nämlich nur einen Zeichenkurs und die immer gleiche Gymnastik, die das Wohnheim nachmittags anbietet. Markus und Josef machen den Alltag im Seniorenheim etwas bunter – dazu sind manchmal ihre Überredungskünste gefragt. „In München mussten wir 20 Einrichtungen anrufen, ehe wir fünf hatten, die mitmachen wollten“, sagt Josef. „Das alte Vorurteil, dass Senioren und Technik nicht zusammengehen, gibt es oft selbst bei den Angestellten noch.“ In anderen Städten sei man da aufgeschlossener. So gründete ein Kölner Heim extra eine Mannschaft. Ein halbes Jahr lang trainierten sie dort zwei Mal die Woche, um den Meisterschaftspokal zu holen. „Die hätten sogar mich abgezockt“, sagt Markus und grinst. Zockende Senioren Inzwischen haben die beiden auch Anfragen von Heimen aus kleineren Städten und sogar aus der Schweiz und Österreich, die an der Meisterschaft teilnehmen wollen. Aber dazu fehlen ihnen Zeit und Geld. Erstmal schreiben sie jetzt ihre Bachelorarbeit über die zockenden Senioren. „Danach würden wir die Meisterschaft gern bundesweit etablieren“, sagt Josef. Die Münchner Senioren sind jedenfalls begeistert. Am Ende schafft Frau Hahn es sogar ganz ohne den Rollator – obwohl es nach zehn Runden dann „doch ein bisschen anstrengend“ wird. „Dass man so viel Kraft braucht, hätte ich nicht gedacht“, sagt Frau Goller, „dabei bin ich doch gar nicht so schwach.“ Trotzdem ist sie fest entschlossen, weiter zu üben. Frau Schülgen will auch mitmachen, schließlich hat sie hat die Medaille für den zweiten Platz gewonnen. „Wie teuer ist das denn? Lasst uns doch zusammenlegen!“