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Wenig westerwellig

Foto: Charlotte Haunhorst

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Gespräche über Konstantin Kuhle laufen meistens so ab: „Eigentlich würde ich ja nie FDP wählen. Aber . . .“ Aber Konstantin sei so nah an den Problemen echter Menschen. Aber Konstantin sei trotz Jurastudium gar kein Schnösel im Polohemd, sondern jemand, mit dem man gerne mal ein Bier trinken gehen würde. Aber Konstantin sei eben ein lockerer Typ. Spätestens beim letzten Satz kommen schlechte Erinnerungen hoch. „Lockerer Typ“ in Verbindung mit „FDP“ – das wollte Guido Westerwelle auch sein. Und am Ende trug er Schuhe mit einer 18 druntergeklebt und fuhr mit dem Guidomobil durch die Republik. Und überhaupt: die FDP? Ist die nicht tot? Die FDP selbst sagt, und das muss sie natürlich: Nein, wir sind nicht tot. Wir erfinden uns gerade neu. Und dass wir 2013 aus dem Bundestag geflogen sind, war eine super Chance. Der 26-jährige angehende Jurist Konstantin Kuhle, seit vergangenem Frühjahr Vorsitzender der Jungen Liberalen (JuLis), soll dabei, neben dem FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner, das Gesicht dieser Neuerfindung sein.

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Liberal, aber anders: Konstantin Kuhle

Foto: Charlotte Haunhorst

An einem kalten Samstag im November, im ICE Richtung Hamburg, sieht dieses Gesicht müde aus. Schatten unter den Augen und Dreitagebart. Konstantin reist gerade von einem Vormittags-Termin in Marburg, bei dem er, obwohl aus der Kirche ausgetreten, als Redner über Religionspolitik eingeladen war, zu einem nächsten nach Stade. Gestern war er in Rheda-Wiedenbrück, morgen ist er in Berlin. Jetzt entschuldigt er sich kurz und verschwindet noch in Sakko und Hemd und mit seinem schmuddeligen Eastpak-Rucksack in der Toilette. Heraus kommt er im Hoodie. „Bucerius Law School“ steht da drauf, eine private Jura-Hochschule in Hamburg. Ansonsten würde Konstantin locker als Politikstudent durchgehen, der in irgendeinem AStA sitzt.

Konstantin halst sich fast mehr auf, als er schaffen kann – aber er  findet seinen Job halt „geil“

Gerade ärgert sich über sich selbst. Eigentlich hatte er einen Mietwagen gebucht – allerdings auf den falschen Tag. Nun muss er Bahn fahren, das mach alles umständlicher, und andauernd vibriert sein Handy, weil irgendjemand etwas will. Man könnte jetzt sagen, das ist Konstantins Job. Aber eigentlich ist er hauptberuflich juristischer Referendar, für den Job bei den JuLis gibt es gerade mal eine Aufwandsentschädigung. Freund und Freizeit muss er zwischendurch unterbringen. Als Konstantin endlich alle Nachrichten abgearbeitet hat, legt er das Handy beiseite. Die Zugfahrt nach Stade dauert da noch gute fünf Stunden. Fünf Stunden Zeit also, um Konstantin Kuhle kennenzulernen und sich im Gespräch immer wieder zu fragen: „Ist der wirklich bei der FDP?“ Denn er sieht nicht nur nicht so aus. Er klingt auch nicht so. Konstantin hat viele Themen im Kopf, über die er reden möchte: Flüchtlingspolitik („AfD-Style steht da nicht zur Debatte“), Angela Merkel („Ich habe Respekt davor, dass sie Haltung zeigt“), Politikverdrossenheit („Die Leute machen es sich zu einfach, wenn sie sagen, die Jugend würde die Politik nicht interessieren“) und sein Herzensthema, die Bildungspolitik („Warum sind wir da immer noch so Mittelmaß? Und so sozial ungerecht?“). Außerdem: Digitalisierung, eines der Themen, mit denen die FDP neue Wähler gewinnen will. Nebenbei erfährt man etwas über sein bisheriges Leben. In der Schule hat er ein Auslandsjahr in Ecuador absolviert, eine kleine Ethno-Geldbörse zeugt von dieser Zeit. Beim Zivildienst hat er Altkleidercontainer ausgeleert. Sein Vater ist Kapitän bei der Handelsmarine, die Mutter Lehrerin – und bis vor Kurzem haben beide nie die FDP gewählt. Für die Law School musste er einen Studienkredit aufnehmen. Er mag Theaterspielen und verwendet ziemlich häufig das Wort „geil“. Er scheint schnell für Sachen zu brennen, vielleicht sogar für mehr, als er schaffen kann. „Aber ich finde meinen Job geil“, sagt Konstantin und man merkt, wie er jetzt aufdreht, weil er es schon wieder gesagt hat.

Ist die ganze Sache mit der neuen FDP wirklich neu? Oder ist das alles nur cleveres Rebranding?

Wo ist die FDP-Kühle? Das altbekannte „Leistung muss sich lohnen?“ Nur einmal kurzes Aufhorchen beim Thema Flüchtlinge: „Es muss einen Unterschied machen, ob man sich anstrengt oder nicht.“ Aha! Direkt schiebt er hinterher: „Das klang jetzt sehr westerwellig, nicht wahr?“ und grinst breit über seinen Witz. Er erklärt, dass jeder, der in Deutschland arbeiten und leben wolle, auch eine Chance dazu bekommen müsse und nicht direkt abgeschoben werden dürfe. Und er wünscht sich legale Fluchtmöglichkeiten und humanitäre Visa für Flüchtlinge. Kurz vor Stade zeigt Konstantin stolz eine Powerpoint-Präsentation auf dem Handy: das neue Logo der JuLis, extra designt von einer Agentur. Da ist schon noch Gelb drin, aber auch viel Magenta. „Ich find’s richtig geil“, sagt Konstantin und schenkt einem direkt noch eine seiner neuen Visitenkarten. Er wischt immer wieder in der Präsentation vor und zurück, um noch die türkise Variante zu zeigen. Die Frage drängt sich auf: Ist diese ganze Sache mit der neuen FDP wirklich neu? Oder ist das alles cleveres Rebranding und der Inhalt bleibt der gleiche? Zumindest Konstantin glaubt man, dass er es ernst meint. Dass er wirklich von einer neuen FDP träumt. Vielleicht hat das auch mit seinem Weg in die Partei zu tun – der war nämlich Zufall. Aufgewachsen im niedersächsischen Nirgendwo wurde er als 13-Jähriger in der Einbecker Fußgänzerzone von den Jungen Liberalen angesprochen: „Die haben mir angeboten, mich nach den Sitzungen nach Hause zu bringen, da fuhr ja kein Bus mehr.“ Er ging hin. Es gefiel ihm dort. Er fälschte sein Geburtsdatum, trat so noch vor seinem 14. Geburtstag den JuLis bei und wurde dadurch, anders als bei anderen Jugendorganisationen, automatisch auch Partei-Mitglied. Mit 17 war er bereits stellvertretender Landesvorsitzender der JuLis Niedersachsen, mit 20 Beisitzer im Bundesverband. Eine sehr gerade Politikerkarriere. Bis die FDP 2013 aus dem Bundestag flog. Und auf einmal klar wurde: Da macht in den kommenden vier Jahren erst mal keiner mehr Karriere. Da macht man außerparlamentarische Opposition, sammelt die Scherben auf. Für die meisten Machtmenschen der Moment, einen gut bezahlten Job in der Privatwirtschaft anzunehmen. Dirk Niebel macht jetzt Rüstung, Philipp Rösler irgendwas beim Weltwirtschaftsforum.

„Während des Wahlkampfs war ich wütend auf die FDP. Als sie dann rausflog, war ich nur noch traurig. Aber ich hab darin auch eine Chance gesehen. Und da hatte ich Bock drauf!“

Konstantin war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt und stand kurz vorm ersten juristischen Staatsexamen. Er hätte woanders Karriere machen können. Stattdessen wurde er nach dem Uniabschluss Bundesvorsitzender der JuLis. „Während des Wahlkampfs war ich wütend auf die FDP. Als sie dann rausflog, war ich nur noch traurig. Aber ich hab darin auch eine Chance gesehen. Und da hatte ich Bock drauf!“ In der Nacht nach der Wahlniederlage gab es mehr als 100 neue Mitgliedschaftsanträge bei den JuLis, die Mitgliederzahlen sind mit etwa 10 000 seitdem konstant – was aus Konstantins Sicht gut ist, da jedes Jahr automatisch viele austreten, wenn sie 35 werden. In Stade fragt Konstantin am Bahnhof nach dem Weg zum Hotel – sein Internet ist gedrosselt, aufstocken wäre zu teuer. Das mit dem Hotel ist auch eine Ausnahme. Denn seit die FDP-Gelder knapper geworden sind, heißt es auch bei den JuLis: sparen! Wenn möglich soll man bei Freunden auf der Couch schlafen.

Ein JuLi beim Christopher Street Day? Ein älterer Herr sagt: „Das hätte es früher nicht gegeben.“

Im Veranstaltungssaal warten bereits etwa 50 junge Leute. Viele Karohemden und Ringelpullis, die wenigen älteren Gäste tragen Hemd und Sakko. „Mist, wir haben Philipp verpasst“, sagt Konstantin. Er meint Philipp Rösler, auch Niedersachse und Ex-JuLi. Dann muss er selbst auf die Bühne, Thema ist „35 Jahre JuLis Niedersachsen“. Der Moderator stellt die Diskutanten dem Publikum vor, nur bei Konstantin sagt er: „Der letzte Gast ist euch ja allen bekannt: Konstantin, schön, dass du da bist.“ Das Publikum jubelt. Der Moderator fragt ihn halbernst, ob die JuLis eine neue Mutterpartei bräuchten. Konstantin trinkt einen Schluck Bier aus der Flasche und sagt: „Dass wir die FDP weiterhin unterstützen, auch beim Wahlkampf, haben wir doch bereits direkt nach der Wahlniederlage entschieden. Das verbietet uns nicht, selbst zu denken.“ Wieder Applaus. Als Sitznachbar Patrick Döring, ehemaliger FDP-Generalsekretär und Vorstandsmitglied eines Konzerns für Haustierversicherungen, nach der Zukunft der FDP gefragt wird, bepöbelt er erst einmal die Medien. Höflicher Applaus. So einer wie Döring funktioniert hier nicht mehr so richtig. Nach der Diskussion läuft „Freiheit“ von Westernhagen, an der Wand flimmern alte Fotos entlang. Viel Wahlkampf, viel Jägermeister. Auf einem Foto: Konstantin mit den JuLis beim Christopher Street Day. Ein älterer Herr in der letzten Reihe sagt zum Sitznachbarn: „Das hätte es früher nicht gegeben.“ Am nächsten Morgen steht Konstantin trotz Feierei bis drei Uhr Früh pünktlich um Viertel vor acht am Bahnhof. „Morgens geht bei mir besser als nachmittags“, sagt er und switcht im Zug wieder vom Hoodie zum Jackett. Ob er auch auf den Döring switchen und ein bisschen rumpöbeln könne, wenn das Publikum es erwarte? „Wenn Populismus bedeutet, politische Überzeugungen auch mal auf einfache Worte runterzubrechen, dann mache ich das natürlich. Aber es müssen halt meine Überzeugungen sein.“

Er mag den Straßenwahlkampf: Da kann man die Leute packen, wenn sie nicht damit rechnen

Das ist natürlich eine Politikerantwort. Aber Konstantin hat wirklich Potenzial, zu überzeugen. Er ist ein guter Rhetoriker. Gestern, in Marburg, sagte eine Organisatorin: „Es war eine Freude, dir zuzuhören und etwas von der angekündigten Wende bei der FDP spüren zu können.“ Und er ist kampflustig, jemand, der nach eigener Aussage gerne dorthin geht, wo fast alle gegen ihn sind: „Nur dann kann man die Leute mit guten Argumenten richtig überraschen.“ Deshalb möge er auch so sehr den Straßenwahlkampf. Weil man da die Menschen packen kann, wenn sie am wenigsten damit rechnen. Und er scheut auch die Provokation nicht. Das zeigte eine Kampagne kurz nach der Wahlschlappe 2013. Da posierten er und seine Kollegen im Stil der Kommune 1 mit nackten Hintern an einer Wand. Selbstironischer Slogan: „Wer hätte gedacht, dass wir Liberalen mal die Werte der 68er verteidigen müssen?“ Das Bild wurde von Facebook gelöscht, die JuLis forderten ihr Recht auf Nacktheit – und blieben im Gespräch. Auch, dass die FDP im vergangenen Mai auf dem Bundesparteitag mit 62 Prozent für die Legalisierung von Cannabis gestimmt hat, geht aufs Konto der JuLis. Als Konstantin gegen elf Uhr in der Bundesgeschäftsstelle der FDP in der Berliner Reinhardtstraße ankommt, haben sich dort schon alle Menschen versammelt, die jetzt noch in der FDP wichtig sind. „Freiheitskonvent“ heißt die Veranstaltung, Christian Lindner wird über die Digitalisierung reden. Das ist ziemlich clever, denn seit dem Untergang der Piratenpartei besetzt niemand mehr dieses Thema. Tatsächlich sitzen in der ersten Reihe zwei Ex-Piraten, die gerade öffentlichkeitswirksam die Partei gewechselt haben. Konstantin kennt viele Leute hier, dauernd klopft ihm jemand auf die Schulter und will smalltalken. Das ist gut für ihn. Denn wenn es mit der FDP und dem Bundestag 2017 klappen soll, wenn alle Rheda-Wiedenbrücks, Stades und Marburgs abgearbeitet sind, dann will Konstantin doch sicher hier hin: nach Berlin. Oder? „Erst mal will ich erreichen, dass junge Menschen wieder stolz sein können, wenn sie auf dem Campus oder in der Schule sagen ‚Ich bin bei den JuLis‘.“ Das ist natürlich keine Antwort auf die Frage. Er kann ja nicht für immer der Vorsitzende einer Jugendorganisation bleiben. Aber auch bei genauerem Nachbohren: So richtig will Konstantin mit der Antwort nicht rausrücken. Im Jahr 2024 müsste er bei den JuLis altersbedingt austreten. Wahlen gäbe es bis dahin genügend. Und vielleicht ist Konstantin da ja am Ende doch ein typischer FDPler: So viel arbeitet er sicher nur, wenn es sich am Ende auch lohnt.

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