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Was will dieses Plakat von mir? Was Werbung wirklich taugt
Ist mein Werbeslogan noch zeitgemäß? Können die Menschen eigentlich was mit meinen Prospekten anfangen? Wenn Unternehmen ihre Werbung oder ihre Marketingstrategien hinterfragen, klopfen sie gerne am Lehrstuhl für Organisatons- und Wirtschaftspsychologie der Ludwig-Maximilians-Universität an. Die Studenten von Dr. Florian Becker, 30, wiesen etwa in einer eigens angefertigten Studie für den Elektrogeräteverkäufer "Saturn" nach, dass der Slogan „Geiz ist geil“ überholt ist. Unter anderem, weil das einstige Modewort „geil“ etwas Patina angesetzt hat (siehe auch Interview auf Seite 5). Für jetzt.muenchen beurteilt Florian Becker zunächst die Qualität von Werbeplakaten in der Münchner Innenstadt. Plakat 1: Transrapid
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ich sehe sofort die „Großdemo“, die Signalfarbe rot und eine Mensch-Tier-Maschine-Mischung: Es geht um ein technisches Projekt und das wird personifiziert. Es werden negative Emotionen kanalisiert und in einem Gesicht ausgedrückt. Das ist schon mal gut, weil Gesichter beachtet werden. Wir haben sogar eigene Neuronen im Gehirn, die nur darauf spezialisiert sind, Gesichter zu erkennen. Anfang des vergangenen Jahrhunderts war es in der Propaganda der politischen Parteien üblich, den politischen Gegner als Monster darzustellen. Deshalb ist das Plakat knallharte Werbung, dessen muss man sich bewusst sein. Hier ist jemand am Werk, der den Zweck sieht und bei den Mitteln wenig zimperlich ist. Eine politische Partei würde so heute nicht mehr vorgehen. Die Argumente unten auf dem Plakat liest der normale Mensch nicht mehr. Das sind auch eher Scheinargumente. Nächste Seite: Wie die SPD wirbt
Plakat 2: SPD
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Werbepsychologisch ein Albtraum und meiner Meinung nach schiere Geldverschwendung. Es fällt nicht auf und hat die Anmutung des Beipackzettels eines Medikaments. Ich habe keine Lust, das zu lesen. Das lesen, wenn überhaupt, nur die eigenen Anhänger, aber auch die werden keine Lust haben, zu der Veranstaltung hin zu schauen. „Erhaltungssatzung“. Das ist Behördendeutsch und wird danach mit der SPD assoziiert. Und es werden unbekannte Namen hervorgehoben. Warum? Nächste Seite: Wie ein Münchner Club wirbt
Plakat 3: Die Registratur
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das ist so eine Sache. Wenn man was kommunizieren will, muss man auffallen und trotzdem die Information vermitteln. Aber diese Schrift kann leider kein Mensch lesen. Der Lesewiderstand ist extrem hoch. Wir haben nur circa eine Sekunde, um unsere Botschaft auf einem Plakat auch an den Mann zu bringen – hier wird sie leider nicht rübergebracht. Das Plakat wird zwar beachtet, kann aber vom Leser nicht verarbeitet werden. Es kommt nur die Erinnerung an einen LSD-Trip rüber. Aus psychologischer Perspektive muss ich sagen: eine deutlich missglückte Werbung. Nächste Seite: Wie der Münchner Verkehrsverbund wirbt
Plakat 4: MVV
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der Reim bleibt im Gedächtnis, so was ist aus psychologischer Sicht bewährt. Dann wird auch gleich der Vorteil knallhart geschildert und dazu bekomme ich noch eine Telefonnummer genannt – der Nutzen für die Leute kommt deutlich rüber. Das Plakat ist kein Durchbruch, aber gut gemacht. Das Problem des Münchener Verkehrsverbundes ist aber nicht auf dem Plakat zu sehen; das Problem ist die Markenarchitektur. Es gibt die MVG und den MVV und die Deutsche Bahn – alle drei Gesellschaften treten dem gleichen Kunden öffentlich getrennt voneinander entgegen. Warum muss diese Organisationsstruktur rübergetragen werden? Warum gibt es nicht einen Dienstleister? Das verwirrt den Kunden und kostet sehr viel Geld, die Marken aufzubauen. Ein gigantischer Fehler. Nach dem Spaziergang haben wir mit Florian Becker über die Praxisprojekte gesprochen, die er betreut. Warum sich seine Studenten bisweilen mit der Beduftung von Geschäften und mit Genitalwarzen beschäftigen? Nachlesen, nächste Seite.
Florian, deine Studenten fanden heraus, dass der Slogan „Geiz ist geil“ nicht mehr funktioniert. Jetzt wird er nicht mehr verwendet. Was ist falsch an dem Spruch? Der Claim ist seit fünf Jahren im Gebrauch, heute wirkt er verbraucht und alt. Außerdem war das Wort „geil“ mal ein Modewort – heute wirkt es sehr alt und out. Und während eines wirtschaftlichen Aufschwungs, wie wir ihn im Moment haben, sind die Themen Geiz oder Sparen nicht mehr aktuell. War das das Ergebnis der Studie deiner Studenten? Ja, das war ein Viererteam – zwei Psychologinnen, eine Soziologin und eine BWLerin. Wie sind die darauf gekommen? Wir haben eine umfangreiche Vorstudie gemacht, in der wir untersucht haben, wie die Menschen auf die Prospekte reagieren, zum Beispiel auf „Blue“, die Frau in der Saturn-Werbung. Insgesamt kann man sich da 80 Punkte anschauen. Die Studentinnen haben mehrere Hundert Personen befragt und mit Marketingexperten, Designern und auch mit Philosophen gesprochen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Florian Becker.
Ergebnis?
„Blue“, das Model in den Prospekten kam nicht mehr so gut an.
Warum?
Sie wirkte aufdringlich und unangenehm. Zusammen mit dem Slogan wirkte sie auf die Testpersonen noch aggressiver. Die neue Frau ist anders. Sie wirkt wärmer, da sind mehr Brauntöne, sie ist menschlicher, sie tritt nicht aggressiv auf.
Geht die Änderung nur auf diese Studie zurück?
Das kann ich nicht sagen. Das Unternehmen arbeitet mit unseren Daten weiter und viele der Handlungsempfehlungen sehen wir jetzt umgesetzt.
Welche Unternehmen werden bei dir mit ihren Fragen zu Marketing und Werbung vorstellig?
Pharmakonzerne, Autokonzerne – die Liste liest sich wie ein Who is Who der deutschen Wirtschaft. Politische Parteien fragen auch nach.
Warum kommen die Unternehmen zu dir und deinen Studenten, wenn sie ihre Werbung überarbeiten?
Wir machen das schon seit über 25 Jahren, das hat sich herumgesprochen. Und die 20 Studenten, die jedes Jahr an Praxisprojekten für Unternehmen arbeiten, sind sehr gut. Das sind Leute, die haben oft nebenbei ein Unternehmen hochgezogen oder sind Vorstände in Verbänden und Clubs und gründen Vereine.
Kann da jeder mitmachen?
400 Studenten nehmen jedes Jahr an meinen Vorlesungen in Wirtschaftspsychologie teil und gut 120 von ihnen bewerben sich für diese Projekte. Wir können aber nur 20 zulassen, die dafür dann intensiv betreut werden und Managementkurse, Rhetorikkurse und mehr bekommen. Was wir machen ist eine anwendungsorientierte Ausbildung, die im Semester 400 Stunden zusätzliche Arbeit bedeutet.
Soviel?
Ja, da gibt’s vor der Präsentation beim Unternehmen auch kein Wochenende mehr. Teilweise gehen da auch Beziehungen dran kaputt.
Welche Themen bearbeiten die Studenten? Was sind die Ergebnisse?
Beispiel „Kosmetik für Männer“: Ergebnis einer Studie war, dass die meisten Männer das Shampoo der Freundin mitbenutzen. Die nehmen einfach, was im Bad steht. Aber gleichzeitig interessieren sich immer mehr Männer für Kosmetik! Wir hatten auch mal ein hartes Projekt aus der Pharmabranche, da ging es um Genitalwarzen. Die Frage war: Wenn jemand so was hat – wohin geht er, wo lässt er sich beraten? Das Problem für das Pharmaunternehmen war: Die hatten ein Medikament, kannten aber den Kunden nicht. Jetzt finde da mal Versuchspersonen, die sagen: Ja, ich hatte das und ich möchte an einem Interview teilnehmen! Eine unserer Studentinnen hat das zu ihrer Diplomarbeit gemacht und über Inserate dann tatsächlich Testpersonen gefunden.
Gibt es denn größere Trends, die sich aus den Arbeiten lesen lassen?
Fernsehwerbung zum Beispiel wird es nicht mehr lange in dem Ausmaß geben. Es wird mehr Video on Demand geben und die Branche, die sich auf „störende Werbung“ versteht, bekommt ein Problem. Niemand ist mehr bereit, sich stören zu lassen. Wir sehen da ein starkes Abnehmen der Massenkommunikation – das ist etwas, was man aus mehreren unserer Studien ableiten kann.
Stimmt es, dass ihr auch Arbeiten über „Beduftung“ gemacht habt?
Ziemlich viel sogar. Der normale Verbraucher ahnt gar nicht, wie viel beduftet wird. Wenn man an einer Bäckerei vorbei geht und es duftet nach Brötchen, sind das oftmals synthetische Düfte, die aufmerksam machen auf das Geschäft. Cremes, Gummihandschuhe, Autos, Computer-Hardware – alles beduftet. Viele Unternehmen haben einen eigenen Unternehmensduft, der zur Marke passt.
Es gibt Unternehmensdüfte?
Corporate Düfte, ja.
Wie funktioniert das?
Das sind kleine Geräte, die kann man kaufen und die beduften den Raum. Kaffee ist da übrigens ein sehr beliebter Geruch. Das wissen auch Immobilienmakler: Wenn ein Haus unangenehm riecht, platziert man Kaffee und der Mensch fühlt sich gleich wie zu Hause. Aber auch Pheromone werden zum Beduften eingesetzt. Zum Beispiel wissen wir, dass der Geruch von jungen Männern aggressiv macht. In einer Studie wurden Inkassoschreiben bisweilen mit solchen Pheromonen beduftet – da zahlten die Kunden schneller.
Wenn münchen einen Corporate Duft hätte – wie würde der riechen?
Nach Weißbier?
Text: peter-wagner - Fotos: pw, privat