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Was Spaß macht, muss nicht lustig sein
Vor ein paar Tagen ist das neue Album „Leseliste“ des Rappers Misanthrop bei dem kleinen Label leave.music erschienen. Darin verarbeitet er Klassiker der Weltliteratur. Während Misanthrop auch schon auf Lateinisch rappte, fällt sein Kollege Omega Takeshi durch seine düsteren Texte auf. Das lässt den Schluss zu, dass der Besuch in ihrem Studio in der Blumenstraße anstrengend werden könnte. Immerhin: Die Sonne scheint durchs Fenster und es gibt Bier. Ein Gespräch über depressive Texte, Effi Briest und die Frage, was an Hip Hop eigentlich pubertär ist. jetzt.muenchen: Misanthrop, vor ein paar Tagen ist Dein Konzeptalbum „Leseliste“ auf den Markt gekommen. Die Titel heißen „Effie Briest“, „Der Mann ohne Eigenschaften“ oder „Warten auf Godot“. Kannst Du das Konzept kurz vorstellen? Misanthrop: Die Idee war, Themen und Buchtitel zu sammeln, die ich dann zusammenbringe. Ich lasse mich von dem Buch oder dem bloßen Titel beeinflussen. Ein Beispiel: Effi Briest, handelt von Liebe, so handelt auch der dazugehörige Songtext von der Liebe und einem persönlichen Erlebnis. Normalerweise hat man bei der Musik ja eher 14- bis 20-Jährige vor Augen, die einen auf besonders fies machen. Ihr zieht mit eurer Musik aber ein anderes Publikum an. Kommt ihr manchmal in Erklärungsnot, wenn ihr sagt, dass ihr als Mittdreißiger Hip-Hop macht? Omega Takeshi: Es kommt nur schnell die Frage auf, ob wir davon leben können: Können wir natürlich nicht. Misanthrop: Die meisten unserer Fans kommen zwar aus dem Hip-Hop-Bereich. Aber das mischt sich dann ein bisschen mit der Indie-Ecke. Omega Takeshi: Hip-Hop hat ja schon etwas Pubertäres. Was ist daran pubertär? Omega Takeshi: Es dreht sich unglaublich viel um Selbstdarstellung. Den ganzen Gangster- und Porno-Rappern aus Berlin geht es vor allem ums Provozieren und Übertreiben. Sie sagen im Prinzip nicht nur, wie geil sie selbst und wie schlecht die anderen sind. Bushido macht das ja in jedem Lied. Früher stand eher ein Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Klingt nostalgisch... Omega Takeshi: Wir haben uns einfach in eine andere Richtung entwickelt. Aber letztlich geht es uns auch um Beats und Reime, darum, etwas Eigenes zu erschaffen, anstatt Altes zu kopieren. Misanthrop: Wir machen Rap-Musik, die von Popmusik aber weit entfernt ist. Rap und Pop haben sich in den letzten Jahren extrem angenähert. Omega Takeshi: Früher hatte Hip-Hop noch etwas Subversives. Omega, die Texte auf Deiner Platte klingen ziemlich düster: „Wir sind außer Kontrolle“, „Wir drehen uns immer schneller und drehen langsam durch“, „Jeder Tag ist Montag“. Man könnte meinen, Du steckst gerade in einer Lebenskrise. Omega Takeshi: Nein, eigentlich nicht. Eigentlich möchte ich, dass meine Platte den Leuten Spaß macht. Spaß? Omega Takeshi: Man kann auch Horrorfilme schauen und dabei Spaß haben. Spaß heißt für mich, unterhalten werden. Und gut unterhalten werde ich durch Dinge, die ein bisschen tiefer gehen. Popmusik hingegen wiederholt aus meiner Sicht immer die gleichen zwei Sätze. Aber kannst Du nachvollziehen, dass Deine Platte ganz schön runterzieht? Omega Takeshi: Ich finde das Album eher aufrüttelnd. Texte schreiben ist auch eine Art, mich abzureagieren. Auch wenn ich Musik höre, die andere als pessimistisch bezeichnen würden, ist das für mich eher hoffnungsvoll. Man muss erstmal erkennen, was einen am Leben stört, um es dann anzupacken. Misanthrop: Ich habe das auch immer beobachtet beim Omega. Der ist ein ausgeglichener, netter Mensch, der mit allen immer viel besser klarkommt als ich zum Beispiel. Und dann hat er eben noch depressivere Texte als ich. Warum trägt er denn eine Maske? Misanthrop: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Aber das macht er schon lange. Omega Takeshi: Ich will hier als Person neutral bleiben. Aus demselben Grund will ich meinen bürgerlichen Namen nicht in der Zeitung lesen. Inwieweit sind Omega Takeshi und Misanthrop dann Kunstfiguren? Sind das Rollen, in die Ihr beim Musik machen schlüpft? Omega Takeshi: Gerade durch die Texte reagiere ich mich ab. Wer weiß, wie ich drauf wäre, wenn ich das nicht hätte. Das ist natürlich ein Ventil. Auf die Art schreie ich Sachen aus mir heraus, die mich stören. Misanthrop: Ich kann das auch nur jedem empfehlen. Gerade Menschen, die beruflich nichts Künstlerisches machen, sollten sich solche Ventile schaffen. Letztes Jahr ist mein Album „Psychogramm“ rausgekommen. Auf diesem Album habe ich sehr viel verarbeitet, das war inhaltlich ziemlich deprimierend. Aber ich ändere mich eben auch, nicht zuletzt wegen eines Albums wie „Psychogramm“. Ich bin gelassener geworden. Omega Takeshi: Musik, Medien und Filme sollten etwas Raues bieten, an dem man sich festhalten kann. München ist nicht gerade als raue Stadt mit viel Reibungsfläche bekannt. Omega Takeshi: Ich mag München sehr. Ich möchte momentan nirgendwo anders wohnen. Die Stadt ist nur oberflächlich betrachtet sehr glatt. Es gibt genug Nischen. Ich glaube, es geht auch nicht unbedingt um die Umgebung, in der man lebt. Gedanken kann man sich überall machen. Dazu muss man nicht im Problemviertel leben. Das Album „Nur ein Monster hat keine Angst vor sich selbst“ steckt voller sprachlicher Bilder: „Klapp’ deinen Koffer auf, dein Laptop braucht Benzin“. Was meinst Du damit? Omega Takeshi: Es geht eigentlich darum, dass eine Zündung passieren muss, nicht direkt vom Laptop aus, sondern über das Schreiben. Für mich waren es die MP3s, die für den Laptop wie Benzin funktionieren. Das sind oft Bilder, die beim Schreiben entstehen. Oft merke ich erst nach dem Schreiben, dass ein Satz doch eher in eine andere Richtung geht als ursprüngliche gemeint. Das ist das Schöne an unserem kreativen Prozess: Wir haben keine Vorgaben und keinen Zeitdruck und können einfach frei schreiben. Das ist hundert Prozent Kunst, ganz ohne kommerziellen Antrieb. www.misantropolis.de www.myspace.com/egogrill