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Was haben die farbigen Revolutionen denn gebracht?

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Aus der nächsten farbigen Revolution ist nichts geworden – an ein Szenario wie in der Ukraine hatte in Belarus auch keiner geglaubt. Aber für die junge Generation in Weißrussland waren die Demonstrationen gegen Staatschef Lukaschenko ein Erweckungserlebnis: vier Tage lang Zeltlager im Zentrum von Minsk, „Freiheit“ und „Es lebe Belarus“ in aller Munde. Oppositionskandidat Alexander Milinkewitsch nennt die jungen Demonstranten „ die Zukunft unseres Landes“. Hunderte von ihnen sitzen für ihren Mut seit Tagen im Gefängnis – jetzt droht ihnen die Exmatrikulation. Wofür haben sie den Minusgraden getrotzt, wofür ihre Gesundheit und ihre berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt? Zwei Porträts aus den Tagen des „Zeltstädtchens“ auf dem Minsker Oktoberplatz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Inga Die 22-Jährige hat ein bisschen schiefe Zähne und blonde Strähnen in die braunen Haare gefärbt - aber keine Lust, wie viele ihrer Freundinnen auf Pfennigabsätzen durch Minsk zu stöckeln. „Als Kind war ich schon auffällig. Wollte immer anders sein. Da haben die Lehrer meinen Eltern einen Psychiater empfohlen.“ Der hat ganze Arbeit geleistet: Er gab ihr ein Buch über „Die Möwe Jonathan“ zu lesen, die aus ihrem Schwarm ausbrechen will. „Da hab ich verstanden, dass es nicht einfach ist, aber dass es sich lohnt.“ Inga studiert in Minsk Statistik und hat sich früher wenig für Politik interessiert: Seit sie denken kann, steht Lukaschenko unverrückbar an der Spitze des Landes. Aber die friedlichen Demonstrationen der letzten Tage und die Zurückhaltung der Macht haben ihr Mut gemacht: „Zelte auf dem Oktoberplatz – so was hat es hier noch nie gegeben!“ Doch jetzt ist Inga den Tränen nahe. Sie ist wie so viele andere in der Unterführung von der Polizei dabei erwischt worden, wie sie Nahrungsmittel auf den Oktoberplatz schmuggeln wollte. „Sie haben mich auf der Polizeistation gezwungen, die Hälfte meiner Bliny aufzuessen und mich dabei ausgelacht.“ Auch wenn der Staat vier Tage lang gewartet hat, bis er dem Protest im Zentrum der Stadt mit Gewalt ein Ende machte – das ewige Einschüchtern durch KGB-Leute und Polizisten und die Ablehnung gegen den Protest ist immer präsent. Auf ihrem MP3-Player hat Inga aufgezeichnet, wie ihr alter Politologie-Lehrer sie ausschimpft: „Die auf den Platz rausgehen, das sind vom Westen bezahlte Verräter!“, poltert er. Inga verteidigt die Demonstranten, sagt, dass sie kein Geld dafür bekommen, dass sie für ein anderes Belarus kämpfen. Und die ganze Klasse schweigt. Genau daran verzweifelt Inga oft: „Meine Kommilitonen sagen immer: Lass doch, ist doch sowieso schon alles entschieden!“ Der staatliche Studentenverband, auch Lukomol genannt, hat angeblich 350 000 Mitglieder. Nur die wenigsten sind zwar heiße Lukaschenko-Verehrer, und doch schweigen sie, weil es besser so ist – für ihr Studium, für ihre Karriere. „Alle könnten auf Euronews oder im Internet unabhängige Informationen bekommen. Aber die schauen belorussisches Fernsehen und glauben es auch noch.“ Ingas Aufstand ist nicht zuletzt ein Aufstand gegen die nationale Lethargie. Sie erzählt von dem erhebenden Gefühl, auf der Straße Leute zu treffen, die genauso denken wie sie: „Du gehst spazieren, siehst einen mit einem ,Freiheit‘-Sticker, sagst ,Es lebe Belarus’ und er nickt dir zu.“ Das macht ihr Mut, auch für die Zeit nach dem Protest. „Ich weiß nicht, was jetzt aus mir wird“, sagt Inga. Immer wieder hat die Universitätsleitung den Teilnehmern der Demonstration mit Exmatrikulation gedroht. Immerhin ist Inga nicht wie Hunderte ihrer Freunde im Arrest gelandet. „Dann ist schon sicher, dass sie dich rausschmeißen.“ Am Samstag hat sie gesehen, wie der Staat seine Zähne zeigt, wie er die Demonstration mit Rauchbomben und Schlagstöcken gestoppt hat. Nach den friedlichen Tagen auf dem Oktoberplatz hat sie das geschockt. Bevor sie sich verabschiedet, holt „Das Land der weißen Störche“ aus der Tasche, einen Bildband mit Aufnahmen von Wäldern, Seen, Blumen, Störchen. Sie seufzt: „Weißt du, eigentlich ist Belarus ein wunderschönes Land.“ Igor und Dima Denen, die das System akzeptieren, erscheint ihre Heimat dagegen schon jetzt paradiesisch: „Von meinen russischen Freunden höre ich immer nur, wie sehr sie uns beneiden,“ sagt der 29jährige Igor, der in der staatlichen Verwaltung arbeitet. Mit seinem Freund Dima sitzt er in der „Birke“ am „Platz des Sieges“, einer typischen hauptstädtischen Bar, wo es für 80 Cent Buletten und für einen Euro 100 Gramm Wodka gibt. Zwei junge Anzugtypen bei der belorussischen After-Work-Lounge. Die beiden waren schon oft im Ausland und glauben eine Medienkampagne hinter der Berichterstattung über ihre Heimat. „In Belarus herrscht Ruhe und Ordnung. Die Menschen haben Arbeit, die Rentner bekommen ihre Pensionen ausgezahlt. Und schau mal nach Georgien oder in die Ukraine: Was haben ihnen ihre farbigen Revolutionen denn gebracht?“ Von den Verhaftungen der Aktivisten haben sie nichts gehört. Und wenn jemand verhaftet wird, hat das sicher schon seinen Grund. „Jeder kann hier seine Meinung sagen – aber die übertreten die Gesetze, wollen Unruhe stiften.“ Da ist sich Igor sicher. Vasja In Saslavl, vor den Toren von Minsk, hat Vasja für Frau, Kind und Schwiegermutter ein kleines Häuschen gebaut. Dass er sein Geld mit Skireisen in die Alpen verdient, merkt man dem Interieur an: Schnitzereien, Gipfelfotos, grobe Holzbänke. Vasja ist 33 Jahre alt und lebt nicht schlecht, der viel gerühmten Stabilität kann er jedoch nichts abgewinnen: „Weißt du, der belorussische Optimist sagt „Aj peraterpim!“ Hitler und Stalin haben wir überstanden, und genauso werden wir auch „Luka“ überstehen.“ Umso mehr freut sich Vasja über die vielen jungen Menschen, die nicht mehr still halten wollen. „Seit ich selbst Student war, habe ich nicht mehr so viele Menschen auf der Straße gesehen!“ Zusammen mit Zehntausenden protestierte er 1996 gegen die Machtergreifung Lukaschenkos - und gegen die Rückkehr in die sowjetische Gesellschaft. Die Proteste wurden damals jedoch blutig niedergeschlagen. „Aber es gab noch nicht die Spezialeinheiten von heute: die sind ideologisch getrimmt und in völliger Abhängigkeit vom Staat.“ Stiernackentypen in OMON-Uniform oder in schwarzen Lederjacken, die zu Dutzenden auf jeder Demonstration freier Meinungsäußerung Präsenz zeigen. Und trotzdem streicht sich am Sonntagabend auf dem Rückweg vom Oktoberplatz Vasja nachdenklich durch seinen nach unten gebogenen Cowboy-Schnauzer: „Wir waren zu wenige. Jetzt gehen alle nach Hause – und Lukaschenko regiert auch die nächsten fünf Jahre.“ Am Fenster seines 12 Jahre alten Seat ziehen im Dunkeln Kräne und luxuriöse Häuser vorbei. „Da siehst du: mit sowas macht Luka seine Leute loyal.“ Der lebensfrohe Reiseunternehmer Vasja spricht zuhause nur belorussisch und setzt sich für die Erhaltung der belorussischen Kultur ein. Der Staatsmacht, die voll auf Russland-Kurs ist und alles Belorussische nur als Folklore-Element erlaubt, hat ihm dafür schon einmal „ins Gesicht gespuckt“: 2002 organisierte er mit einem Freund ein Mittelalter-Festival. „Wir haben mit Ritterkostümen eine Schlacht aus dem 15. Jahrhundert rekonstruiert, dazu haben traditionelle Musikgruppen gespielt: und im ersten Jahr kamen 8000 Leute!“ Da schaltete sich der Bürgermeister ein: „2003 wollten sie uns schon vorschreiben was wir zu machen haben: eine Disco mit russischer Popmusik. Eben völlig ohne Geschmack.“ Nachdem der Bürgermeister die gesamten Festivaleinnahmen dem Präsidenten für den Bau der riesigen „Belorussischen Staatsbibliothek“ in Minsk gespendet hatte, schmiss Vasja hin. Jetzt gibt es statt des Festivals eine „Ausstellung der Errungenschaften der Landwirtschaft.“ Klar, Milinkewitsch mag er: ein intelligenter Typ, der sich für die belorussische Kultur einsetzt, „aber wo ist der Businessplan? Ein Freund von mir ist Millionär: der hat auch keine Lust mehr auf Lukaschenko. Die Opposition kann ihm jedoch nichts anbieten!“ Eben diese Schicht hatte in der Ukraine der orangenen Revolution zum Sieg verholfen, hatte Zelte, Suppenküchen und Unterkünfte für die Demonstranten organisiert. Und auch wenn es für sein Unternehmen das Ende bedeutet: er würde es begrüßen, wenn die EU allen Belorussen die Einreise verweigerte. „Die Profiteure des Systems wollen ja alle die Vorzüge der westlichen Welt genießen: sie fahren Mercedes und BMW, verbringen ihren Urlaub in den Alpen oder an der Cote d’Azur.“ Jeden Abend ist Vasja auf dem Platz, ruft „Es lebe Belarus“ und „Freiheit“, mit übernachten kann er nicht. Seine Frau bringt den Demonstranten dafür heißen Tee und Nahrungsmittel. Wie viele andere Autofahrer hat Vasja immer aus Solidarität gehupt, wenn er am Platz vorbeifuhr. Am Donnerstag hat die Macht ihm dafür einen Denkzettel verpasst: „Ein Verkehrspolizist hat mir eine Verwarnung in meinen Führerschein geschrieben.“ Bei drei Verwarnungen ist der Führerschein weg. Alex Alex ist 21 und eigentlich ein ziemlich schüchterner Typ. Montag Nacht bei minus zehn steht er trotzdem zusammen mit seinen Kommilitonen vom Geschichtsinstitut in der „Leibgarde des Präsidenten“: unter den Säulen des Gewerkschaftspalastes haben sie sich eingehakt um zu verhindern, dass die KGB-Leute plötzlich die Lautsprecher oder auch gleich Alexander Milinkewitsch mitnehmen. Alex hat zwar ein Tuch vor dem Gesicht aber keine große Hoffnung dass ihm das helfen wird. „In der Uni haben sie schon Bescheid gesagt: mit den zwei von uns, die in Arrest sitzen, ist alles entschieden. Und jedem, der auf der Demonstration gesehen wird, blüht das gleiche.“ Nebenan verteidigt sich ein Freund von Alex gegen die wüsten Beschimpfungen seines Vaters. „Ich stehe hier für die Zukunft meiner Kinder. Ich will nicht mehr Teil einer Herde sein!“ Das klingt ein wenig pathetisch, doch zumindest der Kampf gegen das Herdenverhalten ist echt. Solche Gespräche mit der furchtsamen Elterngeneration haben sie hier alle hinter sich. „Wenn ich morgens den Fernseher einschalte und Lukaschenko sehe, kommt’s mir hoch.“ Deshalb hat er vor den Wahlen Zeitungen für die Opposition verteilt. 20 Dollar pro 1000 Stück haben sie bekommen. Viel Geld für Belarus und ein riskantes Unternehmen. Zwei Tage vor der Wahl haben sie ihn dann erwischt. „Du wirst von uns hören,“ haben die Polizisten ihm gesagt. Da hat Alex entschieden, dass er schon nichts mehr zu verlieren hat. Er will nicht mehr die sowjetische Geschichte fortschreiben: die Legende vom Partisanenvolk der Belarussen, von der ewigen Freundschaft zum großen Bruder, dem russischen Volk. „Ich kämpfe für die Unabhängigkeit von Belarus. Unser Präsident spricht ja nicht mal richtig Belorussisch!“ Er kämpft auch gegen das System der „Verteilung“: nach dem Abschluss müssen alle Studenten, die gebührenfrei studiert haben, ihr Studium „abarbeiten.“ Und das zwei Jahre lang an einem Ort, den der Staat bestimmt. „Wer Einfluss auf die Entscheidung nehmen will, muss zahlen.“ Alex erzählt auch von seinem Freund, der Kamera studiert: „Er ist total gegen Lukaschenko. Aber wenn er fertig ist, dann muss er beim Staatsfernsehen arbeiten, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Und dann unterstützt er das System, das ihn eigentlich anwidert!“

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