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„Vor tausend Jahren wären wir Helden gewesen“
Für ein paar Sekunden spricht niemand. In einem Waldstück stehen sich zwei Gruppen junger Männer gegenüber, etwa zwanzig auf jeder Seite. Zwischen ihnen sind noch sieben, acht Meter Platz. Sie warten, bis die Spaziergänger außer Sichtweite sind, dann brüllen sie. Von der einen Seite sprinten die Männer los, Sekundenbruchteile später auch die von der anderen Seite. Mit einem dumpfen Krachen prallen Körper aufeinander. Faustschläge, Fußtritte, Kopfstöße: erlaubt ist alles, was weh tut. Aber die Kämpfer halten sich an die drei unausgesprochenen Regeln für so eine Schlägerei: niemand hat Waffen dabei, liegt ein Gegner am Boden wird er verschont, Unbeteiligte werden nicht angegriffen. Eine, maximal zwei Minuten dauert so ein Kampf. Verloren hat die Gruppe, die flüchtet oder von der die Meisten am Boden liegen. Nach dem Kampf geben sich die Männer die Hand. Manchmal stellen sie sich ein zweites Mal auf und es geht von vorne los. „Weil das Gefühl so geil war“, sagt Max“. Max ist ein Münchner Hooligan.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Fünf bis sechs Mal im Jahr kämpft er auf einem Parkplatz, einem Industriegelände, in einer Seitenstraße oder in einem Park. Hauptsache, der Ort ist gut per S- oder U-Bahn zu erreichen und die Polizei beobachtet ihn nicht. Die Gegner: Hooligans aus der Stadt, gegen deren Verein der FC Bayern an diesem Tag spielt. Max ist Bayern-Fan, wie die anderen aus seiner Gruppe – daher werden sie „München rot“ genannt. Die Gruppe, Hooligans nennen es einen „Mob“, ist etwa 30 Mann stark. Die Mitglieder Anfang bis Mitte zwanzig und sind schon seit Schulzeiten miteinander befreundet. Die meisten von ihnen studieren, einige arbeiten, zum Beispiel als Tischler, Koch oder Bankangestellter. Einen Kampf organisieren die Münchner meist per Handy. Kontakte zu Hooligans aus anderen Städten entstehen bei Länderspielen. Dort unterstützen alle deutschen Hooligans Deutschland, tauschen Telefonnummern kämpfen gemeinsam gegen die gegnerischen Hooligans. In Deutschland bestimmt der Bundesligaspielplan, wann sich die Hooligans Stadt gegen Stadt prügeln. Sie klären, ob der Gegner zum Spiel kommt und kämpfen will. Wie viele Hooligans kommen, ob man sich vor oder nach dem Spiel prügeln soll. Eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit geben die heimischen Hooligans den Treffpunkt durch. Wenn die Polizei das Treffen nicht verhindern kann, findet die Schlägerei statt. Mal sind es fünf gegen fünf, manchmal auch 80 gegen 80 Hooligans. „Hinter manchen Kämpfe stecken ernste Rivalitäten“, sagt Max, zum Beispiel zwischen den Hooligans aus München und Nürnberg. Mit Hooligans aus anderen Städten bestehen dagegen freundschaftliche Kontakte, „nach dem Kampf gehen wir dann zusammen ein Bier trinken und das Spiel anschauen“, erzählt er. „Dritte Halbzeit“ nennen Hooligans nennen eine Schlägerei, oder „nicht genehmigte Kampfsportveranstaltung“. Sich selbst bezeichnen sie als „erlebnisorientierte Fans“. Die Polizei teilt Stadionbesucher in drei Kategorien ein. Kategorie A sind die „friedlichen Fans“, die einfach ein Spiel sehen wollen. Fans der Kategorie B sind „gewaltbereit“, von ihnen gibt es in München gut 300. Wer „zur Gewalt entschlossen“ ist wie Max, wird in der Kategorie C geführt. In München sind das zwischen 60 und 70 Fans des TSV 1860 München und des FC Bayern. Max ist 24, seit sieben Jahren prügelt er sich regelmäßig. Er kommt aus einem Ort in Oberbayern, hat Abitur, eine Ausbildung und einen Job. Auf der Straße würde er nicht auffallen: mittelgroß, schlank, kurze Haare, keine sichtbaren Narben oder Verletzungen. Er trägt Jeans, Sneaker und einen dunklen Pullover. „Wenn wir in einer Kneipe ein Bier trinken, setzt sich keiner weg, weil wir gefährlich aussehen“, sagt Max. Fragen beantwortet er überlegt und ruhig. Selbstbestätigung und Kick Bevor er Hooligan wurde, war Max einfach ein Fan, der in der Südkurve des Olympiastadions stand und den FC Bayern zu Auswärtsfahrten begleitete. In einigen Städten wurde er von heimischen Fans beleidigt und angegriffen. Er wollte sich das nicht gefallen lassen, allein konnte er aber nichts unternehmen. Bei einem Spiel im Rheinland sah er zum ersten Mal, wie sich Bayernfans gemeinsam wehrten, „es war eine Genugtuung zu sehen, wie die anderen abhauen mussten“, sagt Max. Bei den nächsten Auswärtsspielen blieb er bei diesen Bayernfans, jetzt konnte er sich verteidigen und andere angreifen. Das gefiel ihm, also blieb er dabei. Die älteren Hooligans hörten irgendwann auf, seit zwei Jahren gibt es daher die Gruppe um Max. Bisher hat er sich nicht schwer verletzt, obwohl er fast ohne Schutz kämpft: Vorher ein bisschen aufwärmen – „es ist ja ein Sport, irgendwie“ – Bandagen an den Händen und manchmal ein Mundschutz, das ist alles. Schon der Mundschutz ist problematisch, wenn die Polizei jemanden damit erwischt, gilt das schon als „passive Bewaffnung“. Die häufigsten Verletzungen in Hooligan-Schlägereien sind Handbrüche, Stauchungen, blaue Augen, blutige oder gebrochene Nasen. Das Risiko, sich zu verletzten, nimmt Max gern in Kauf. Denn nur so bekommt er das, worum es ihm beim Kämpfen geht: Selbstbestätigung, Respekt und „den Kick“. Die Selbstbestätigung findet er „im Kampf Mann gegen Mann“ aus dem Sieg über die Angst, die jeder hat, der dreißig Hooligans gegenübersteht. „Man geht da hin, um diese Angst zu überwinden“, sagt Max. „Du bist zwar in einer Gruppe, aber deinen inneren Schweinhund musst du trotzdem allein überwinden.“ Respekt verlangt er, weil er sich dem Kampf stellt. „Wer wegrennt, wird verachtet. Auch wenn ich am Boden liege zählt für mich: Ich bin nicht weggelaufen, also bin ich kein Verlierer.“ Weil „München rot“ sich Kämpfen auch in Unterzahl stellt, weil sie pünktlich und ohne Waffen kommen, haben sie in Deutschland einen guten Ruf. Max ist das wichtig. Er ist stolz, ein Münchner zu sein. Die Stadt und der FC Bayern sollen geachtet werden, auch dafür prügelt er sich. Und „der Kick“? Max beschreibt ihn als Mischung aus Angst, Nervosität, Aggression und Adrenalin. Alles zusammen putscht ihn zuerst auf, nach dem Kampf fühlt er sich zufrieden und ausgeglichen. „Ich bin dann oft so müde, als ob ich eine Woche beim Skifahren gewesen wäre“, sagt Max. „Aber danach kommt eine unheimlich Euphorie auf, die wochenlang andauern kann.“ Besonders aggressiv findet er sich nicht, im Gegenteil. „Wenn mich in der Fußgängerzone einer anmacht, geh ich weiter. Durch das Kämpfen bin ich im Alltag ausgeglichen.“ Christian* schlägt sich überhaupt nicht mehr. Das letzte Mal hat er sich am 1. September 2001, beim WM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen England in München geprügelt. Damals trafen englische und deutsche Hooligans in der Innenstadt, in Schwabing und im Olympiapark aufeinander. Es gab Dutzende Verletzte, darunter auch Polizisten, die die Schlägerei beenden wollten. 47 Hooligans wurden fest genommen. Christian hatte danach ein blaues Auge und das Gefühl, nicht mehr kämpfen zu müssen. „Man prügelt sich, weil man süchtig ist. Wie der Junkie seinen Schuss braucht, geht der Hool eben zum Kämpfen. Aber der Reiz und das geile Gefühl danach nutzen sich mit der Zeit einfach ab. Mir gibt es nichts mehr.“ Christian ist jetzt 31. In diesem Sommer wird er sein BWL-Studium abschließen. Bisher ist er nicht vorbestraft, „jetzt noch erwischt zu werden wäre blöd, wegen der Jobsuche“, sagt er. Christian war 18, als befreundete Bayernfans ihn zu einer Schlägerei mitnahmen. Beliebte Treffpunkte in München waren damals der Luitpoldpark und das alte Backstage-Gelände. Das Kämpfen gefiel ihm. Das Adrenalin wirkte noch, „dazu kam sportlicher Ehrgeiz: Mehr auszuhalten, besser zu boxen als der Gegner.“ Er gehörte einer Gruppe an, die nach einem der besten Schläger, Peter Bindbauer*, als Bindbauer-Mob bekannt war. Ohne Waffen, an diese Regel hat er sich immer gehalten. Im Gegensatz zu Max, der schon zu viel Bier vor einem Kampf problematisch findet, „weil man betrunken zum Kanonenfutter wird“, kann Christian sich an Schlägerein unter Drogeneinfluss erinnern. Er erzählt von Hooligans, die Kokain nahmen, um besser kämpfen zu können – „so einen Zugekoksten kannst du drei Mal umhauen, der steht immer wieder auf, weil er nichts spürt.“ Genau wie Max legte auch Christian keinen Wert auf Markenkleidung. „Niemand ist ein Hooligan weil er bestimmte Schuhe oder die richtige Jacke trägt. Sondern weil er nicht wegläuft, wenn es knallt“, sagt Christian. Mit blauem Auge im Büro Für die Öffentlichkeit sind Hooligans betrunkene, arbeitslose Schläger, sogar enthemmte Faschisten. So nannten die Medien die deutschen Hooligans, die 1998 während der Fußballweltmeisterschaft in Lens den französischen Polizisten Daniel Nivel zum Krüppel schlugen. Die Hooligans traten auf Nivel ein, der blutend auf dem Boden lag. Zuvor hatten ihn mehrere Schläger angegriffen und mit einem herausgerissenen Straßenschild niedergeschlagen. Kein Kampf Mann gegen Mann, keine sportliche Auseinandersetzung. Auch die Polizei sieht Hooliganismus nicht als Wettkampf. Sie ermittelt gegen Hooligans wegen Körperverletzung, Land- oder Hausfriedensbruch, Nötigung oder gefährlichen Eingriff in den Verkehr. Für die Schläger von Lens hat Max kein Verständnis, der schlechte Ruf von Hooligans ist ihm aber egal. „Wir wissen, wer wir sind“, sagt er, „vor tausend Jahren wären wir Helden gewesen“. Vor seiner Familie und dem Chef verschweigt er das lieber. So sitzt er still zwischen seinen Geschwistern, wenn der Vater sich beim Mittagessen über Hooligans aufregt. Weder über die 25 Millionen Euro, die allein in Bayern für die Sicherheit bei der Weltmeisterschaft ausgegeben werden, noch über die 40.000, die bundesweit Polizisten im Einsatz sein werden, möchte er mit seinem Vater diskutieren. Er schweigt lieber. Ein blaues Auge kann er zu Hause oder im Büro immer einfach erklären. Da hat er eben einen Schneeball abbekommen, ist bei einem Streit in der S-Bahn dazwischen gegangen oder beim Boxtraining gewesen. Schwieriger fallen Max Ausreden, wenn Arbeitskollegen ihn zu einem Bayern-Spiel in die neue Arena mitnehmen möchten. Er würde gerne mitgehen – aber weil er bei einer Prügelei erwischt wurde, verhängte die Deutsche Fußballliga ein mehrjähriges Stadionverbot gegen ihn. Trotzdem war er beim letzten Spiel im Olympiastadion heimlich dabei – weil er Abschied vom Stadion nehmen wollte. Vor der WM hat der Druck auf Hooligans deutlich zugenommen. Über das Motto „die Welt zu Gast bei Freunden“ lacht Max daher nur. „Für uns wird es wegen der Überwachung einfach nur stressig“, sagt er. Er fürchtet Meldeauflagen der Polizei oder gar präventive Festnahmen. Diese Sorgen teilen viele deutsche Hooligans, im Internet werden Sweatshirts mit der Aufschrift „2006 - zu Gast im Knast“ angeboten. Mit Hooligans aus anderen Ländern würde er sich zwar gerne messen, aber das Risiko ist ihm zu hoch. „Wenn ich verhaftet werde, bin ich meinen Job los“, sagt er. Um nicht doch noch in Versuchung zu geraten, und damit er sich nicht täglich bei der Polizei melden muss, will er während der WM Urlaub machen: vier Wochen Griechenland. Die Aussicht, dass Hooligans aus anderen Ländern währenddessen nach München kommen und randalieren könnten frustriert ihn sehr: „Und ich selbst kann nur zuschauen, wie sie meine Stadt demolieren.“ * Namen von der Redaktion geändert. Informationen, die Rückschlüsse auf die Identität der Porträtierten zulassen, wurden entsprechend bearbeitet. Foto: Johannes Simon