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Vier Männer und die Musik

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Für die vier Schüler war die Sache klar, es gab nur noch ein paar Details zu klären. Wo sie mit ihrer Band die Welttour beginnen sollten zum Beispiel. Doch nach dem Abitur kam gleich mal etwas dazwischen. Ein erster Nachwuchs, später waren es die Auslandssemester, Prüfungen und zuletzt der Berufseinstieg. Fast 20 Jahre geht das jetzt so, aber wohl nur noch bis an diesem Mittwochabend. Da tritt nach sieben Jahren Pause die Münchner Band „So Why“ im „59:1“ auf. Funk und Rock spielen sie mit Gitarre, Bass, Keyboard und Schlagzeug, virtuose Musiker (so weit das der trommelnde Autor beurteilen kann), Freunde seit Grundschultagen. Diesmal kommt hoffentlich nichts dazwischen, Touren und Rockstarleben können anschließend geplant werden. Ein Konzert – warum nicht? Wo früher mit Bleistift Akkorde auf Umweltpapier gekritzelt wurden, verschickt heute Gitarrist Thomas, 33, Brauer und zweifacher Vater, einmal den Link für das Programm „Teamdrive“. Auf einem Server wird da das „So-Why-Werkeverzeichnis“ gespeichert. Wer es von seinem Heimrechner aus startet, erhält die aktuellste Version der Noten. Einen Ordner weiter hat Benno, 32, doktorierender Traktorenentwickler, die mp3-Aufnahmen der letzten Probe gespeichert. Und Bassist Martin, 32, Doppel-Papa und auf der Zielgerade seiner Architektur-Ethik-Promotion, hat das pdf zum Flyer gestaltet und hochgeladen. Hier liegt auch das Dokument bereit, das einen über Tag und Uhrzeit der noch ausstehenden Proben und den Termin zum Vorab-Besuch des 59:1-Clubs auf dem Laufenden hält. Denn der Schlagzeuger, ehemals Spitzenathlet, hat von seinen Sportpsychologen gelernt, wie wichtig es für den Wettkampf ist, die Spielstätte vorher schon einmal besichtigt zu haben – Heimvorteil und so.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In einer anderen Server-Datei steht zudem das Datum, an dem die Probenraum-Gäste geladen sind. Sie sollen den Ernstfall simulieren. Eines nämlich hemmte die Karriere der Band auch immer ungemein: Zuhörer. Neulich war wieder einer da, an sich der wohlbekannte Mischmeister, aber die Wirkung ist immer die gleiche, ob einer oder 100 kommen: Die Lockerheit weicht aus Fingern, Füßen und Gesichtern. Der Spaß am Spielen schwindet. Ist eigentlich aber auch kein Wunder. Die vergangenen sieben Jahre haben die Freunde ja ihre Sonntagabende einsam in einem Keller verbracht – versunken in der Suche nach Melodien und dem richtigen Anspiel. Zuerst machen sie immer zwei Stunden Musik, dann folgen zwei Stunden Schafkopf, dazu wird beim Flaschenbier die vergangene Woche diskutiert; es ist der herrlich ineffektive Ausklang einer von Arbeitseffizienz geprägten Woche. Aber es schien zuletzt nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann sich die Männer wohl zum ersten Mal direkt an der Kartentisch setzen und die Instrumente von da an für immer stumm bleiben würden. Doch dann hatten sie im vergangenen Herbst an einem Sonntag wieder einige rockende Riffs gezaubert und plötzlich war da diese Idee. Ein Konzert? Warum nicht? Dafür üben Bands doch, war das nicht so? Einen kurzen Abgleich der Notizbücher und Jahresplaner später war der Entschluss gefasst. Wer hätte 1991, bei den ersten Proben, schon gedacht, dass die Band nach 20 Jahren noch einmal live spielen würde. In ihren Träumen hatten sich alle vier da doch schon längst zur verdienten Rockstar-Ruhe gesetzt. Sie würden ihren Hits im Radio lauschen und höchstens ab und zu bei „Wetten, dass . . ?“ ein wenig davon erzählen, wie das früher war im Keller und beim ersten Vertragsangebot, das sie ja ausgeschlagen hatten. Das war 1994, in der elften Klasse. Ein findiger Mitschüler, heute Unternehmer und Politiker, bot seine Dienste als Manager an. Aber denkste, den Fehler haben ja schon viele gemacht, einen naiven ersten Vertrag unterschrieben und dann von den Millionengagen Millionen abgeben müssen. Nix da. Machen wir selber. Selber Kassette produziert und mehrere zehnmal verkauft. Geht doch. Zu der Zeit drehten sich die Gespräche im Bandraum um Fragen wie: An welchen Radiosender schicken wir das Demoband? Wo machen wir Fotos? Wie gucken wir dabei? Wer kennt vielleicht jemand von einer Plattenfirma? Und wie planen wir die Tour? Der Schlagzeuger schlief regelmäßig mit Kopfhörern ein, aus denen die Songs der Dire Straits klangen. Dazu sah er sich selbst auf der Bühne des vollbesetzten Olympiastadions hinter Benno, Martin und Thomas im schlimmsten BH-Hagel lässig trommeln. So träumte er noch ein bisschen weiter, bis 1998. Die Band erreichte den Höhepunkt ihrer Karriere. Man trat alle paar Monate auf, eine CD wurde produziert, im kleinen Club „Weltraum“ präsentiert und von den örtlichen Tonstudioprofis gelobt. Spielte die Band, waren die Zuhörer angetan. Aber sie kamen wohl doch eher, weil sie die Musiker kannten, und nicht unbedingt, weil sie die Songs so liebten. Und unmerklich verschoben die jungen Männer ihre Prioritäten, die nach der Schule noch auf der Musik gelegen hatten, sie galten jetzt den verschiedenen Studiengängen, den Frauen und Kindern. Der Bandkeller wurde vom Zentrum zur Ort der Zerstreuung. Statt Pläne zu schmieden, jamte die Band vor sich hin, und produzierte dabei einen gefühlten Chart-Hit nach dem anderen, der ungehört in der Nachbarschaft verklang – Sonntag für Sonntag. Bis heute. Mittlerweile erzählt man sich zwar bei der Probe nicht mehr Frauen-, sondern Kindergeschichten, und die über Mitschüler handeln jetzt von Mitarbeitern. Aber wenn es um den bevorstehenden Auftritt geht, ist es wie früher: Was anziehen? Was sagen? Und auch sonst ist alles geplant, notiert, nichts kommt dazwischen, oder? Doch. Der FC Bayern spielt am Mittwochabend in Manchester und hat gute Chancen weiterzukommen. Das stand so in keiner Datei. Aber gut, wenn dadurch der Mann mit dem Plattenvertrag wieder verhindert ist, dann warten die Vier eben noch ein bisschen, schreiben weiter Welthits für die Wände. Und vielleicht folgt der nächste Gig ja doch schon in ein paar Wochen, dann die Platte, die Lockerheit, die Tour, die Millionen . . . ach! Es hat sich jetzt schon gelohnt. Endlich sind sie wieder zurück, die Träume!

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