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Verzögerte Abnabelung
Selbst Professoren machen mittlerweile Bekanntschaft mit den Eltern ihrer Studenten: Es gibt Hochschullehrer, die von väterlichen Anrufen berichten, in denen Noten nachverhandelt werden oder ganz generell die Notenvergabe kritisiert wird. Ob bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz oder bei der Suche nach einer Wohnung: Immer mehr Eltern mischen sich immer häufiger und länger in das Leben ihrer Kinder. (Siehe auch Text unten.) Ist das gut so? Nein, sagt Julia Siedelhofer, die für viel Selbständigkeit ist. Ja, schreibt Verena Kuhlmann, die es vollkmmen okay findet, von ihren Eltern unterstützt zu werden. Ein Fall für Zwei:
Gegen die Hilfe der Eltern
Ich war schon als Kind so. Eines der ersten Worte, das ich beherrschte, war „Selbermachen“. Es galt fürs Schuhebinden, fürs Fahrradfahren und für all die anderen Dinge, bei denen die Mütter und Väter dieser Welt ihren Kindern fast schon reflexartig unter die Arme fassen.
Seit damals hat sich nicht viel geändert. Nach der Schule bin ich direkt von zu Hause ausgezogen. Raus aus dem Nest, rein ins eigene Leben. Der Umzug entpuppte sich bald als ein riesiger Berg, der in erster Linie aus Behördengängen bestand. Aber irgendwie habe ich es geschafft, mich alleine in der neuen Stadt zurechtzufinden, eine Wohnung zu suchen, den Mietvertrag zu unterschreiben, sogar den richtigen Stromanbieter zu finden und mein kleines Leben zu organisieren.
Klar habe ich auch viel falsch gemacht und ich hätte mir mit Sicherheit den einen oder anderen Weg sparen können. Aber nur aus Fehlern lernt man. Ich werde bestimmt kein zweites Mal wegen eines falschen Ummelde-Formulars Zweitwohnungssteuer bezahlen.
Was so unheimlich selbstständig klingt, hat allerdings eine feste Basis: meine Eltern. Sie haben mich immer einfach machen lassen, mir nie rein geredet. Wenn irgendwas schief ging, wurde ich wieder aufgebaut. Auf Fragen gab es immer eine Antwort und ich weiß heute, dass dieses Da-Sein-im-Hintergrund wichtiger ist, als wenn sie tatsächlich alles für mich machen würden.
Ich habe gelernt, dass einem all das Organisatorische keineswegs die Zeit zum Lernen nimmt. Natürlich hatte ich gerade am Anfang des Studiums viel zu tun, vor allem musste ich den Wechsel vom passiven Schulbankdrücken zum aktiven Studieren verinnerlichen. Aber die Erfahrung, zum ersten Mal mein Leben selbst in die Hand nehmen zu dürfen, hätte ich mir von niemandem auf dieser Welt nehmen lassen. Ich habe erfahren, wie es ist, erst nach vielen Besichtigungen eine Wohnung zu finden. Es war anstrengend aber gut. Allein dieser Schritt hat mir Selbstsicherheit gegeben, auch für mein Studium.
So langsam weiß ich es wirklich zu schätzen, welche Freiheiten meine Eltern mir gegeben haben. Auch wenn es ihnen bestimmt nicht immer leicht gefallen ist.
Julia Siedelhofer
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Für die Hilfe der Eltern
Ja, meine Eltern haben mich dabei unterstützt, mein Studium zu planen und ich habe kein Problem damit. Warum auch?
Als ich die Zusage meiner Hochschule bekommen habe – um den Platz, die Anmeldung und die Aufnahmeprüfung habe ich mich im Übrigen selbst gekümmert – stand ich kurz vor meinen Abiturprüfungen. Lernen, lernen, lernen und nebenbei auch noch nach einer Wohnung suchen, das war einfach ziemlich viel.
Ich bin meiner Mutter sehr dankbar, dass sie für mich damals sämtliche Immobilienseiten und Inserate durchstöbert und die Wohnungen und Zimmer, die in Frage kamen, gefiltert hat. Anschließend ist sie mit mir an den freien Wochenenden nach München gefahren, um die Wohnungen zu besichtigen. Sie hat mit Maklern telefoniert und über Kautionen verhandelt, die ich vielleicht einfach hingenommen hätte.
Das hatte nie etwas mit Bevormundung oder Verwöhnung zu tun. Ich habe letztendlich ja selbst entschieden, in welche Wohnung ich einziehen will. Dass ich durch die Unterstützung meiner Eltern weniger Verantwortungsbewusstsein und Selbstständigkeit entwickelt haben soll, ist meiner Meinung nach absoluter Quatsch. Im Mietvertrag steht mein Name, nicht der meiner Eltern. Ich hafte also für alles und bin selbst dafür verantwortlich.
Es ist aber so: Meine Eltern unterstützen mich momentan noch finanziell – anders könnte ich mir das Studium und die Wohnung nicht leisten. Ich bin der Meinung, dass es deshalb auch völlig legitim ist, dass sie sich an der Wohnungssuche beteiligt haben, wenn sie schon einen großen Teil der Kosten übernehmen. Und sie haben sich dabei nie in den Vordergrund gedrängt, haben mir keine Entscheidung abgenommen, standen mir einfach nur zur Seite und sind auch heute immer noch da, wenn es brennt.
Natürlich hat das Schulende für mich, wie für alle anderen, eine Art Abnabelung mit sich gebracht. Es ist nur so, dass ich meine Eltern nicht einfach aus meinem neuen Leben ausgrenze. Ich lasse sie, zumindest bis zu einem gewissen Punkt, daran teilhaben. Ich finde, man kann auf eigenen Beinen stehen und trotzdem noch engen Kontakt zur Familie haben. Wenn ich weiß, dass mich meine Eltern in gewissem Maße unterstützen, ohne mir wichtige Entscheidungen abzunehmen, ist das für mich ein sehr beruhigendes Gefühl. Es gibt mir die Sicherheit, dass ich nicht alleine da stehe. Und daran kann ich nichts Schlechtes finden.
Verena Kuhlmann
Text: jetzt-Redaktion - Illustration: Katharina Bitzl