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Verzichten 2: Papier
jetzt.de: Erklär doch bitte zuerst mal die Regeln deines Experiments.
Mark Kreuzer: Ich habe drei Monate lang ausprobiert, wie gut man heute ohne Papier durchs Leben gehen kann. Die Regeln: Immer, wenn mir jemand Papier in die Hand drückt und ich es annehme, dann muss ich fünf Euro in eine Strafkasse zahlen. Jedes Mal, wenn ich Papier produziere, also beispielsweise ein Formular unterschreibe oder ausfülle, muss ich zehn Euro zahlen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Warum die unterschiedlichen Beträge?
Ich habe anfangs gedacht, dass es leichter wäre, mein Papier-Output zu kontrollieren als das Papier, das ich annehmen muss. Mittlerweile bereue ich das schon ein bisschen.
Ist es denn teuer geworden?
Nach eineinhalb Monaten sind jetzt ungefähr 200 Euro in meiner Strafkasse. Bei der Arbeit habe ich mir mittlerweile erlaubt, einen Pauschalbetrag zu zahlen. Weil ich nicht jedes Mal nein sagen kann, wenn mein Chef mich bittet, ihm etwas auszudrucken. Toilettenpapier benutze ich übrigens auch.
200 Euro sind nicht wenig. Kann man daraus ableiten, dass Papier noch kein Anachronismus ist?
Ja, das liegt aber nicht an mir, behaupte ich mal. Sondern daran, dass man einfach oft zum Papier gezwungen wird. Beim Straßenverkehrsamt zum Beispiel hatte ich keine Chance, das digital zu lösen. Die brauchen das Formular für den Bankeinzug und sagen: „Das geht nicht per E-Mail.“ Es kam auch immer wieder vor, dass ich ein PDF gemailt bekommen habe, mit der Bitte es auszufüllen und zurückzuschicken. Ich mache das so oft es geht digital. Aber Papier ist noch längst nicht von digitalem Papier, wie ich das nenne, abgelöst. Papier gibt es seit Tausenden von Jahren, das wird nicht innerhalb kurzer Zeit verschwinden. Aber ich glaube, dass wir gerade an einer Schwelle sind. In meiner Generation habe ich den Eindruck, dass es schon weniger wird. Mein Experiment ist so eine Art Realitätscheck.
Wolltest du damit auch was für die Umwelt tun?
Der Umwelt-Aspekt stand anfangs gar nicht so im Vordergrund. Erst als ich mich im Laufe des Experiments mehr damit beschäftigt habe. Paradoxerweise steigt ja der Papierverbrauch in Deutschland, obwohl wir in einer Gesellschaft leben, die sich immer mehr digitalisiert. Jeder Deutsche verbraucht durchschnittlich 250 Kilo Papier im Jahr. Wenn man diese Zahl halbieren könnte – und das halte ich nach meinen Erfahrungen für machbar – wäre das ein enormer Gewinn.
Trotzdem ist Digitalisierung nicht per se umweltfreundlicher. Stichwort Cloud Computing: Erst vergangene Woche hat Greenpeace in einer Studie vor allem Apple, Amazon und Microsoft vorgeworfen, bei ihren Rechenzentren nicht genug auf erneuerbare Energie zu setzen.
Das habe ich auch mitbekommen. Aber man muss sich mal die Alternative zur Cloud vorstellen. Jede Firma und jeder Mensch würde einen eigenen Server betreiben. Deswegen rechnet sich Cloud Computing ja: Durch die schiere Masse können die Firmen den Speicherplatz kostengünstiger anbieten, als wenn es jeder selbst macht. Das trifft auch auf die Energieeffizienz zu. Trotzdem wäre es natürlich schön, wenn Microsoft, Apple und Co. nur Ökostrom benutzen würden.
Wir alle verbrauchen jeden Tag Papier, allein in unserem Briefkasten ist ja jeden Tag was drin. Was hast du getan, um den Verbrauch zurückzufahren?
Ich habe zum Beispiel alle möglichen Rechnungen umgestellt, sodass ich sie nur noch per Mail bekomme. Genauso meine Kontoauszüge, die hole ich mir auch nur digital. Das sind Dinge im Alltag, die sich leicht umsetzen lassen.
Hast du Kassenzetteln im Supermarkt auch nicht angenommen? Manchmal braucht man die ja, zum Beispiel um die Einkäufe in der WG abzurechnen.
Das ist ein gutes Beispiel. Wenn der Kassierer mir den Zettel hinlegt, nehme ich mein Smartphone raus und fotografiere ihn. Das Foto füge ich über die Cloud direkt in mein Notizbuch ein. Am Ende des Monats habe ich einen genauen Überblick über meine Ausgaben. Und das eigentlich mit viel weniger Aufwand, als wenn ich die Zettel sammeln würde. Dann bräuchte ich einen Ordner, müsste sie einzeln in der richtigen Reihenfolge abheften. Da hat die papierlose Variante Vorteile.
Einen Kalender für deine Termine benutzt du wahrscheinlich nicht, oder?
Vor meinem Experiment hatte ich noch einen. Aber den habe ich nicht so genau gepflegt. Ich bin nicht die ordentlichste Person. Mit dem Experiment habe ich aber ein System gefunden, das ich meinem Wesen angepasst habe. Ich benutze ein Programm namens OneNote. Damit habe ich mir eine Struktur geschaffen und bin jetzt viel organisierter als vorher. Auch in der Uni habe ich dadurch einen Organisationsgrad erreicht, den glaube ich nur wenige haben.
Gerade in der Uni ist Papier ja noch relativ präsent, oder? Die meisten machen sich ihre Notizen ja immer noch auf einem Block.
Ja, das sind wahrscheinlich 80 oder 90 Prozent. Obwohl das viele Nachteile hat: Was macht man, wenn man seinen Block verliert oder eine Flasche Wasser drüber kippt? Man kann auch in einem Block nach der Vorlesung die Aufzeichnungen nicht durchsuchen. Ein Papierblock kann ja nichts.
Wie machst du dir denn Notizen?
Auf meinem Tablet-PC kann ich handschriftliche Notizen machen. Das ist ja ein Laptop, nur dass ich den Bildschirm runterklappen und wie einen Block benutzen kann. Der Computer scannt diese Notiz, hat eine eingebaute Schrifterkennung, und ich kann später die Suchfunktion nutzen. Wenn der Professor eine Powerpoint-Präsentation zum Runterladen anbietet, kann ich die mit einem Knopf – ähnlich wie bei einem PDF-Drucker – an OneNote senden. Dann wird die wie eine Bilddatei übernommen und ich kann da hineinschreiben. Das ist einem normalen Block und ausgedruckten Powerpoint-Sheets weit überlegen.
Was ist, wenn du für ein Philosophieseminar ein Kapitel von Kant lesen musst? Kopieren geht ja nicht. Liest du das in der Bibliothek?
Nein. Gerade auf den Klassikern der Philosophen sind keine Rechte mehr drauf. Die kann ich mir kostenlos runterladen. Und die Professoren bieten oft die relevanten Kapitel schon zum Herunterladen an. Da sind die meisten moderner als ihr Ruf.
Ist dein Uni-Alltag ohne Papier insgesamt komplizierter oder leichter geworden?
Viel leichter. Früher habe ich für jeden Kurs einen Ordner mitgeschleppt – und oftmals vergessen, mir irgendwelche Unterlagen auszudrucken. Jetzt habe ich auf dem Laptop alles dabei. In der Uni ist das eine extreme Erleichterung. Ich habe so ein bisschen die Vision, dass sich diese Tablet-PCs an den Unis bald ziemlich ausbreiten werden. Fürs Studieren sind die extrem sinnvoll. Ich sehe oft Leute, die zwar die Präsentation des Professors auf dem Laptop offen haben, sich dann aber Notizen auf dem Block machen.
Man muss eben ein bisschen technikaffin sein...
Ich glaube, dass viele Leute ihre Optionen gar nicht kennen. Das Programm, das ich benutze, kennen viele gar nicht. Aber ich werde in der Vorlesung ja oft gefragt, was ich da mache, weil das niemand kennt. Ich bin da fast wie eine Lila-Kuh, die auch jeder angucken würde. Aber wenn ich es erkläre, fangen viele auch an, das zu nutzen. Es fehlt einfach das Wissen.
Wirst du dir eigentlich die Zeitung kaufen, in der das Interview erscheint?
Werde ich. Da mache ich eine Ausnahme, obwohl ich dann fünf Euro Strafe zahlen muss. Aber die sind es mir wert.
Mehr Infos zu Marks Experiment und Anleitungen zu einem papierlosen Studium findest du auf seinem Blog.
Text: christian-helten - Foto: flobox / photocase.com