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Unvorsichtig rantasten

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Zwanzig und irgendwas: Jamie Cullum (Foto: AP) Jamie: Sorry, ich musste noch meine Eltern anrufen. Geht’s los? jetzt.de: Klar. Jamie, das Wichtigste zuerst: Ist Jazz ein guter Weg, um Mädchen rumzukriegen? Jamie: Mit Jazz dürfte das schwierig werden. Mir ist das noch nicht passiert. Hast du es schon mal versucht? Mit deiner Musik. Aber . . . . . . du bist kläglich gescheitert? Warum? Die Musik war ihr zu langsam. Sie wollte etwas Anderes hören. Ich gebe zu, am Anfang war die Musik natürlich auch eine Chance für mich, Mädchen zu beeindrucken. Mittlerweile reicht es mir, einfach zu spielen. Man braucht eine Weile, um Jazz wirklich zu begreifen. Das ist sehr harte Arbeit, aber es lohnt sich. Wenn dann auch noch ein Mädchen darauf anspringt – schön. Okay, lassen wir das. Du singst davon, wie es ist, ein „Twentysomething“ zu sein. Was, denkst du, ist daran heutzutage bezeichnend? Das ist eine fantastische Zeit, ein tolles Alter. Man hat eine Menge Spaß, ist frei und ungebunden. Gleichzeitig aber bedeutet das gerade heute, dass man nicht eingebunden ist, dass man große politische Prozesse geschehen lässt, ohne daran teilzunehmen. Das gilt auch für mich, ich bin ja genauso ein Kind dieser Gesellschaft. Ich will die Vergangenheit auch nicht idealisieren. Aber heute wird es einem ziemlich einfach gemacht, sich nicht für Politik zu interessieren. Die Unterhaltungsindustrie ist überall, da fallen Politiker und ihre trockenen Phrasen zwangsläufig dagegen ab und werden unwichtig. Ich bin selbst Teil dieser Industrie. Trotzdem bemühe ich mich, in meinem täglichen Handeln, und auch durch meine Musik, politisch zu sein. Inwiefern? Auf meinem aktuellen Album „Catching Tales“ gibt es einen Song, „21st Century Kid“, der von dieser Problematik handelt: Entscheidungen werden in unserem Namen getroffen, müssen wir dann auch dafür verantwortlich gemacht werden? In diesem Fall bezieht es sich auf den Irak-Krieg, auf die beiden Köpfe dahinter, Bush und Blair. Und auf die Erkenntnis, dass du, wenn du dich auf die Suche nach der Wahrheit machst, am Ende vielleicht die stärkste Waffe in der Hand halten könntest. Ein anderes selbst geschriebenes Lied ist „Photograph“. Kannst du beschreiben, worum es darin geht? Darum, wie man Erinnerungen von früher noch mal durchlebt, zum Beispiel anhand eines Fotos. Nehmen wir den Abend, als du zum ersten Mal was geraucht und dazu getrunken hast, und dir anschließend die Seele aus dem Leib kotzen musstest. Schrecklich zu dieser Zeit, aber heute, als Erinnerung, sehr wertvoll. Wenn du dich daran erinnerst, spürst du einen Zauber, den du damals nicht gespürt hast. Das entspricht vielleicht nicht ganz der Realität, ist aber ein schönes Gefühl. Normalerweise pflegen Künstler ihre Instrumente ja. Du aber trittst dein Klavier mit Füßen. Findest du nicht, es hätte ein bisschen mehr Respekt verdient? Ginge es um eine Gitarre, würdest du das sicher nicht fragen. Jimi Hendrix hat seine Gitarre ständig durch die Gegend geschmissen und am Boden zerdeppert. Also versuche ich so etwas Ähnliches auch mit dem Klavier und trete es. In den meisten Köpfen hängt dieser Irrglaube noch fest, das Klavier sei nur für klassische Aufführungen geeignet, da ist oft eine falsche Ehrfurcht verbreitet. Ich habe in der Schule nicht gelernt, Klavier zu spielen, aber als ich einfach mal hingehen und klimpern wollte, hat der Lehrer gemeint: „Das darfst du nicht, das ist nur für klassische Musik gedacht.“ Solche sinnlosen Grenzen möchte ich einreißen. Mag sein, dass das ungewöhnlich ist, aber indem ich also in die Tasten trete, funktioniere ich das klassische Klavier um zu einem Rock’n’Roll-Instrument. Du misshandelst es also vorsätzlich? Nein, das passiert ganz spontan – aus dem Moment heraus. Ich mache das nicht jeden Abend. Nur, wenn mir danach ist. Dieser Text stammt von der POP-Spezialseite, die am Dienstag 14.2.2006 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Hier kannst du die komplette Seite als PDF ansehen.

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