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Unterwegs mit Undertube
Das Schöne an Konzertbesuchen ist häufig die An- oder Abreise. Man sitzt in der U-Bahn, trinkt ein Bier, unterhält sich über Konzerte, bei denen man war, und Konzerte, zu denen man noch geht oder versucht, seinen Freunden die neue Lieblingsplatte aufzuschwatzen. Die Idee liegt vielleicht gar nicht so fern, aus dieser U-Bahn-Atmosphäre eine kleine Show zu konzipieren. Es ist Mittwochabend, in der Kölner Stadtbahn-Linie 1, schon etwas weiter draußen, hinter Kalk Post. Im Wagen sitzen Vorstadtteenies in pinkfarbenen Oberteilen, Studenten, ein paar ältere Damen und Herren. Dazwischen haben sich Sebastian und Tina niedergelassen, mit Mikrofon in der Hand und vor einer kleinen Kamera. Gerade wird eine neue Ausgabe der Sendung Undertube aufgezeichnet.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zu Gast ist Linus Volkmann, Musikjournalist und Musiker – „einer dieser Pop-Characters aus Köln“, wie er es selbst so treffend formuliert. Ein perfekter Gesprächspartner für die Show, die man unter undertube.de im Internet anschauen kann. Es wird munter geplaudert, die wichtigen Namen des 21. Jahrhunderts fallen, Zentrale Intelligenz Agentur (haben Volkmann als Scheinagenten angeworben, weil sie große Namen brauchten), Jens Friebe (war mal Schlagzeuger bei Volkmann). Dann wird es sehr laut in der alten U-Bahn, die Schienen lärmen und man versteht nichts mehr vom Gespräch. Als es wieder leise ist, erzählt Volkmann gerade amüsante Geschichten, darüber, wie er einmal für die Intro-Rubrik „Kochen mit . . . “ in der Küche neben Hubert Kah stand, der nicht einmal einen Salzstreuer bedienen konnte. 10 000 für die zweite Generation Undertube ist keine dem Jugendlichkeitswahn des WDR geschuldete Fernsehsendung, sondern ein kleiner, sympathischer Video-Podcast, den man sich im Netz ansehen kann. Die Idee des Internetfernsehens ist nicht mehr neu, Undertube könnte man einer zweiten Generation von Webshows zurechnen, die den ersten erfolgreichen Produktionen jetzt folgen. „Als ich Ehrensenf zum ersten Mal gesehen habe“, sagt Daniel, „da habe ich gedacht: Ich würde so etwas auch gerne machen.“ Daniel ist derjenige, der die Sendung in Berlin zusammen mit dem Musiker Peer erfunden hat, seit Januar sitzt Peer mit einer Kollegin in dortigen U-Bahnen und plaudert über Konzerte und Platten, jede Woche, zehn Minuten lang, oft ist noch ein Interviewgast dabei. Dass sich die Indie-Szene in Berlin nirgendwo richtig abbildet, hatten Daniel und Peer gedacht und wollten eine Plattform für unbekannte Bands und Konzertbesucher schaffen. Weil es aber langweilig gewesen wäre, wenn sich im Bild nichts bewegt hätte, und man die Konzerte selbst nicht filmen konnte, wurde einfach der Weg dorthin zur Kulisse: Die U-Bahn. Die Idee war ziemlich gut. Alles in allem schauen sich jede Undertube-Folge ungefähr 10 000 Menschen im Internet an, bei MySpace, watchberlin, sevenload, iTunes und auf undertube.de. Vor zwei Wochen ist die Show nach Köln expandiert. Tina, Peers frühere Moderationspartnerin in Berlin, auch Musikerin, moderiert jetzt hier zusammen mit Sebastian. München soll bald folgen. Die Show ist eine fast schon klassische Erfolgsgeschichte, zuerst wurden die Weblogger auf sie aufmerksam, dann zogen die anderen Medien nach. Bei Ehrensenf war es noch der Reiz des ganz Neuen, der das große Interesse ausgelöst hat: Da revolutionierte jemand das Fernsehen in seiner zum Studio umgebauten Küche. Der Erfolg von Undertube ist mehr ein Zeichen dafür, dass eine zweite Phase eingeläutet wurde.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das Internet findet zu sich selbst, die Vielzahl an Formaten, die es hervorgebracht hat, sind nicht mehr allein aufgrund ihrer Existenz eine Attraktion, sondern werden gefüllt mit Ideen, die zu ihnen passen. Fernsehen aus der U-Bahn, zum Beispiel. Es ist sicher kein Zufall, dass Undertube damit an die eine oder andere Produktion aus dem alten, ehrwürdigen, richtigen Fernsehen erinnert, die es nicht geschafft hat, sich dort zu etablieren. Charlotte Roche war einige Zeit in einer Interviewsendung auf Pro7 zu sehen, in der sie den Interviewpartner im Auto herumkutschierte, während sie ihre Fragen stellte. Auch die U-Bahn diente schon als Location, für eine von Christoph Schlingensief moderierte und dementsprechend wirre MTV-Show, zum Beispiel. Das Halböffentlich-Halbprivate und die Gemütlichkeit einer gemeinsamen U-Bahnfahrt passen aber anscheinend besser ins Netz, wo Öffentlichkeit, Privatsphäre und Gemütlichkeit schon immer aufeinander gestoßen sind. Internetfernsehen und klassisches Fernsehen schließen sich allerdings nicht aus, sie befruchten sich gegenseitig. Ihr Video-Podcast, sagt auch Daniel, das sei etwas dazwischen. Er möge es irgendwie, Fernsehen zu spielen. Andererseits zeigt Undertube genauso, dass das Medium Video-Podcast immer noch auf dem Weg ist. Undertube ist geschnitten, wird nicht ganz am Stück aufgezeichnet, was irgendwie schade ist, denn die kleinen Fehler dazwischen sind genauso sympathisch wie die Show im ganzen. Aber ohne Schnitt würde man dem Zuschauer zuviel Leerlauf zumuten. Leerlauf, der im modernen Fernsehen (bei Harald Schmidt zum Beispiel) als Avantgarde gilt, aber im Avantgarde-Medium Internet den größten anzunehmende Unfall darstellt. Wenn in einem Internetvideo ein paar Sekunden lang nichts passiert, dann klickt der User weiter, so lautet die eiserne Regel – es wäre schön, sie eines Tages einmal brechen oder zumindest etwas dehnen zu können. Für Sendungen wie Undertube würden sich dann noch viel mehr Möglichkeiten ergeben. Man hätte dann beispielsweise einen Teil der Wartezeit zeigen können, die sich ergibt, weil die Linie 1 an ihrer Endhaltestelle angekommen ist. Das Team muss auf einen Zug zurück warten, um das Gespräch mit Linus Volkmann vor der Kamera fortzusetzen, das sich hier, in einem allen Beteiligten unbekannten Kölner Randbezirk, natürlich von selbst weiterspinnt. Auf dem Rückweg sitzt man wieder zwischen telefonierenden Handwerkern und Schülern, die ihre Hausaufgaben bearbeiten. Der Gast, nun endgültig zur Höchstform aufgelaufen, gibt eine seiner Alkoholgeschichten zum Besten.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wer sich von Undertube effekthaschende Interaktionen mit den unbeteiligten Fahrgästen erwartet, wird allerdings enttäuscht. Die meisten der Umherstehenden nehmen Notiz vom Dreh, reagieren aber nicht weiter. Einmal in Berlin, erzählt Tina, seien ein paar Jugendliche aufgetaucht, die immer wieder ins Bild wollten und den Kameramann behinderten, aber da habe man einfach gesagt, man sei von MTV und es sei ruhig gewesen. Schön muss wohl das U-Bahn-Konzert gewesen sein, dass Peer in der BVG zusammen mit einer Blaskapelle gegeben hat. „Da sind dann auch einige der Fahrgäste bis zur Endhaltestelle mitgefahren. Und die wollten garantiert nicht nach Spandau.“ Keine Indie-Klingeltöne Wann sie das Ganze denn so einschlafen lassen würden, fragt Linus Volkmann zwischendurch provokant, weil er natürlich weiß, dass sich die Energien bei solchen Projekten schnell aufzehren können, solange man es nur als Freizeitbeschäftigung betreibt. Auf die in Zeiten des Web 2.0 schon notorische Frage nach dem Businessplan haben Daniel, Tina und Sebastian noch keine Antwort. Man würde schon gerne einen Sponsor finden, aber die Angebote, die bisher kamen, seien nichts gewesen. Einmal habe Jamba die Sendung für den konzerneigenen Sender Jamba-TV gewollt und eine Beteiligung an den während der Sendezeit verkauften Klingeltönen angeboten. Also hält man weiter Ausschau nach geeigneten Partnern, damit man seinen Gästen irgendwann auch das U-Bahn-Ticket bezahlen kann. Nachdem Linus Volkmann am Neumarkt ausgestiegen ist, drehen Tina und Sebastian noch den Rest der Sendung, Platte der Woche, Konzertberichte und -ankündigungen. Es ist schon etwas später und einige Takes gehen daneben, weil Tina sich verhaspelt. Sebastian nimmt sie dann kurz in den Arm. Es ist tatsächlich ein bisschen wie auf dem Weg zurück nach Hause, von einem langen Konzert.