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Unplugged im Dachgeschoss
Die Mondstraße in der Au ist mindestens genau so niedlich, wie sich ihr Name anhört. Der Innenhof des kleinen Altbauhauses mit der Nummer Zwölf ist verwinkelt und uneben. Ein lauer Frühlingstag geht zu Ende. Einige Menschen stehen und sitzen beieinander, rauchen, trinken Bier. Morsche Treppen führen in den Dachboden hinauf, die letzten sind sehr steil und wirken auf den ersten Blick kaum erklimmbar. Die Dachnische wird von kleinen Lampions und einer 50er Jahre Stehlampe beleuchtet. Neben ihr lehnen zwei Gitarren, daneben steht ein Schlagzeug und ein alter Küchenstuhl. Die Gäste lassen sich im Schneidersitz auf dem knarzenden Holzfußboden nieder. Alle Dachfenster sind weit geöffnet, die Frühlingsluft streichelt manchen durch die Haare. Plötzlich Stille, nichts als der in der Ferne vorbeifahrende Zug ist zu hören. Und ein Junge, der seine Gitarre stimmt.
Es ist das erste Hauskonzert, zu dem Stefan Zinsbacher und Tobias Tzschaschel Gäste einladen. Die beiden Münchner betreiben seit Mai vergangenen Jahres die Internetseite hauskonzerte.com, auf der sie Videos von Akustiksessions mit Bands aus den Genres Folk und Singer/Songwriter zeigen. Tobias Tzschaschel ist auch Chefredakteur des jungen Online Magazins zeitjung.de. „Wir wollten mit den Videos die Seite interessanter machen“, erzählt er. Ob in einem Waschsalon im Westend, vor den Ventilatoren der Favorit-Bar oder im Museum Lichtspiele: Die Bands spielen in einem gemütlichen Umfeld. Das schafft eine sehr intime Stimmung.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dabei kann der Name hauskonzerte.com zuerst einmal sehr irreführend sein. Tobias erklärt: „Wir filmen die Sessions nicht immer in Wohnungen, sondern meistens sogar in den Clubs, in denen die Bands spielen, in Bars, die uns gefallen, in Cafés oder draußen. Das Projekt heißt aber trotzdem hauskonzerte.com, weil wir unsere Videos mit den Eigenschaften eines Hauskonzertes identifizieren: Intim, persönlich, unplugged, nah an den Künstlern und stimmungsvoll.“ Bis vor Kurzem wurden die Konzertvideos sogar ganz ohne Publikum aufgezeichnet.
Tobias und Stefan sind für Kamera und Schnitt verantwortlich. Mit zwei digitalen Spiegelreflexkameras und einem externen Rekorder für den Ton ausgerüstet, basteln die beiden die Akustik-Videos zusammen.
Horse Feathers, eine Folkband aus Portland, ist extra angereist, um auf dem Dachboden vor knapp fünfzig Leuten zu spielen. „Der Unterschied zwischen einem Haus- und einem Clubkonzert ist riesig. Das beginnt bei der Auflösung der klassischen Trennung zwischen Band und Publikum durch den Verzicht auf eine erhöhte Bühne und Backstage-Areas“, sagt Tobias. Zudem sei das Gefühl des Besonderen allgegenwärtig: Ein Dachboden ist ein Ort, an dem man nicht schon 17 verschiedene Bands gesehen hat.
Weder die Bands noch die Macher bekommen Geld für die Sessions. „Die Künstler freuen sich meistens sehr über ein schönes Video, für uns ist das Projekt zu einer großen Leidenschaft geworden, die uns mit spannenden Menschen in Kontakt bringt", erklärt Tobias. Nennenswerte Namen von Cocoon, über JUNIP bis Angus & Julia Stone finden sich bereits auf der Website der beiden. „Je mehr Bands wir filmen, desto größere Bands sagen uns zu und desto mehr Anfragen erreichen uns.“
Angefangen haben Tobias und Stefan mit dem Durchstöbern von Münchner Veranstaltungskalendern. „Am Anfang haben wir alle Bands angeschrieben, die uns musikalisch zugesagt haben. Mittlerweile werden wir auch häufig angefragt und Bands werden uns für eine Session vorgeschlagen. Das ganze entwickelt so eine ziemlich spannende Eigendynamik“, erzählt Tobias.
So eine schöne Location wie das alte Haus in der Mondstraße findet sich natürlich nicht oft. Das Haus gehört im übrigen Jan Ott, der dort mit seinem Projekt Kanal 12 einen Platz für Ausstellungen und andere Kunstformen schaffen möchte. Das nächste Hauskonzert findet im Mai statt. „Die Location steht allerdings noch nicht. Wenn jemand einen ganz besonders schönen Raum und bespielen lassen will, kann er sich gerne bei uns melden.“
Wenn es nach den beiden Münchnern ginge, könnte hauskonzerte.com ewig so weiterlaufen: „Wir hoffen, dass das der Auftakt für eine ganze Reihe solch intimer, knisternder Konzerte war.“ Weiterentwickeln möchten sich die beiden trotzdem. Vielleicht im Bereich Musik-Dokumentarfilm oder Musikvideo. Tobias lässt das alles mit einem bayrischen „Schau mer mal!“ auf sich zukommen.
Gegen halb elf leert sich der Dachboden. Es gibt kein Gedränge. Die Band steht noch im Innenhof herum, so wie einige Gäste. Die Frühlingsnacht ist abgekühlt. Einige haben ihre Jacken wohl vor lauter Frühlingsgefühlen zu Hause vergessen.
Text: anja-schauberger - Bild: Jan Ott