- • Startseite
- • jetztgedruckt
-
•
"The UN is on!" Tagebuch aus der Vollversammlung der Vereinten Nationen
Montag Im Gebäude an der Ecke First Avenue, 42nd Street herrscht Betriebsamkeit. Von morgen an werden im Rahmen der UN-Vollversammlung die Staats- und Regierunsgchefs der Welt erwartet. Die Polizei errichtet Straßensperren und Kontrollposten, auf dem Dach der UN-Bibliothek und der großen Versammlungshalle suchen die Männer des Security Service nach geeigneten Standorten, im ganzen Viertel sind Hundetrupps unterwegs. Ich frage mich, ob es riskant ist, diese Woche zur Arbeit zu gehen – oder ob der Hochsicherheitstrakt UN momentan der sicherste Platz der Welt ist. Auf der anderen Seite der Straße gehen zehn Demonstranten den ganzen Tag um eine Straßenlaterne. Sie halten Transparente hoch und schreien im Chor: „UN to Darfur“.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
UN-Generalsekretär Kofi Annan und das UN-Hauptgebäude; Fotos: dpa / reuters Kofi Annan schweigt derweilen auf der Trauerfeier zum 45. Todestag des früheren UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld, des großen Helden der Vereinten Nationen. Sein Name ist rund um die UN-Plaza allgegenwärtig: 1961 starb er bei einem Flugzeugabsturz über dem Kongo, wo er im Namen der UN zwischen Konfliktparteien vermitteln sollte. Vermutlich wurde das Flugzeug abgeschossen. Kofi Annan steht schweigend vor dem tiefblauen Fenster, das Marc Chagall nach Hammarskjölds Tod zu dessen Ehren entworfen hat. Er postiert einen Kranz mit weißen und blauen Nelken, entschwindet für einige Augenblicke im nahe gelegenen Raum der Besinnung. Als Annan zurückkommt, lächelt er irgendwie entrückt: Die bevorstehende Generalversammlungn wird seine letzte sein. Im Dezember endet seine Amtszeit als Generalsekretär der UN. Seine Entourage, die Assistenten und die bulligen Bodyguards, drängen ihm einen Weg durch die Anwesenden. Doch Annan löst sich, geht auf das Menschengrüppchen zu und schüttelt allerlei Hände. Auch meine.
Dienstag Die Sonne scheint durch die Hochhausschluchten Manhattans, es ist kurz nach acht Uhr am Morgen. An der Grand Central Station verteilen sich die Menschen wie Ameisen auf den U-Bahnhöfen und in den Straßen. Der Bus M42 Crosstown fährt seine Haltestelle gegenüber des großen Bahnhofes an, Menschen zücken ihre Metrokarten, eilen, doch der Busfahrer macht mit den Händen eine abwehrende Geste, die wohl bedeuten soll: Hier geht nichts mehr. Stoppen, stutzen. „Oh God, yes!“, ruft eine üppige, schwarze Frau: „The UN is on!“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad und US-Präsident George W. Bush; Fotos: dpa / reuters Und ja, das ist sie wirklich. Seit heute versammeln sich die Staats- und Regierungschefs zur großen Debatte in der WG-Küche der Welt. Kofi Annan erklärt und verteidigt ein letztes Mal die Politik der UN des vergangenen Jahres. Es ist ein Schauflaufen, natürlich. Die eigentliche Politik findet hier nicht statt. Das diplomatische Parkett liegt ein Stockwerk tiefer, in den Konferenzräumen, wo in den kommenden Wochen die Ausschüsse der UN-Vollversammlung Inhalte diskutieren werden, dann aber unter Ausschluss der Medien. Heute geht es jedoch nur um die Show. George W. Bush etwa gibt sich versöhnlich, verweist auf Erfolge, mahnt väterlich, spricht vermeintlich befreundete Staaten direkt an. Bush tut das natürlich auch, um die rundum recht ablehnende Haltung gegenüber der US-Politik aufzuweichen. Wer die Titelseiten der Zeitungen der USA am nächsten Tag sieht, ahnt, dass sein Verhalten vor allem Teil des aktuellen Wahlkampfes ist. Auch der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hält eine versöhnliche Rede. Obwohl der Iran unter enormem Druck des Westens steht, hat Ahmadinedschad immerhin einen Erfolg zu verzeichnen: Sein Wort gilt mittlerweile etwas auf internationalem Level. Wenn er spricht, hört die Welt zu. Für diese eine Woche steht die Hackordnung der UN-Verwaltung auf dem Kopf: Während sonst das Department for Peacekeeping Operations als Epizentrum des Schaffens der UN gilt, während sonst die mit humanitären Einsätzen oder Entwicklungshilfe befassten Abteilungen im Mittelpunkt stehen, arbeiten nun die Presseabteilung und die eigentliche Verwaltung auf Hochtouren. Aus dem Nine-to-Five-Job wird locker ein Arbeitstag von zehn Stunden.
Mittwoch Schon zwei Blöcke von der UN entfernt beginnen die ersten Polizeikontrollen. Große Betonklötze und Metallzäune versperren die Geh- und Fahrwege, Sicherheitskräfte in Schwarz säumen den Weg, über all dem kreisen Helikopter. Manchmal bitten die Streifenpolizisten Passanten, weiterzugehen. Es geschieht auf Anordnung der Scharfschützen auf den Dächern, die per Funk ihre Sicht freihalten. Auf dem Weg zur Arbeit riegelt die Straßenverkehrswacht plötzlich einen Fußgängerüberweg ab: Auf einem Fahrstreifen nähert sich ein Konvoi, gut zwölf Autos ziehen vorbei. Noch immer rollen die Staats- und Regierungschefs an, manchmal im Schritttempo. Rush Hour in Manhattan. So habe ich den Konvoi wenig später zu Fuß eingeholt, der vor einem Nebengebäude der UN hält. Ihm entsteigt Romano Prodi, der italienische Ministerpräsident, lächelnd.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Präsident Hugo Chavez aus Venezuela spricht vor der Generalversammlung; Foto: dpa Das Sicherheitszelt, durch das jeden Morgen Presse und Praktikanten geschleust werden, ist gepackt voll. Die Abordnung russischer Fernsehjournalisten wirkt aufgekratzt. Die Sicherheitskontrollen, die schon an jedem Flughafen eher einem Intelligenztest ähneln, geben ihnen den Rest. Jeder muss einzeln gebeten werden, den Gürtel auszuziehen, das Münzgeld aus den Taschen zu nehmen, die Schlüssel auf das Screeningband zu legen. Alles dauert in dieser Woche ewig. Überhaupt ist das Tempo im Hauptgebäude der Vereinten Nationen im Vergleich zum Vortag um Einiges reduziert. Hannes, ein 25-jähriger UN-Praktikant aus Hamburg, protokolliert für seine Abteilung die Reden der Staatschefs. Beim Mittagessen sagt er: „Gestern war das noch interessant, heute nervt es schon. Als Kofi Annan sprach, war die Halle komplett gefüllt, überall saßen die Regierungschefs und Außenminister. Heute ist kaum jemand mehr da.“ Hugo Chavez, der Regierungschef Venezuelas, brennt sich mit seiner Rede dennoch in die Erinnerungen der Versammelten, der Medien und der UN-Mitarbeiter ein: Er rieche Schwefel, sagt er. Und er greift Bush frontal an. Auch das ist Teil der Show.
Donnerstag Wie zu groß geratene Eiswagen sehen die Übertragungslaster der Fernsehsender aus, die an der First Avenue aufgereiht sind. Davor stehen auf kleinen Holzkästchen, die sie größer wirken lassen, gegelte Moderatoren mit gebleichten Zähnen und erklären mit ernstem Gesicht der Welt, was hinter ihnen im UN-Gebäude an diesem Tag passieren wird. Es ist der 21. September, der Internationale Tag des Friedens. Er beginnt mit einer kleinen Zeremonie. Neben Kofi Annan stehen Michael Douglas und Jane Goodall und weitere Botschafter des Friedens und in fünf Metern Entfernung ein paar Praktikanten, auch ich.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Kinder mit den Flaggen aller 192 UN-Staaten laufen auf, ein Jugendorchester versucht sich an klassischer Musik, die Sonne scheint. Auf einem Balkon stehen fünf Friedensaktivisten mit selbstgebastelten, drei Meter hohen Friedenstauben, die eher wie die Gespenster vergangener Kriege wirken. Das Jugendorchester spielt, ein Kinderchor singt und bei allem Wollen klingt es doch schief. Es ist wie die Politik der UN: So gut gemeint das ist und so Großes hier anvisiert wird, so richtig klappt das Zusammenspiel nicht. Als Annan die Friedensglocke läutet, flüstert Karl, ein schwedischer Praktikant:„ Hells Bells“. Und in die Schweigeminute hinein plärrt über Lautsprecher die französische Übersetzung von Kofi Annans Ansprache. In der Lobby des UN-Gebäudes liegt derweil ein Buch, der Zettel daneben verkündet: „Sign here for peace!“ Wenn es doch so einfach wäre. Und wo unterschreiben überhaupt die, die dagegen sind? Am Abend, flüstern sich die deutschen Praktikanten zu, soll es einen Empfang bei der Deutschen Vertretung bei den Vereinten Nationen geben, bei dem auch der Außenminister anwesend sein soll. Allerdings: nur mit Einladung. Silvia aus Dortmund hatte eine Mail geschrieben, ob man denn eingeladen werden könne. Die Antwort, sagt sie, war äußerst pampig. Ich gehe nach Hause. Ich habe wenig Lust, mich dort anzubiedern und am Ende doch abweisen zu lassen. Freitag Die Woche geht zu Ende, der große Turm zu Babylon am East River kühlt langsam ab. Die Woche war ebenso aufregend wie anstrengend. Ob das UN-Gebäude nun der sicherste oder unsicherste Ort der Welt war, während dieser Tage, kann ich noch immer nicht einschätzen. Silvia hat ihr Glück bei der Veranstaltung der deutschen Mission versucht – mit Erfolg. Wer auch nur über drei Ecken eine offizielle Einladung vorweisen konnte, wurde dann doch zugelassen und konnte sich auf Staatskosten den Praktikantenbauch nähren und den Außenminister aus der Nähe begutachten. Trotzdem: Während die Vertretungen Griechenlands, Taiwans und Chinas ihre Praktikanten ausdrücklich eingeladen haben und der französische Außenminister für die französischen Praktikanten einen eigenen Empfang gibt, scheinen unbezahlte, aber hochidealistische junge Deutsche für die deutschen Interessen auf internationalem Parkett nur eine geringe Rolle zu spielen. Die rosigen Träume von einer Zukunft als deutscher Botschafter rosten schnell. Am Abend lasse ich das Hochhaus am East River hinter mit, gewinne Abstand zur internationalen Politik, freue mich, zwei Tage von Krieg und Konsens, Politik und Polemik verschont zu bleiben. Draußen, vor dem Hochsicherheitstrakt der UN, warten das Wochenende – und eine Stadt namens New York. Foto: Reuters