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Staffelliteratur
Serien schauen ist heute so wenig „nur fernsehen“, wie Musik hören früher „nur Radio“ war. Es ist stattdessen eine popkulturelle Disziplin geworden, der die gleiche Distinktionskraft und der gleiche intellektuelle Freizeitwert inne wohnen wie einst dem Besuch eines Konzertes oder – noch früher – im Programmkino. Die erste Frage an den Hornbrillen-Freund geht durchaus nicht mehr zwingend nach den neuen Platten auf SubPop oder einem Remix, sondern danach, ob er schon einen Schnipsel der neuen HBO-Produktion erhaschen oder endlich den verschoren weiter gereichten Ricky-Gervais-Pilotfilm in Augenschein nehmen konnte. Denn was einen so mitnimmt und dauerhaft beschäftigt wie die neuen, epischen Serien mit ihren bis 70 Stunden langen Plots, das verlangt nach Austausch, auch jenseits des reinen Bild-Konsums. Und dafür gab es bisher nur Freunde oder Gleichgesinnte auf Internet-Portalen wie serienjunkies.de.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Szenekundige Sekundärliteratur wie es sie für Musik und Literatur selbstverständlich gibt, suchte der innige Serienfreund bisher vergeblich und war mit den zumeist sehr dürftigen Booklets allein. Jetzt aber raschelt es in der Metaebene und die Serienkultur erhält eine bibliografische Unterfütterung. Zum einen gibt es das ambitionierte „Magazin für serielles Erzählen“ namens Torrent – ein gut gemachtes Fanzine, das sich nicht nur in Schwärmereien und Flüsterpost zu aktuellen Produktionen ergeht, sondern sich auch den Verbindungen zwischen den Serien widmet und die Macher ins Licht rückt – allerdings liegt bis jetzt noch nicht mehr als die erste Ausgabe davon vor. Noch ernster und tiefer kümmert sich der diaphanes-Verlag um die Materie und die Serienjunkies mit einer neuen Buchreihe von Monografien. Darin beschäftigen sich Filmkritiker und Kulturwissenschaftler jeweils mit „ihrer“ Serie und versuchen diese Liebe nicht nur fundiert zu begründen und cineastisch zu analysieren, sondern auch Außenstehenden näher zubringen. Entstanden sind damit veritable Serien-Handbücher, die genau das liefern, was bisher so schwer zu bekommen war: Huldigung des Genres. Freispruch des abhängigen Konsumenten. Denkmal für eine neue popkulturelle Gattung und schließlich einfach auch Dank für viele Stunden anspruchsvoller Unterhaltung. Außerdem schafft diese kleine, nüchtern aufgemachte Bibliothek genau den Raum, in den man sich nach Ende einer Staffel oder auch nur nach dem Ausschalten des DVD-Players gerne begeben wollte, den es aber nicht gab – einen Denk-, Andachts- und Verweilraum mit den Charakteren, deren Lebenslinien eine Zeit lang so nah am eigenen Leben entlanglaufen.
Zum Auftakt der Reihe gibt es drei solcher Büchlein. Diedrich Diederichsen denkt über The Sopranos nach, jenes Mafia-Epos aus New Jersey, das vielen Serienkennern als erster Meilenstein der „neuen“ Erzählkultur gilt. Der Filmwissenschaftler Daniel Eschkötter hat sich der großen Baltimore-Straßen-Saga The Wire angenommen und Simon Rothöhler kümmerte sich liebevoll um die hierzulande wenig bekannte aber stets hoch gelobte Politik-Serie The West Wing. Neben einer Übersicht besorgen die Bücher auch eine kulturwissenschaftliche Einordnung und erzählen von den Hintergründen der in der Serie behandelten Thematik. Im Anhang glänzen sie mit der praxisnahen Idee, Anspieltipps für Neulinge zu geben. Das sind Kernszenen, in denen die DNA der behandelten Serie besonders offen zugänglich liegt. Das Wort Anspieltipps hat man lange nicht gehört – zuletzt wohl von Musikzeitschriften und in einer Zeit, als man noch über Popmusik diskutierte.