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Spreu und Weißbier
Nach dem Rummel, das ihr Album „Burli“ begleitete, hatten sich die Sportfreunde Stiller eine einjährige Auszeit verordnet. „Man muss sich entfernen, um sich hinterher um so mehr wieder draufzustürzen“, sagt Florian „Flo“ Weber, der Schlagzeuger, der die Pause auf seine eigene Weise nutzte: Er schrieb ein Buch. „You’ll Never Walk Alone“ heißt es. Und es beschreibt eine Jugend in den 80er Jahren, irgendwo in der bayerischen Provinz, wo sich die Tröstungen im wesentlichen auf Fußball und Musik beschränken: Auf 220 Seiten hat er den Wahnsinn, das Schwerelose und ganz und gar Irreale, das Pop und Fußball gleichermaßen eigen ist, in bester Dino-Zoff-Manier eingefangen. Für jetzt.de traf Christian Seidl den Sportfreunde-Schlagzeuger.
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Flo, du scheinst mit den Sportfreunden Stiller nicht ausgelastet zu sein. Also, das Buch habe ich während der Tour 2004 angefangen und das tatsächlich aus Langeweile. Wenn man nicht gerade spielt, gibt es ja nur drei obligatorische Tätigkeiten: lesen, fernsehen oder schlafen. Und ich dachte, diesen Trott muss ich mal durchbrechen. Also habe ich den Computer rausgezogen und angefangen, eine Geschichte zu schreiben. Einfach losgelegt, ohne ans Ende zu denken. Ans Ende denken wir zuletzt. Genau. Bis ich gemerkt habe, dass das mehr wird als eine Kurzgeschichte. Auf einmal war ich in so einem Fahrwasser, die Sache hat diese Wendung genommen und jenen Bogen geschlagen, und irgendwann habe ich den Entschluss gefasst: Wird’s halt ein Buch. 220 Seiten! Erfordert das nicht unheimlich viel Konzentration und Disziplin? Gar nicht. Mir wären noch tausend Geschichten eingefallen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mal gestockt hat. Hast du dich nicht nach ein wenig Entspannung gesehnt nach dem ganzen Wahnsinn, der um die Sportfreunde zuletzt ausgebrochen war? Die lange Pause war gut für uns. Aber ich konnte nicht so lange nichts tun. So wie unser Bassist Rüde – der ist monatelang in der Welt rumgereist und hat sich aus allem ausgeklinkt. Geht nicht bei mir. Paar Tage nichts tun, und mich packt die Unruhe. Ich leide am Burn-In-Syndrom. „Ich hätte schon gerne einen Roman geschrieben.“ Ist der schöpferische Prozess als Schriftsteller mit dem des Songschreibens vergleichbar? Ein Song ist eher eine Momentaufnahme. So ein Buch gehst du gemächlich an und lässt es reifen. Bei einem Song will ich sofort was haben. Da kann ich nicht sagen, ich fang heute mal an, und nächste oder übernächste Woche mach ich weiter. Da habe ich einen Schwung, und den will ich hier und jetzt mitnehmen, am nächsten Tag ist er wieder weg. Wo soll das Buch im Laden stehen: bei Sport oder Pop, Roman oder Sachbuch? Meine Lektorin hat mich das auch gefragt, was mich ja kurz irritiert hat. Denn ich hätte schon gerne einen Roman geschrieben. Es gäbe auch das Genre Popliteratur. Die Assoziation liegt nahe, aber: Popliteratur – das klingt in meinen Ohren wie Emocore in der Musik. Das ist mit etwas behaftet, das ich auf keinen Fall sein möchte. Auch, wenn ich jetzt keinen Autor diskriminieren möchte und man ganz klar Spreu und Weißbier trennen muss. Ein Sachbuch ist es auch nicht, obwohl ja das Thema Hooliganismus erörtert wird. Es hat auch eine sehr jugendliche Ader, deswegen könnte es schlecht neben Frank Schirrmacher liegen. Ach – Hauptsache, es liegt mal überhaupt irgendwo. Es geht um eine Jugend in Deutschland in den 80ern, die prägenden Momente . . . . . . Fußball, Hardrock, Panini-Bilder sammeln, Ministrieren . . . . . . eine Art „Generation Golf“ der querschädeligen Landjugend. Ich hätte nichts dagegen, wenn es neben Florian Illies liegt. Bis jetzt hat jeder männliche Leser gesagt: Ja, so war das, und so hat sich das angefühlt. Sogar Marc Liebscher, unser Manager, nicht wirklich ein Fußballer und außerdem aus Würzburg. Was ist an Würzburg falsch? Zu groß, zu urban. Das Buch beschreibt schon ganz klar das Erwachsenwerden in der Provinz. Wo kommst du noch mal her? Aus Schrobenhausen. Das Buch lokalisiert das aber nie. Das hätte mich dazu gezwungen, bei den Ortsbeschreibungen sehr genau zu sein und womöglich noch mal hinzufahren und das Ganze dann an konkreten Schauplätzen spielen zu lassen. Mir kam’s aber eher auf die Atmosphäre an. Erstaunlicherweise spielt der Song „There Is a Light That Never Goes Out“ von den Smiths eine zentrale Rolle – was dem ansonsten eher Schwarzenbeck-artigen des Buchs relativ zuwiderläuft. Stimmt schon, The Smiths haben tendenziell die Leute gehört vom Typ „dich wähl ich beim Tip-Top als Vorletzten“. Mein Bruder war so einer. Ich bin geprägt durch seine Plattensammlung, und da gab es neben Judas Priest und AC/DC eben auch The Smiths und die Waterboys. Das war eine wichtige Entdeckung. Am Ende singt die ganze Fankurve im örtlichen Fußballstadion „There Is a Light That Never Goes Out“, um zwei Liebende zusammenzuführen . . . . . . da driftet es ab ins Surreale, das habe ich mir auch gedacht. Eine befreundete Journalistin, der ich das Manuskript zum Lesen gegeben habe, meinte aber, sie hätte geweint an der Stelle. Das Buch hat elf Kapitel, wie ein Fußballteam, und jedes ist einem Spieler gewidmet. Da fällt auf, dass kein Sechziger dabei ist . . . . . .den Metzger Schorsch hätte keiner gekannt . . . . . . und eine gewisse Vorliebe für rustikale Typen gepflegt wird: Butcher, Hendry, Vinnie Jones, Cantona. Ich musste der übermäßigen Filigranität von Maradona was entgegensetzen, und das kannst nur, wenn du so Baumstämme reinstellst. So wie bei der WM 1986: Maradonna und zehn Bullen. Trotzdem ein Riesenteam. Abgesehen davon hat für mich in der Abwehr keiner was verloren, der den Ball streichelt. Da muss dazwischengefunkt werden und der Ball nach vorne. Die Nationalmanschaft mit ihrem jugendfrischen Offensivstil ist demnach nicht so dein Ding. Du würdest vermutlich gerne Wörns bei der WM sehen. Nein. Wörns hat bei der WM nichts verloren. Der ist Schuld, dass wir 1998 im Viertelfinale ausgeschieden sind. Wie schätzt du diesmal die Chancen der Deutschen ein? Nicht so schlecht. Im Tor und im Sturm sowieso fast überbesetzt. Außerdem finde ich Marcell Jansen super, auch Lahm ist ein Lichtblick. Sicher haben sie in der Innenverteidigung Probleme. Die haben aber ihren Ursprung in den Versäumnissen, die in der Jugendarbeit gemacht worden sind. Was soll man machen, wenn in der Bundesliga ein Team aufläuft, und der Gerald Asamoah ist einer von zwei Deutschen? Aus diesen Verhältnissen macht der Jürgen Klinsmann immerhin noch das beste. Ich finde es schade, dass der Nationalmannschaftsfußball gerade so durch den Kakao gezogen wird. Hast du WM-Karten, wirst du dir was anschauen? Ich werde mir was anschauen, und wenn ich übern Zaun springen muss. Karten habe ich keine. Trotz eurer Beziehungen? Ich habe gestern Sechzig gegen Burghausen im Fernsehen gesehen, in der Pause gab’s ein Interview, und im Hintergrund lief plötzlich unser Lied „’54 - ’74 –’90 – 2006“. Das lief da so einfach in der Halbzeit in der Allianz-Arena. Unsere Musik ist also schon mal drin im Stadion, jetzt müssen wir selbst auch noch rein. Gab’s keine Anfragen von offizieller Stelle, ob ihr nicht auftreten oder einen Song liefern wollt? Es gab ziemlich früh eine Anfrage unserer Plattenfirma, aber da hatten wir noch überhaupt keinen Antrieb. Dann hat es uns aber doch gejuckt. Und jetzt kommt ein Fußballalbum mit elf Liedern. Es heißt „You Have To Win Zweikampf“. Wobei auch da nur ein expliziter WM-Song drauf ist, eben „’54 – ’74 . . .“.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
„Ich will die WM anschauen, und wenn ich übern Zaun springe.“ Das kann immer noch WM-Hit werden. Vielleicht. „Three Lions“ von Baddiel, Skinner & Lighting Seeds kam 1996 ja auch durch die Hintertür. Der offizielle Song war von Simply Red. Kein Mensch weiß mehr, wie er überhaupt hieß. Im Video zu „Three Lions“ traten auch ein paar echte Helden auf: Ince, Gascoigne, sogar Geoff Hurst. Wäre das mit der deutschen Mannschaft denkbar? Da ging gar nichts. Verdikt von Jürgen Klinsmann. Keiner singt, keiner tritt irgendwo auf. Benny Lauth hat immerhin eine kleine Gastrolle in einem Lied, das heißt „Budenzauber“. Er spricht nur einen Satz, singen wollte er nicht. Seitdem trifft er im Übrigen wieder. Wieso durfte der? Klinsmann hatte ihm schon abgesagt. Weiß die Mannschaft überhaupt von eurem Projekt? Doch, ich habe einen ganz guten Draht zu Philip Lahm. Dem habe ich das Album schon zugeschoben. Vielleicht können wir der Nationalmannschaft so ein bisschen Drive unterschmuggeln. Lahm macht immer denselben Trick: Täuscht links an und zieht rechts vorbei. Das ist eine klare Masche. Da stellt sich jetzt jeder Verteidiger der Welt drauf ein. Bis zum 9. Juni täuscht Lahm rechts an und dann geht er links vorbei. Was würdest du Klinsmann raten? Scholl mitnehmen. . . . den du für einen Beitrag auf dem Buchcover gewinnen konntest – obwohl im Buch „du Hoeneß“ die schlimmste aller Beleidigungen darstellt. Hat er schon klargestellt, dass Uli Hoeneß für ihn der feinste und integerste Mensch ist, den es gibt. Ich bin ja mittlerweile auch mit dem Mann versöhnt – obwohl mich das Theater um die Torwartfrage im Nationalteam schon wieder extrem genervt hat. Kahn greift daneben, und Klinsmann soll dran schuld sein. So ein Blödsinn. Was lernt der Leser von „You’ll Never Walk Alone“ über den Autor oder gar seine Band? Einer, der die Sportfreunde nicht kennt? Wenn er die Geradlinigkeit von Vinnie Jones mit der Sensibilität der Smiths kombiniert, hat er schon eine ganz gute Vorstellung. Fotos: Gerald von Foris