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Sprechblasen in der Hosentasche
Immer, wenn eigentlich nichts stören sollte – bei Familienrunden in der Heimat oder beim Abendessen mit Freunden – fährt seit einiger Zeit doch etwas dazwischen: Das WhatsApp-Geräusch. Sein „DuDüDüng“ trötet Löcher in die intensivsten Unterhaltungen. Wenn es ausgestellt ist, surrt es in der Hosentasche oder versetzt die gesamte Tischplatte in Vibration. Manchmal macht es auch „Uuhup“. Dann ist es iMessage, das WhatsApp aller iPhone5-Besitzer. Beide ermöglichen es, mit allen, die diese Dienste nutzen, kostenlos und unbegrenzt SMS zu schreiben. Nur dass es dann streng genommen gar keine SMS mehr sind, sondern Dauerchats. Man bekommt angezeigt, ob der Chatpartner gerade ‚online' ist – oder wenn er es nicht ist, wann er es zuletzt war. Man sieht sogar, wenn der andere gerade tippt. Das simuliert große Nähe, man hat das Gefühl, die Person nicht anzuschreiben, sondern sie im Handy live dabei zu haben. Immer öfter sitzt man deshalb in Runden, in denen man sich zwar vorrangig mit den real Anwesenden unterhält, parallel aber auch noch eine oder mehrere Chatkonversationen pflegt.
Die WhatsApp-Kultur ist eigentlich der Feind jedes respektvollen Miteinanders. Trotzdem regt sich selten jemand über das ewige Gechatte auf. Man würde auch müde vom ständigen „Kannst du das jetzt nicht mal lassen“-Sagen und käme sich sehr alt dabei vor. Dass man ständig unterbrochen wird und unterbrochen werden darf, ist jetzt vielleicht einfach so. Das Geräusch selbst hat mittlerweile schon etwas sich selbst Entschuldigendes angenommen. Es klingelt naiv und unbeteiligt in die Runde hinein, weil es ja auch nicht wissen kann, dass da gerade ein Onkel beerdigt wird, sich jemand endlich getraut hat, jemandem etwas Heikles zu sagen oder ein Witz kurz vor der Pointe stand.
Wenn überhaupt, folgt nach dem Geräusch ein kurzes „Sorry!“ des Angechatteten, der dann auch gleich sein Handy rauszieht, nachliest und routiniert zurücktippt. Denn im Gegensatz zu einer SMS antwortet man auf WhatsApp oft sofort. Es geht schnell, weil es kostenlos ist. Man muss nicht mehr alles, was gesagt werden muss, erst umständlich auf seine 160 Zeichen-Essenz einkochen. Man schreibt „Hey“ und in einer nächsten Sprechblase: „Alles klar?“, nächste Blase „Wollt nur“, nächste Blase „sagen, dass nachher um sieben klar geht“. Wenn einige Minuten später noch keine Antwort kommt, schickt man ein: „Haaaaallooooo!!! Waaaarum schreibst du nicht?“ oder „Ich seh doch, dass du online bist“ los und fügt eine lustige Tierschar aus Äffchen, prustenden Walen und einem grinsenden Kackehaufen hinterher. „Emoji“ heißt die App, die die eigene Tastatur um eine enorme Vielzahl lustiger kleiner Bildchen und merkwürdiger Symbole erweitert und fast jeder der WhatsApp benutzt, findet sie charmant.
Die ständige Einsehbarkeit in die Aktivität des anderen macht einen nervös. Man sagt Sachen wie: „Die L. war vor einer Stunde zuletzt online und hat meine Nachricht auch gelesen, aber immer noch nicht geschrieben! Meinst du, die ist irgendwie sauer auf mich?“. Wenn man nicht aufpasst, wird man durch WhatsApp zu einem ziemlich neurotischen Menschen. Und die alte SMS wird zu einer fast vergessenen Funktion, die nur noch dann wieder in Erscheinung tritt, wenn eine Urlaubsnachricht an die Großeltern geschickt werden muss. Oder natürlich wenn das schnelle Netz gerade fehlt und iMessage sich abschaltet. Auf dem iPhone sind die Nachrichten dann nicht mehr iMessage-blau, sondern, wie früher, grün hinterlegt. Dass Grün sieht ganz teuer und versteinert aus, und der Adressat rückt in seltsam unkontrollierbare Ferne. Am liebsten würde man eine WhatsApp-Nachricht hinterherschicken: „Hey!“, nächste Blase, „Hast du meine SMS gerade bekommen?“