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Sind das wirklich meine Freunde?
Valeska Steiner und Sonja Glass machen als "Boy" spätsommerliche Popmusik und singen über ein Lebensgefühl zwischen Aufbruchstimmung und Ernüchterung. Valeska, die eigentlich aus Zürich kommt, zog für das gemeinsame Projekt in Sonjas Heimatstadt Hamburg. Zwischen Studium und Partys entstanden dort die Songs für das "Boy"-Debütalbum „Mutual Friends“, das Anfang September erscheint. Mit uns haben die beiden über Mädchenband-Klischees und die eigene Niedlichkeit gesprochen und erklärt, weshalb Euphorie und Melancholie manachmal gleichzeitig aufkommen.
jetzt.de: Sonja und Valeska, ihr seid vor ein paar Jahren in Hamburg aufeinander getroffen. Wann und wie denn genau?
Sonja: Wir haben uns 2005 im Kontaktstudiengang Popularmusik an der Hamburger Musikhochschule kennengelernt.
Valeska: Der Studiengang ist wirklich cool und gerade jungen Leuten, die mit anderen zusammen Musik machen wollen, nur zu empfehlen. Ich habe in dieser Richtung noch nichts gemacht, was mir so viel Spaß und auch Kontakte gebracht hat wie dort. Es ist ein bisschen wie eine Klassenfahrt, irgendwann haben sich alle sehr gern.
Sonja: … und liegen sich weinend in den Armen, wenn’s vorbei ist.
http://www.youtube.com/watch?v=zsyjS_vJfkw&feature=player_embedded
Danach habt ihr beschlossen, ein gemeinsames Projekt zu starten. Habt ihr von Beginn an an dessen Erfolg geglaubt? Immerhin ist Valeska für die Musik nach Hamburg gezogen.
Valeska: Als ich nach Hamburg kam, habe ich erst mal ein Studium angefangen, weil ich dachte: Man kann doch nicht einfach in eine neue Stadt ziehen und dort ‚nichts Richtiges’ machen! Da ich Musik aber auch nicht nur als Hobby machen wollte, kam Boy schnell mehr Zeit zu. Ich hatte das Gefühl, dass diese Band etwas ist, für das es sich lohnt, alles zu geben. Und wenn es damit doch nicht klappen sollte, dachte ich, könnte ich ja immer noch zurück zur Uni gehen. Was ich allerdings schon ein bisschen schlimm gefunden hätte.
Spielen wir doch mal mit ein paar Mädchen-Mädchen-Band-Klischees: die schreiben doch alle ihre Songs bei Keksen und Kerzenschein am Küchentisch – oder?
Sonja: (lacht) Diese Romantik hört schon allein dadurch auf, dass wir beim Songschreiben nicht zusammen in einem Raum sitzen. Für unser erstes Album habe ich die Musik in meinem kleinen Zimmer entwickelt und Valeska dann per Mail geschickt.
Valeska: Ich habe mir die Songs dann auf den iPod gezogen, bin damit Fahrrad gefahren oder habe mich ins Café gesetzt und mir die Texte dazu überlegt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Ergebnisse klingen irgendwie süß, und süß seht ihr auch aus, wenn ihr im Blumenkleid auf der Bühne steht und noch etwas schüchtern wirkt. Spielt ihr vielleicht auch mit der eigenen Niedlichkeit?
Valeska: Natürlich kann man etwas Niedliches darin sehen, wenn jemand ein Blumenkleid trägt und nicht so rampensaumäßig auf die Bühne kommt und ‚Ey Leute, seid ihr alle da’ ruft. Aber ‚niedlich’ klingt für mich auch nach ‚hat nichts zu sagen’, und das trifft auf uns nicht zu.
Dann schauen wir doch mal auf ein paar eurer Texte. „This ist he beginning of anything you want“, heißt es gleich im ersten Stück auf dem Album …
Valeska: Ich habe diesen Text geschrieben, als ich gerade nach Hamburg gezogen war. Es geht darum, an einem neuen Ort anzukommen und dort auch etwas Neues anzufangen. Tatsächlich war der erste Song auf dem Album auch der erste, den wir gemeinsam geschrieben haben.
Und einer, der genauso euphorisch wie melancholisch klingt.
Valeska: Ja, denn es ist dieser Zwiespalt: Man bricht in eine neue Zeit auf, sieht darin eine Chance und glaubt, dass alles möglich ist. Gleichzeitig lässt man aber auch etwas zurück, das man dann vermisst.
Im darauffolgenden Stück „Waitress“ geht es um eine junge Frau, die immer nur anderen beim Spaßhaben zuguckt und endlich selbst etwas erleben will: „While lovers are dating, the waitress is waiting.“ Wann wart ihr selbst zuletzt in einer solchen Lage?
Sonja: Als wir angefangen haben, unsere Songs den Plattenfirmen vorzuspielen. Viele haben damals gesagt, sie fänden sie interessant, würden sie aber nicht unbedingt veröffentlichen.
Gab es viele Labels, die eure Songs abgelehnt haben?
Valeska: Ja, das war vor etwa einem Jahr. Wir waren total am Start und zufrieden mit dem, was wir machten. Wir wollten, dass es los geht!
Sonja: Viele fanden unsere Musik auch gut, wussten aber nicht genau, wo sie sie einordnen sollten. Das haben wir oft gehört, vielleicht ist das so eine Standardantwort.
Valeska: Irgendwann sind wir dann aber zu einer Plattenfirma gekommen, die wir total super finden.
Zurück zu den Texten: Eine weitere Gefühlslage wird in „Skin“ beschrieben, einem Song über Partys und Polaroids davon am Kühlschrank, die am Ende doch nichts Wert sind. Gibt es eine konkrete Geschichte dahinter?
Valeska: Das nicht, aber viele Abende, an denen man auf einer Party war und sich dachte: Was mache ich eigentlich hier? Danach kommt man nach Hause und fühlt sich irgendwie leer und einsam. Das kennen wahrscheinlich viele, nur ist es eher uncool, dieses Gefühl auch zuzugeben. Weil es ja immer darum geht, zu sagen, wie viel Spaß man überall hat. Deswegen hängt man auch diese Fotos auf. Man will sich ständig in Situationen sehen, in denen man Vollgas gibt und umgeben ist von vielen coolen Freunden. Umso doofer ist es dann, wenn man sich nach der Party fragen muss: Sind das wirklich meine Freunde und ist wirklich gerade alles super?
Ein zeitkritischer Song? Schließlich wird im Internet auf beispielsweise MySpace und Facebook auch oft nur die eine Seite der Party preisgegeben …
Valeska: Ja, auch da geht es darum, allen zu zeigen, wie viel Spaß man hat. Und natürlich fragt sich dann jemand, der das sieht und selbst gerade nicht so viel Spaß hat, warum alle anderen immer so gut drauf sind. Viele, die „Skin“ hören, reagieren beruhigt auf das Lied und sagen: Das kenne ich! Man hat eben kein 100-prozentig cooles Leben.
Beruhigen kann man sich auch mit dem letzten Stück auf dem Album, „July”, worin es heißt: „And this roof is a blanket/ It’s keeping you warm/ Inside the silence/ After the storm.”
Sonja: Es ist ein Song, der für viele etwas anderes bedeutet. Für eine Freundin von mir war es der Song zum Tod ihres Vaters. Der Song hat sie ein bisschen getröstet. Für eine andere Freundin war es der Song zu ihrer Hochzeit.
Valeska: Es gibt ja verschiedenen Situationen, in denen man das Gefühl hat, dass man irgendwo angekommen ist und dass man aufgehoben ist. Ein seltenes Gefühl, nach dem man sich sehnt. „July“ ist auch so was wie ein Schlaflied für Erwachsene.
Text: erik-brandt-hoege - Foto: oh