Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Sie nennen es Feierabend - ein Gespräch über die Zukunft unserer Arbeit

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Ihr arbeitet beide als freie Journalisten. Ist dies ein Grund , warum euch die Frage „Wie arbeiten wir eigentlich?“ besonders interessiert? Jakob: Die private Situation war sicher ein Auslöser für mich, das Buch zu schreiben. Aber es geht dabei nicht nur um mich, sondern um Beobachtungen, die ich in meinem Bekanntenkreis gemacht habe und nicht nur bei Journalisten. Dabei sind mir dann die Schattenseiten dieses freien Arbeitens aufgefallen. Dass man also extrem viel arbeitet, selbstverständlich auch am Wochenende. Dass Leute ihren Laptop mit an den See nehmen und sich dafür entschuldigen, dass sie am Sonntag mal nicht erreichbar sind. Und all diese merkwürdigen Sachen haben mich auf das Thema Selbstausbeutung gestoßen. Matthias: Hinzukommt, dass das Thema immer wichtiger wird: Die Zahl der Freiberufler steigt, also derjenigen, die nicht in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Dazu kommt das Modell der Leiharbeit. Und das alles führt dazu, dass gewisse Sicherheiten verloren gehen. Ich privat bin sehr gerne Freiberufler, das gilt aber sicher nicht für alle. Mich stören diese Darstellungen, die das Freiberuflertum als das Arbeitsmodell des dritten Jahrtausends vorzeigen und jeden, der sich dem verschließt, für zurückgeblieben halten.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jakob (links) und Matthias beim Gespräch - auf dem Dach der jetzt.de-Redaktion, Foto: Maria Dorner Arbeiten außerhalb der Festanstellung gewinnt also in vielen Branchen ständig an Bedeutung? Jakob: Ich glaube es beeinflusst sogar die Leute, die noch eine feste Anstellung haben. Und zwar in dem Sinne, dass von ihnen auch immer mehr klassische Werte wie von Freiberuflern erwartet werden – wie eben Engagement, ständige Erreichbarkeit. Wer noch eine Festanstellung hat, ist nicht mehr der alte Angestellte, sondern ein neuer kreativer moderner Arbeitnehmer. Man wird also zu einem Unternehmer seiner selbst. Jakob: Ich glaube das kann man auf vielen Ebenen beobachten. Die Leute gehen nicht mehr um fünf nach Hause und lassen die Arbeit Arbeit sein, sondern besuchen Fortbildungen und denken ständig darüber nach, wie sie ihrer Arbeitskraft optimieren können – egal, in welchem Anstellungsverhältnis. Matthias: Diese Entwicklung sehe ich auch so. Sie ist aber nicht ganz so neu. Von der Kolonialisierung der Lebenswelt ist schon vor mehr als zwanzig Jahren geschrieben worden. Das musst du erklären. Matthias: Der Begriff stammt von Jürgen Habermas, der damit eine Kritik am Kapitalismus verbundet hat. Dabei geht es darum, dass der Kapitalismus die gesamte menschliche Lebenswelt für sich beansprucht. Dass eben all die Dinge, die mit der privaten Person zu tun haben, als Zusatzqualifikation für den Job gewertet werden. Dass das Thema jetzt so ausführlich diskutiert wird, liegt an dem verstärkten Tempo der Globalisierung. In anderen Ländern hätte man das schon länger beschreiben können. Geschichtlich gesehen ist der relative Wohlstand, den wir in Deutschland zwischen 1955 und den siebziger Jahren hatten, ja auch eine Ausnahme-Erscheinung. Auf der nächsten Seite geht es um die schwierige Aufgabe, den Eltern die eigene Arbeit zu erklären. Weil sich vieles ändert, verstehen sie oft nicht, was man eigentlich macht.


Der Zeitraum des Wohlstands in Deutschland ist für viele unsere Eltern und Großeltern der Bezugsrahmen für das Bild dessen, was man als Arbeit bezeichnet. Wie kann man denen diese Veränderung beschreiben? Jakob: Ich habe in dem Buch eine Frau getroffen, die für Zeitarbeitsfirmen arbeitet und wo die Eltern überhaupt nicht verstehen, was eigentlich los ist. Die sagen dann: „Du hast doch so einen guten Abschluss, warum findest du eigentlich keine Arbeit.“ Sie ist darüber mittlerweile so wütend, dass sie mit ihrem Vater gar nicht mehr über ihre Arbeit redet. Das Schlagwort dazu lautet "Generation Praktikum" - da konnte man aber auch lesen, dass diese Generation doch Jobs findet. Jakob: Es gibt aber einen Unterschied. Was für einen Job finden sie? Und mit was für einer Sicherheit? Und: Mit welcher Geisteshaltung? Das Praktikum vermittelt eine Grundeinstellung, die ständig sagt: Nichts ist sicher, du musst wirklich hart arbeiten. Und das ist etwas völlig Neues. Bei meinem Vater war das nach seinem Uni-Abschluß so, dass er auf einer Abschlussveranstaltung an einem Abend sechs Arbeitsverträge angeboten bekommen hat. Aber nicht für Praktika, oder? Jakob: Nein, für wirkliche Jobs. Die hat er aber alle nicht angenommen. Matthias: Diese Veränderung zwischen der Generation unserer Eltern und uns ist schon eindeutig da. Ich habe deshalb auch überlegt, ob ich Jakobs Buch meiner Mutter schenken soll. Wir wohnen 600 Kilometer voneinander entfernt und sehen uns nicht so häufig. Und sie hat einfach Schwierigkeiten, nachzuvollziehen, was ich eigentlich den Tag über so treibe. Das gilt einerseits vielleicht für die Inhalte dessen, was man arbeitet, aber vor allem auch für die Form. Glaubt ihr, dass man irgendwann wieder mehr dazu kommen wird, von neun bis um fünf zu arbeiten und den Job dann Job sein zu lassen? Matthias: Das ist ganz schwer vorherzusagen. Es wird weiterhin Berufe geben, in denen es kaum Alternativen zur Festanstellung gibt. Im Moment ist aber die Tendenz erkennbar, dass versucht wird, den Eigensinn der Menschen möglichst gering zu halten und sie möglichst verfügbar zu halten für die Arbeitswelt. Das Freie wird aber oft genau im Gegenteil auch als Befreiung beschrieben. In Jakobs Buch gibt es beispielsweise eine Szene, in der sich die Erfüllung durch die Arbeit fast wie in einer romantischen Liebesnacht einstellt. Es wird die Geschichte eines Bankers erzählt, der mal wieder eine Nacht durcharbeitet und dann beim Sonnenaufgang voller Begeisterung feststellt, dass das Licht der aufgehenden Sonne dem Flackern seines Laptops ganz ähnlich ist. Jakob: Das ist das Komplizierte an dem Thema. Vielen Leuten macht diese selbstausbeuterische Arbeit Spaß und das ist auch erstmal gut. Ich halte nichts davon, dass man denen vorhält, das sei ja gar kein wahrer Spaß. Aber sogar der Banker hat das Gefühl, dass er etwas verpasst. Denn auch die beste Arbeit kann nicht so gut sein, wie ein vielfältiges Leben. Und die Leute mit denen ich für das Buch gesprochen habe, haben das alle unterschwellig gemerkt, dass ihnen was fehlt, weil sie zuviel arbeiten. Fühlen sich diese Menschen, die ja vermeintlich frei und selbstbestimmt arbeiten, dann ausgebeutet? Jakob: Der Banker sagt das sogar: Ich beute mich selber aus. Im nächsten Teil geht es um die Ambivalenz des Selbstbetrugs und darum, warum Ausbeutung auch Spaß machen kann.
Diese Form der Arbeit basiert also auf einem großen Maß an Selbstbetrug? Jakob: Ich glaube schon. Bei mir ist das manchmal so, dass mir die Arbeit schon sehr viel Spaß macht. Aber auch der freieste Mitarbeiter muss sich trotzdem an Termine halten und muss ja auch Geld verdienen. Also ist man nie ganz frei. Man muss – glaube ich – der Vorstellung der totalen Selbstverwirklichung in der Arbeit entgegen wirken. Es gibt da schon noch was anderes. Matthias: Für mich persönlich ist dieser Widerspruch sehr deutlich. Ich habe mich deshalb an vielen Stellen auch in dem Buch erkannt. Mir macht ganz viel Spaß von dem, was ich mache und insofern führe ich ein sehr privilegierste Leben. Aber das hat auch etwas damit zu tun, dass die Trennung zwischen Arbeit und sonstigem Leben nicht so da ist. Jakob: Um diesen Widerspruch auf die Spitze zu treiben: Bei mir war es ja so, dass ich die perfekte Selbstausbeutung eben erst betrieben habe, als ich das Buch geschrieben habe. Und ich habe für das Buch einen Arbeitssüchtigen interviewt und der sagte dann irgendwann: Aber du bist ja selber arbeitssüchtig. Hat er recht? Jakob: Ich sehe schon, dass es viele andere tolle Dinge neben der Arbeit gibt. Und ich bekomme auch keine Schweißausbrüche, wenn ich mal nicht arbeite. Das ist bei ihm schon so, der hat richtige Entzugserscheinungen und Suchtdruck. Das ist bei mir alles nicht so. Aber es ist schon so, dass man merkwürdige Mechanismen entwickelt, um die viele Arbeit zu rechtfertigen. Matthias: Es wird häufig das Bild verwendet, dass sich der Mensch nicht mehr in der Arbeit verwirklicht, sondern die Arbeit sich im Menschen verwirklicht. Das heißt man wird irgendwann von der Arbeit aufgefressen. Ich glaube, da muss man sich sehr genau überlegen, wo man Grenzen setzen kann.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie macht ihr das? Matthias: Jakob hat es ja gerade gesagt, man spürt, wenn einem etwas fehlt. Freunde sind da ein gutes Beispiel. Und ich meine echte Freunde, also Leute, mit denen man außerhalb der Arbeit was zu tun hat. Wenn du merkst, dass du einfach keine Zeit mehr für deine Freunde hast, ist das ein wichtiger Zeitpunkt, Grenzen zu setzen. Ist denn selbstbestimmte Arbeit unter diesen Bedingungen überhaupt noch möglich? Jakob: Ich glaube schon. Und zwar dann, wenn man etwas tut, bei dem man seine Person einbringen kann. Und bei dem man nicht gegängelt wird. Aber für mich heißt das auch sofort: eine Arbeit, die nicht überhand nimmt. Matthias: Ich glaube, dass selbstbestimmte Arbeit in jedem Fall ökonomische Rahmenbedingungen braucht. Deshalb bin ich ein Anhänger der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Denn erst wenn man von dem ökonomischen Druck befreit ist, kann man sich Gedanken darüber machen, was selbst- und was fremdbestimmt ist. Und viele haben diese Möglichkeit nicht. Jakob: Mir gefällt die Idee auch sehr. Auch weil es zeigt: Es gibt noch was anderes als die Arbeit. Aber zu dem ökonomischen kommt auch so ein kultureller Zwang. Dass es allgemein als prima Sache wahrgenommen wird, wenn man viel arbeitet. Der Banker hat mir zum Beispiel erzählt, dass seine Kollegen einen freien Sonntag nur unter der Perspektive der Regeneration betrachten. Das finde ich total verrückt, dass selbst die wenigen freien Stunden, die man hat auch noch zur Wiederauffrischung für den Job genutzt werden. Die Berufswelt, die ihr beschreibt, klingt nicht einfach. Wenn ihr in diesem Jahr Abi gemacht hättet, würdet ihr wieder Freiberufler werden oder würdet ihr dem Rat der Eltern folgen und „was Sicheres“ machen? Matthias: Ich würde es wieder so machen. Und wenn ich Kinder hätte, würde ich ihnen auch diese Empfehlung geben: Mach das, wozu du Lust hast. Das Schwierige ist aber herauszufinden, worauf man Lust hat. Denn einfach Kunstgeschichte zu studieren, ist ja häufig nicht das, worauf man Lust hat, sondern eine Notlösung, weil einem nichts anderes eingefallen ist. Ist das nicht ein zynischer Rat? Man hört doch überall, es sei so schwierig. Matthias: Das mag zynisch klingen. Ich glaube aber, man ist dann gut, wenn man zufrieden ist mit dem, was man tut. Und ich selber habe auch vierzehn Praktika oder so gemacht. Und ich habe es nicht bereut. Jakob: Eben, lasst euch nicht verrückt machen. Denn man kann es kaum planen. Ich würde aber auch sagen: Dann auch richtig studieren und nicht die ganze Zeit an berufsvorbereitende Praktika denken. Matthias: Wenn einem von klein auf suggeriert wird, du musst vermarktbar sein, du musst verwertbar sein, dann muss man sich dagegen auch wehren. Die Angst, dass man es nicht schaffen kann, wird ja nur verstärkt, durch all die Aktionen, die manche Eltern mit ihren Kindern veranstalten. Dass man sich bei einem vierjährigen Kind Gedanken darüber macht, wie es denn am besten in den Arbeitsmarkt zu integrieren ist, finde ich völlig absurd. Vielen Dank, das waren meine Fragen. Habt ihr jetzt Feierabend? Jakob: Ich geh jetzt tatsächlich nochmal kurz zurück zur Arbeit. Aber das Wort Feierabend ist sehr gut. Das sollte man wieder verstärkt benutzen. Vielleicht kann man es ja so guerillamarketingmäßig oft in der U-Bahn sagen. Und es klingt ja auch so schön. Matthias: Man macht sich gar nicht oft genug klar, was für ein schöner Begriff das eigentlich ist: Feierabend! Mehr zum Thema auf jetzt.de Vor einem Jahr hat hier Sascha Lobo den Text Wir nennen es Arbeit - und lieben es sogar geschrieben.

  • teilen
  • schließen