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Rock’n’Rollstuhl: Eine besondere Disko in der Münchner Blutenburgstraße

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Mosaike aus Spiegel-Splittern reflektieren das Licht der Diskokugel, die Wände des kleinen Raums sind schwarz und ozeanblau gestrichen. Aus den Boxen tönt laut der Schlager „Er hat ein knallrotes Gummiboot“. An der einen Seite des Raums stehen kleine Bistrotische, dort sitzt ein Mädchen, das einem Jungen im blauen Overall Handküsschen zuwirft und dann wieder verschämt den Blick zu Boden senkt. Ein anderer lehnt lässig an der Wand, er trägt eine kurze Hose, darüber hat er ein weites Basketball-Trikot gezogen und um die Hüften einen Nietengürtel mit Stacheln. Sein Fuß wippt im Takt, seine Finger spielen mit einer schweren silbernen Panzerkette, daran ein Anhänger mit dem Schriftzug „Eminem“. An der Wand gegenüber steht ein Kickertisch, an dem vier junge Männer aufgeregt den Ball über den Tisch rollen lassen. Es ist Disco-Zeit. Patrick steht hinter dem DJ-Pult, Kopfhörer auf den Ohren, um das nächste Lied vorzuhören und es zum richtigen Zeitpunkt zu starten. Damit keine Pause entsteht, wie er sagt. Patrick ist 26, arbeitet als Reinigungshelfer bei einer Putzfirma, ist am Wochenende DJ und außerdem das, was manchmal behindert genannt wird. „Manche“, sagt Patrick, „stehen auf Schlager, da fahren die total drauf ab. Manchen mögen eher Rocksachen und Punk wie Tote Hosen, die Ärzte.“ Als er das nächste Lied abgespielt hat, sagt er: „Ich stehe auf Techno mit hartem Beat, aber das gefällt leider den wenigsten. Deswegen versuche ich eher gemischte Sachen aufzulegen. Rock, Pop, Hiphop und auch Schlager.“ Sein dunkelbraunes Haar hat er stachelig mit Gel frisiert, er trägt eine weite Baggy-Jeans und ein großes weißes T-Shirt. Hinter den Gläsern seiner Brille wirken seine braunen Augen konzentriert, während seine Freundin Sabine mit einem Lächeln und wippenden Kopf gedankenverloren ins Leere blickt. Sie ist glücklich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie jeden Samstag bleibt die Tanzfläche zunächst leer, das schattige Halbdunkel des Partyraums bietet Sicherheit. Allein die Diskokugel malt kleine tanzende Lichtpünktchen auf den Fußboden. Im Freizeit- und Begegnungszentrum „Löhe Haus“ der evangelischen Kirche in der Blutenburgstraße 71 findet jede Woche ein Diskoabend statt, organisiert vom Freiwilligen-Team „Der phantastische Zabernak“. Den außergewöhnlichen Namen haben sich die Mitglieder selbst gegeben. Einmal im Monat ist Organisationssitzung. „Da treffen sich alle, die mitarbeiten wollen. Und dann werden die Schichten verteilt“, erklärt Patrick. „Es gibt eine Garderoben-, eine Kassen-, eine Barschicht und dann noch den DJ. Das was wir heute Abend machen. Wir legen heute Abend auf.“ Dann nimmt er seine Freundin Sabine, die bis eben noch etwas schüchtern neben ihm stand, in den Arm. Klatschen, pfeifen, johlen Plötzlich wagt ein Pärchen den ersten Tanz. Behutsam legt er seine Arme um ihre Hüften und sie auf seine Schultern. Ein Schritt nach rechts, ein Schritt nach links – einfach auf den Takt der Musik hören. Immer wieder umarmen und küssen sie sich, doch ohne mit dem Tanzen aufzuhören. Der Anfang ist gemacht. Nun folgen auch andere ihrem Beispiel. Langsam füllt sich der kleine Raum vor dem DJ-Pult.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Patrick und Sabine sind seit sechs Jahren ein Paar. Die beiden haben sich in der Schule kennen gelernt. „Patrick ist immer zusammen mit mir im Bus heimgefahren. Er ist mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen, ich habe mich in ihn verliebt.“ Sabine lächelt verlegen. Patrick strahlt über das ganze Gesicht. Er streichelt ihr liebevoll über den Arm, Sabine sagt: „Wir gehen jedes Wochenende in die Disko. Ich übernachte alle vierzehn Tage dann auch bei Patrick. Er holt mich freitags bei meinen Eltern zuhause ab.“ Die 26-Jährige ist etwas größer als ihr Freund und hat ihre kurzen feuerroten Haare ebenso stachelig frisiert. Patrick hat sie heute Abend gestylt. „Er nimmt dann eine richtige Hand voll Gel, damit der Wind die Haare nicht wieder verwuschelt.“ Sabine mag den Diskoabend im Löhe Haus. Sie freut sich jeden Samstag, dorthin zu gehen. Denn sie mag die Musik und ist gerne unter Menschen. „Ich habe hier viele Freunde. Hier kenne ich die Leute und auch die Betreuer, die immer da sind. Hier bin ich nicht so schüchtern wie sonst.“ Die Tanzfläche ist inzwischen voll von Menschen, die klatschen, pfeifen und johlen. Sie haben in der Mitte einen Kreis gebildet, zwei junge Männer vollführen zu Hiphop-Beats waghalsige Break-Dance-Akrobatik. Patrick legt den Kopfhörer beiseite. Sabine greift nach ihm, jetzt ist sie an der Reihe. Sie nimmt vorsichtig, fast behutsam eine CD aus der Hülle und legt sie in die Anlage. Ganz versunken lauscht sie den Klängen aus dem Kopfhörer. Patrick dagegen ist nicht mehr zu bremsen, angesteckt von der Stimmung der anderen. Auf der Tanzfläche drängt er sich durch den Kreis der Umstehenden und bewegt sich geschmeidig im hämmernden Takt. Dann holt er Schwung und steht im Handstand.


„Bei mir erkennt jeder erst wenn ich spreche, dass ich eine Behinderung habe. Außerdem habe ich einen kleinen Denkfehler. Ich kann mir zwar Sachen merken, allerdings kann es auch sein, dass ich sie gleich wieder vergesse", erklärt Patrick danach schwitzend, während er einen Schluck aus einer Wasserflache nimmt. Patrick stottert ein wenig und macht manchmal längere Pausen beim Sprechen, weil ihm nicht immer gleich das richtige Wort einfällt. „Ich bin körperlich ganz fit und habe auch einen harten Job bei einer Putzfirma. Ich bin auch sehr stolz darauf, denn anfangs fand ich die Arbeit sehr schwierig und anstrengend, aber ich habe nicht aufgegeben.“ Häufig sind Sabine und er mit Diskriminierung und Vorurteilen konfrontiert. Vor allem Sabine hat damit große Probleme. „Ich muss normalerweise um halb elf zuhause sein. Das heißt: Ich könnte gar nicht in eine normale Disko gehen. Meine Mutter macht sich Sorgen, dass das alles zu anstrengend für mich wäre und ich nicht bis morgens durchhalten kann. Außerdem hat sie Angst, dass mir etwas passieren könnte“, sagt Sabine. Patrick fügt hinzu: „Sabine ist sehr schüchtern und traut sich dann nicht etwas zu sagen. Sie kann sich auch nicht so gut wehren wie ich.“ Stimmung? Immer super Auf der Tanzfläche steht nun ein Mädchen mit einem magentaroten Oberteil in ihrem Rollstuhl. Sie hält einen Seidenschal in der Hand, den sie wild durch die Luft wirbelt. Sie strahlt über das ganze Gesicht. Ein Pärchen steht Rücken an Rücken und tanzt wie John Travolta in Saturday Night Fever. In die Disko im Löhe Haus kommen vorwiegend Menschen mit Behinderung. Aber Sabine und Patrick würde es freuen, wenn auch Menschen ohne Behinderung kommen, sagen beide. Vielleicht könnte das Vorurteile und Berührungsängste abbauen. „Doof angeguckt werde ich persönlich eigentlich immer“, meint er, „aber mir macht das nicht soviel aus.“ Sabine und Patrick sind offen und gehen auf jeden zu. Stellen Fragen oder lassen teilhaben an ihrer guten Laune. Ihre Lebensfreude ist ansteckend.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine junge Frau im Rollstuhl mit engem kurzem Glitzerkleid tanzt wie in Trance. Ihr hübsches stark geschminktes Gesicht wird von einer wilden blonden Lockenmähne eingerahmt. Michaela ist Model und eine gute Freundin von Patrick. Zusammen mit ihr hat er schon Nächte durchgefeiert. „Wir waren bestimmt in vier bis fünf Diskos in einer Nacht“, erzählt er. „Das hat im Löhe-Haus angefangen, dann sind wir in den Kunstpark Ost gefahren. Danach sind wir dann noch weiter gezogen. Und ich war erst gegen Mittag am nächsten Tag wieder zu Hause. Das hat sehr viel Spaß gemacht.“ Aber Sabine war leider nicht dabei. Deshalb geht Patrick lieber in die Disko im Löhe Haus, die bereits um neunzehn Uhr beginnt. Hier kann er zusammen mit seiner Freundin feiern. Außerdem haben beide nicht so viel Geld. „In normalen Diskos kostet der Eintritt einfach zu viel. Im Löhe Haus gibt es billige Getränke und wenn ich arbeite, bekomme ich sogar alles umsonst.“ Sabine arbeitet in einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung und Patrick verdient etwa fünf Euro pro Stunde. Der wichtigste Grund, auf den Parties im Löhe Haus zu feiern, ist jedoch ein anderer. „Die Stimmung“, sagt Patrick, „ist hier immer super.“ Dann nimmt er Sabine an der Hand und zieht sie auf die Tanzfläche.

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