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Rembrandt und die Techno-Helden

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David Süß sitzt gerne auf der Treppe, die die beiden Stockwerke seines Clubs miteinander verbindet. Die Treppe ist sein Lieblingsplatz, weil dort immer ein bisschen frische Luft nach oben zieht. Wenn er dort sitzt, kann der Betreiber des Harry Klein oft hören, wie sich seine Gäste über die drei großen Gemälde an der Wand über ihm unterhalten. Das größte von ihnen ist schon zu einer Art Symbol für den Club geworden. Die „Nachtwache“ ist eine Nachstellung von Rembrandts gleichnamigem Werk. Es zeigt eine Bürgerwehr gegen die spanische Krone aus dem 17. Jahrhundert, die von einem Hauptmann und einem Leutnant im Vordergrund angeführt wird. Das Bild wurde so überarbeitet, dass einen nun statt Bürgersoldaten die Gesichter wichtiger DJs von der Leinwand aus ansehen – Gäste, die das Harry Klein prägten, die immer wieder dort auflegen und mit ihrer Musik für den Club stehen. Ziemlich weit vorne ist deshalb zum Beispiel DJ Karotte zu sehen, der viermal jährlich das Harry Klein beschallt. Zu ihm gesellen sich unter anderem Tobi Neumann, die Italoboyz und Reboot.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Idee des Rembrandt-Remakes kam David und seinem Team vor einem Jahr. Die neue Heimat des Harry Klein in der Sonnenstraße hat etwas von einer Kathedrale: Über dem DJ-Pult und der Tanzfläche öffnet sich der Raum weit nach oben in den ersten Stock. Diese Gegebenheit hat David genutzt, um das weiter zu interpretieren, was er schon im alten Club als „Harry-Klein-Barock“ bezeichnete: die kitschig überladene Einrichtung. „Wir haben hier im Club so viele interessante DJs zu Gast gehabt, insgesamt waren es 1278 Künstler, und wir wollten diese wichtigen Namen im Club präsentieren – als eine sogenannte Wall of Fame“, erklärt David. Also hat er diese Idee mit dem Barock-Gedanken verbunden und das Rembrandt-Remake machen lassen. „Schließlich ist Rembrandt ja auch ein Künstler, den man gerne in seinem Club hängen hat.“

Seit rund vier Monaten hängt die Nachtwache über den Stufen. Man kann sie als Symbol verstehen – für das, was im Harry Klein im Vordergrund steht: die Musik und die vielen guten Künstler, die diese Musik machen. Deshalb hat das Team den Gedanken weiter gesponnen und das Gemälde quasi zum Clubmotto gemacht. „Acht Jahre N8chtwache“ hieß es auf den Plakaten und T-Shirts zum achten Jubiläum des Harry Klein vor einer Woche. Das Remake des Gemäldes kann man als Poster kaufen.

Bei der Umgestaltung der Nachtwache und der beiden anderen Bilder arbeiteten jedes Mal drei Münchner Künstler zusammen, die auch an der Innengestaltung des Harry Klein mitgewirkt haben. „Herr Karl“ sucht Originale, auf denen die richtige Anzahl an Köpfen für die Montage zu sehen ist. Anschließend zieht er die Bilder auf eine Leinwand und trimmt sie auf alt, um sie möglichst realistisch wirken zu lassen. Heiko Dreher ist für die Bildmontage der einzelnen DJ-Köpfe zuständig, die im richtigen Winkel angebracht werden müssen. „Schließlich kann so etwas ganz schnell blöd und unrealistisch aussehen, wenn es nicht richtig gemacht ist“, sagt David Süß. Und das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Zum Schluss fertigt Nikolaus Keller, der auch die Figuren hinter den Bars und die trompetenden Hasen über der Eingangstür kreiert hat, noch den passenden Rahmen für die Gemälde an.

So ist das Trio auch bei dem Gemälde vorgegangen, das neben der Nachtwache hängt. Als Vorlage diente Rembrandts „Die Anatomie des Dr. Tulip“, die nach der Bearbeitung nun die acht Resident-DJs des Harry Klein zeigt. Statt über Plattenteller beugen sie sich über einen toten Körper und sezieren ihn. Hinter diesem Bild steht das Motto „Dahoam sterben d'Leut“, das für einige Zeit die Feiernden in den Club gezogen hat, wo sie, weit weg von daheim, durch die DJs sozusagen vor dem Tod bewahrt wurden.

Das dritte Bild, ist ein kleiner Ausschnitt aus Nicolaes Eliaszoon Pickenoys „Mahlzeit der Schützen“, auf dem nach der Bearbeitung sieben weitere bekannte Techno-Helden miteinander speisen. „Das Bild hängt noch nicht lange, das nächste ist aber schon in Planung“, sagt David Süß. Welches Kunstwerk bald noch die Wand des Harry Klein schmücken wird, wissen bisher nur die drei Künstler – aber die Wall of Fame soll auf jeden Fall noch wachsen. Wenn David durch seinen Club geht und die Betonwände betrachtet, sieht er schon die nächsten Gemälde vor seinen Augen. Er wünscht sich, dass irgendwann alle Wände von Bildern geschmückt sind. Dann wird er nicht mehr nur von seinem Lieblingsplatz auf der Treppe aus Kunstgespräche seiner Gäste belauschen können.

Text: verena-kuhlmann - Foto: Julia Siedelhofer

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