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Reden, als wär's 2017

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Wir sind, wie wir reden. Deshalb sind Wörter manchmal auch sehr umstritten. Einmal im Jahr wird ein „Jugendwort des Jahres“ gekürt, das garantiert noch nie ein Jugendlicher benutzt hat. Zukunftsforscher gebrauchen Wortschöpfungen („Lohas“), um angebliche Trends zu beschreiben. Und Marken versuchen, uns mit eigens kreierten Begriffen (wer erinnert sich noch an „sitt“ für „nicht mehr durstig“?) zum Konsum zu verführen.

Zwei Studenten der UdK Berlin sind jetzt noch einen Schritt weitergegangen: Helene von Schwichow, 24, und Salomon Hörler, 22, haben ein Wörterbuch für das Jahr 2017 herausgegeben. Damit wir jetzt schon wissen, wie wir dann zu reden haben – und zu sein. Ihr Professor Stephan Porombka drückt es im Nachwort so aus: „Den Leuten, die für ‚2017‘ verantwortlich zeichnen, fehlt die Angst, bloß das zu produzieren, was man gemeinhin Quatsch nennt. Sie machen ihn einfach. Und zwar mit Methode.“

jetzt.de: Wie wird das Jahr 2017 werden?

Helene von Schwichow: Das wissen wir nicht. Wir wissen nur, wie die Schlipster, also ehemalige Hipster, die nun einem Bürojob nachgehen, darüber reden werden. Ihre Chefs werden vermehrt Frauen sein. Manche davon werden als CEOpatras bezeichnet – besonders erfolgreich, besonders schön.

Salomon Hörler: Und 2017 wird sehr flame-ig, voller kurzer Internet-Fames. So wie unser Experiment momentan einen Hype genießt. Aber in diesem Fall zurecht. Schließlich haben wir die Zukunft sprechbar gemacht.

Wie kam es zu diesem spekulativen Glossar?

von Schwichow: Es begann ganz harmlos, als Projekt im Zuge unseres Studiengangs Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der UdK Berlin. Wir sammelten Begriffe, die bald entstehen werden. Schnell hatten wir eine Datenbank von über 12 000 Einträgen. Wir wussten: Das ist ein Schatz.

Die klassische Zukunftsforschung arbeitet mit ausführlichen Analysen, sammelt tausende Quellen, schreibt dicke Bücher. Warum sammelt Ihr nur einzelne Wörter und kurze Erklärungen?

Hörler: Die Zukunft der Zukunft sieht aus wie Twitter oder Instagram: kurz. Schnell. Eindrücklich. „Arolex – die Zahnpasta für Lunch-Liebhaber“. Mehr muss man nicht wissen. Aber von diesen kleinen Dosen kann man mehr aufnehmen. Und mehr Zukunft ist bekanntlich gut für alle.

Wie veröffentlicht ihr eure Ergebnisse?

Hörler: Auf www.the2017.com hat man Zugriff auf die gesamte Datenbank. Und wir verschenken einzigartige Bücher, die man auch als PDF laden kann. Für die werden per Zufall jeweils 100 Begriffe ausgewählt. So gleicht kein Buch dem anderen. So wie kein Leben dem anderen gleicht.

von Schwichow: Wir haben uns entschlossen, unseren Schatz freizugeben. Die Zukunft und ihre Wörter gehören uns allen. Menschen, die dies lesen, stehen mit einem Bein im Jahr 2017!

Macht Ihr auch ein Glossar 2018 oder 2019?

von Schwichow: Nein. Wörter sind wichtig. Aber die Zukunft besteht aus mehr. Wir arbeiten an einer App, welche die morgige Welt erlebbar macht.

Wie funktioniert die?

Hörler: Wir experimentieren mit Virtual-Reality-Brillen. Man sitzt in der S-Bahn, hat kurz Langeweile, setzt die Brille auf – und ist plötzlich in der Bahn der Zukunft, trägt die Mode der Zukunft, spricht die Sprache der Zukunft. Stufenlos regulierbar von 2020 bis 2030. Mindestens.

Ist das nicht irrsinnig teuer?

von Schwichow: Selbstverständlich. Aber unsere milliardenschweren Geldgeber finden, dass sich jeder Cent lohnt, wenn es um die Zukunft geht . . . Wir werden die App jedoch verschenken, so wie wir das Glossar verschenken.

Hörler: Was die Zukunft betrifft, glauben wir nicht mehr an Geld.

Ein Auszug aus "2017 – ein spekulatives Glossar"

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

(to) beyonce: etwas aufwerten.

Blackwashing: betreiben weiße Menschen, die gerne schwarz wären. Michael Jackson ist jetzt acht Jahre tot. It still seems to matter if you’re black or white.

Bloggagement: macht deinen Blog zu Geld. Der Bloggager garantiert Unterstützung bei der Monetarisierung all deiner Posts.

CEOpatra: mega erfolgreich und total scharf aussehende Chief Executive Officerette.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Einländer: Menschen, die ihr Geburtsland noch nie verlassen haben.   Flame: Internet-Berühmtheit. Kurzes Aufflackern eines Gesichts im Feed, einmal neu laden, schon wieder erloschen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kand: genmanipulierte Katze, die nicht mehr die Eigenbrötler-Charakterzüge hat, die man Katzen vorwirft. Der „Kand“ ist eine süße Katze, die gerne Gassi geht, jault, weil sie ihr Herrchen vermisst, mit dem Schwanz wedelt, wenn sie sich freut, und Bälle bringt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Me-You-Balance: Das Individuum steht an erster Stelle. Man muss auf die Me-You-Balance in Beziehungen achten, um noch genug Zeit für sich selbst zu haben.

 

Noganer: Bewegung zumeist junger Leute, die davon ausgehen, dass man auch Pflanzen Schmerzen zufügt, wenn man sie als Essen zubereitet, etwa Korn mahlt, Erdbeeren pflückt oder Kartoffeln aus dem Boden reißt. Noganer verzichten deshalb auch auf pflanzliche Produkte jedweder Art.    

 

Phonecrush: verknallt ins Handy.

 

Shindern: Ersatz für Ebay Kleinanzeigen und die Tauschbörse der Berliner Stadtreinigungsbetriebe. App für Dinge, die eigentlich keiner mehr haben will. Eine Mischung aus Mülltonnen durchsuchen und Schrottwichteln.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tingles: Jetset- und Yuccie-Singles auf digitaler One-Night-Stand-Jagd. Ihnen geht es um das schnelle Kennenlernen und vor allem um das bzw. den/die Nächste. Der kurze Nervenkitzel beim Offline-Treffen zählt, der Sex wird eher zur Nebensache.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Yologismus: Peinliches Wort, das von erwachsenen Feuilletonlesern aus der Teenagersprache übernommen wird. Beispiele aus vergangenen Zeiten: SWAG, YOLO, CHABO.

 

Yuccie: Die einst positive Bezeichnung „Young Urban Creative“ gilt nicht mehr als Ehrenzeichen, sondern wird als Beleidigung neben Wörtern wie Hipster, Hurensohn und Arschgeige verwendet.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das gesamte spekulative Glossar kann man sich hier als PDF herunterladen.

 

Text: friedemann-karig

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