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Piraten nehmen Kurs aufs Parlament
An Samstagen war Jonas Lyckegård, 21, eigentlich am liebsten mit seinem Rennrad unterwegs. Jetzt steht er am Wochenende in der Fußgängerzone von Göteborg und verteilt Flyer für die „Piratparti“, wie die Piratenpartei auf Schwedisch heißt. Jonas hätte nicht gedacht, dass er mal politisch wird. Doch Ende März ist er Mitglied bei den Piraten geworden und jetzt hat Jonas ein Ziel. „Filesharing sollte gratis sein, weil einfach alle Menschen davon profitieren.“ Und schnell schiebt er hinterher: „Sogar die Künstler haben etwas davon, weil viel mehr Leute auf sie aufmerksam werden und auf die Konzerte gehen.“ Freier Zugang zu Informationen, ein angepasstes Urheberrecht und die Abschaffung von Software-Patenten – das Programm der Piratparti unterstützen viele Schweden, vor allem die jungen Männer unter 30 Jahre. Alle aktuellen Wahlumfragen deuten darauf hin, dass die Piraten bei der Wahl Anfang Juni die Vier-Prozent-Hürde knacken werden und damit einen Sitz im Europaparlament erobern: Das schwedische Meinungsforschungsinstitut Novus Opinion sagt der Partei aktuell 5,6 Prozent der Stimmen voraus. Damit würden die Piraten locker einen Sitz in Straßburg erobern. Britsche Wahlforscher haben in einer Umfrage sogar einen Stimmanteil von 8,5 Prozent ermittelt. Diese hohe Zahl wäre gleichbedeutend mit zwei Sitzen für die junge Partei im europäischen Parlament.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Freie Fahrt für freie Bürger: Für Christian Engström, Spitzenkandidat der Piratparti für die Europawahl, ist Schweden zum „schlimmsten Schlachtfeld“ im Urheberrechtskrieg geworden.
Die Piratparti ist ein ausgesprochen schwedisches Phänomen und vielleicht ein wenig mit der „Autofahrerpartei“ zu vergleichen, die auf den ersten Blick ganz gut zu Deutschland passt. Das Motto „Freie Fahrt für freie Bürger“ gilt in Deutschland für die Straßen und in Schweden für die Datenautobahn. Die Piratparti fordert das so genannte „Allemansrätt“ für’s Internet. Dieses historisch verwurzelte „Jedermannsrecht“ erlaubt es jedem Schweden, die Natur frei für sich zu nutzen, um Beeren zu pflücken oder dort ein Zelt aufzuschlagen. Ebenso frei möchten sich die Schweden im Internet bedienen.
Etwa 700.000 der gerade mal neun Millionen Schweden benutzen Filesharing-Software, wie die offiziellen Zahlen des Zentralamts für Statistik zeigen. „Wahrscheinlich sind es noch viel mehr, denn es ist fraglich, wie ehrlich die Leute da antworten“, meint Anders Larsson, Informationswissenschaftler an der Universität Uppsala. In Schweden herrschen seiner Ansicht nach perfekte Download-Bedingungen. Die meisten Schweden sind zu Hause online und satte 73 Prozent nutzen Breitband-Internet.
Vor allem die Jugendlichen laden genauso selbstverständlich Musik und Filme runter, wie sie E-Mails verschicken. Eine Umfrage zeigt, dass knapp 80 Prozent der jungen Schweden verbotenes Filesharing völlig oder teilweise okay finden. „Grund dafür ist, dass die Gesetze bis vor Kurzem sehr lasch waren und Piraterie einfach keine Konsequenzen hatte“, sagt Larsson. Doch das hat sich inzwischen drastisch geändert.
Ende März trat in Schweden ein Gesetz in Kraft, das es leichter macht, Filesharer über ihre IP-Adresse zu identifizieren und zu verfolgen. Viele Schweden waren entrüstet über dieses so genannte „Piratenjägergesetz“. Das Datenvolumen im Internet-Traffic schrumpfte über Nacht um ein Drittel, wie die Zahlen der Traffic-Überwacher von Netnod zeigen.
Im April wurden dann die schwedischen Betreiber von The Pirate Bay wegen Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung verurteilt. Über den BitTorrent-Tracker The Pirate Bay konnten die Nutzer Links zu urheberrechtlich geschützten Dateien finden.
„Das Urteil war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“, sagt Christian Engström, Spitzenkandidat der Piratparti für das Europaparlament. Schweden sei zum „schlimmsten Schlachtfeld“ für Urheberrechtsfragen geworden, erklärt der 49-jährige Informatiker. Dieser Umstand verschaffte den Piraten regen Zulauf. In den Wochen nach dem Pirate Bay-Urteil stieg die Zahl der Mitglieder auf knapp 45 000. Das ist eine Verdreifachung.
Der Politologe Ulf Bjereld sieht noch eine andere Erklärung für die vielen Einsteiger bei der Piratenpartei: Es ist extrem einfach, einzutreten. Man füllt nur online ein Formular aus und muss keinen Mitgliedsbeitrag bezahlen. „Wenn das die anderen Parteien genauso machen würden, hätten die auch deutlich mehr Mitglieder“, vermutet Bjereld.
Jonas Lyckegård, der in Göteborg Flyer verteilt, findet es gerade gut, dass die Piraten so unbürokratisch sind. Er will vor allen Dingen schnell etwas bewirken: „Das Prinzip ist: Wenn drei Piraten das gleiche wollen, dann wird es gemacht“. So konnte er als Neuling eine Mini-Kundgebung in Göteborg mitorganisieren. Einfach so, von einem Tag auf den anderen.
Ob es die Piratparti ins Europaparlament schafft, hängt für den Politologen Bjereld vor allem davon ab, ob sich die Anhänger am 7. Juni auch zum Wählen aufraffen können. „Doch gerade Leute unter 30 gehen eher selten zur Europawahl“, erklärt er seine Skepsis. Die jungen Schweden hätten Anfang Juni zudem den Kopf voll mit anderen Dingen, unter anderem weil an den Universitäten die letzten Klausuren anstehen würden.
Für den Erfolg der Piraten spricht nach Bjererld aber, dass viele die EU-Wahl nicht so wichtig nehmen. Da hätten Außenseiterparteien erfahrungsgemäß gute Chancen. „Außerdem bekommt die Piratparti jetzt viel mediale Aufmerksamkeit. Davon profitiert sie ganz stark“, glaubt der Politikwissenschaftler.
Damit die Piraten überhaupt Stimmen sammeln können, müssen sie erst einmal tausende Wahllokale in Schweden mit Wahlzetteln der Piratparti versorgen. Das müssen Parteien, die neu antreten, nämlich selbst in die Hand nehmen. Deshalb sucht die Partei gerade auf ihrer Website nach vielen Freiwilligen, die an ihrem jeweiligen Heimatort Zettel austeilen. Bei Jonas allerdings bringt der Aufruf schon gar nichts mehr.
Er ist sowieso dabei.
Die Piratenpartei
Am Neujahrstag 2006 gründete der damals 34-jährige Schwede Rickard Falkvinge die weltweit erste Piratenpartei. "Zwei Tage später hatte ich bereits knapp 4800 Unterschriften von Leuten zusammen, die ähnlich denken wie ich", erklärte Rickard im Interview auf jetzt.de. Mittlerweile gibt es in zahlreichen Ländern Parteien, die sich für die Interessen der Internetnutzer einsetzen. Sie fordern ein modernes Urheberrecht und treten für Datenschutz ein. Dafür deuten sie die Beschreibung des raubkopierenden Piraten um. "Die Piraten der Piratenpartei wollen sich nicht persönlich bereichern", heißt es auf der Webseite der deutschen Piratenpartei, die ebenfalls zur Europawahl antritt. "Aber wo es um ,geistige Werte" geht, ist das Teilen gar nicht so schwer. Geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen."
Mehr über die Piraten gibt es auch im Themenschwerpunkt Urheberrecht auf jetzt.de
Text: sonja-leister - Illustration: Katharina Bitzl