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Ökomode am Glockenbach

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Durch ein staubverdrecktes Schaufenster in der Baaderstraße blicken zwei Passanten auf eine 45 Quadratmeter große Baustelle. Sie sehen leere Farbeimer, Leitern, Pappkartons, Plastiktüten und ausgefranste Putzlappen, die am Boden herumliegen. Was sie nicht sehen sind Lampen, Schränke und Tische. Am kommenden Samstag soll aus dieser Baustelle Brigitte von Puttkamers „glore“-Laden entstanden sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Foto: Dana Brüller „glore" steht für „globally responsible fashion“. Brigitte wird nur Ware führen, die umweltgerecht und unter fairen sozialen Bedingungen hergestellt wurde. Sie nennt das „green fashion“ oder „ökorrekte Mode“. Brigitte, der man ihre 39 Jahre kaum abkaufen will, wühlt in den Kartons und präsentiert ein paar Lieblingsstücke. Da wären die handgemachten Handtaschen aus recycelten Lederjacken, die sie mit der kanadischen Designerin Ashley Watson in stundenlangem Email-Verkehr mitentworfen hat. Oder die Sneakers des französischen Labels „Veja“, die aus Bio-Baumwolle und Naturkautschuk hergestellt wurden. Brigitte selbst trägt ein T-Shirt des Urgesteins der grünen Mode, wie sie die englische Designerin Katharine Hamnett nennt. Ihr Laden wird Hamnetts T-Shirts mit plakativem „CHOOSE LIFE“-Aufdruck ebenso führen wie auch eine Auswahl an Babymode. Mit der Modeindustrie hat Brigitte eigentlich schlechte Erfahrungen gemacht. Die studierte Modedesignerin erinnert sich ungern zurück an die Zeiten, in denen sie für ein hochwertiges Label arbeitete. Die Muster wurden damals in Deutschland angefertigt, und eine Kollegin fuhr dann nach Hongkong, um die Ware billig produzieren zu lassen. Der leichte Benzingeruch, der die Kleidung umgab, als sie angeliefert wurde, hat Brigitte noch immer in der Nase, wenn sie sich zurückerinnert. Mit Benzin werden Kleider gereinigt, die unter schlechten Bedingungen produziert werden. „Modedesign ist dreckig“, sagt sie. Brigitte kündigte ihren Job bei dem Modelabel und begann, für eine Werbeagentur zu arbeiten. Vor einem Jahr sah sie den Moment für eine Rückkehr ins Modegeschäft gekommen. „Mit dem Loha-Boom ist es möglich geworden, ohne schlechtes Gewissen Mode zu machen“, sagt sie. Loha steht für „Lifestyle of Health and Sustainability“ und bricht mit alten Klischees: Gelegen kommt Brigitte die Konsumbereitschaft der neuen Öko-Generation. Während die Ökos früherer Jahre sich in Verzicht übten, möchten die neuen Lohas genau das Gegenteil, nämlich auf gar nichts verzichten. „Ich bin geborener Öko. Aber ich hätte niemals solche Fetzen getragen. Dann lieber unfaire Kleidung“, sagt Brigitte. Jetzt führt sie ein paar ausgewählte Labels für Baby -und Frauenmode, die öko sind, aber nicht nach öko aussehen sollen. In Zukunft soll ihr Sortiment auch von eigenen Stücken ergänzt werden.


Irgendwas war immer „Ich habe in den letzten Monaten oft daran gedacht, alles hinzuschmeißen“, sagt sie. Mitte Februar begann sie mit den Umbauarbeiten – eineinhalb Monate Zeit, einen Laden aufzubauen, und das fast ohne professionelle Hilfe. Sie musste sich Geld von ihren Eltern und Freunden leihen, da sie keine Schulden bei der Bank machen wollte. Die handwerklichen Arbeiten übernahm ihr Freund, der kurz davor steht, Chirurg zu sein. „Es gab Momente, in denen ich diesen Laden gehasst habe, es lief alles schief“, sagt Brigitte. Nachdem ihr Freund den Boden in stundenlanger Arbeit abgeschliffen hatte, um das von Laminat bedeckte Parkett freizulegen, stellte ein Experte Hausschwamm fest. Der gesamte Boden musste herausgerissen werden. Die Probleme nahmen kein Ende: Eine Heizung musste neu installiert werden, der Telefonanschluss steht bis heute nicht, vor wenigen Tagen stieg ein Bekannter mit seinem Geld aus. „Du bist auf die Unterstützung der Leute angewiesen, weil ich ja niemanden bezahlen kann, und diese Abhängigkeit ist ein krasses Gefühl“, sagt sie. Dabei war die Suche nach einem geeigneten Raum problemlos verlaufen. Brigitte wollte ihren Laden dort aufmachen, wo sie lebt, im Glockenbachviertel. Sie besichtigte einen Raum in der Fraunhoferstraße, sah sich in der Reichenbachstraße um und wurde dann im Erdgeschoss des Wohnhauses fündig, in dem sie selbst wohnt. Die Besitzerin der „Mischwarenzentrale“ zog aus und hinterließ Brigitte ihren Raum in der Baaderstraße. „Das Glockenbachviertel war mir wichtig, weil ich die Läden hier vom täglichen Leben her kenne“, sagt sie. Mit einem Block und einem Kugelschreiber in der Hand durchstreift sie das Viertel und analysiert die Modeläden nach Zielgruppe, Sortiment und Preislage. Sie unterhält sich im „Soda Books“-Laden um die Ecke mit dem Besitzer über Warenwirtschaftssysteme und macht sich Gedanken darüber, wie viele Hosen sie an einem Tag verkaufen könnte. Sie nennt das „Research“. Sie analysiert Bevölkerungsstatistiken und macht für sich eine Spitzenzielgruppe aus: Frauen zwischen 18 und 45, und davon wiederum ein Drittel – das sind dann Lohas im richtigen Alter. Die Kombination aus Frauen- und Babymode, und das auch noch ökologisch produziert, hält Brigitte für einzigartig im Glockenbachviertel. Am kommenden Samstag soll der Laden aufmachen und in den wenigen verbleibenden Tagen vor der Eröffnung werden Brigitte und ihre Freunde kaum zur Ruhe kommen. Der „glore Store“ sieht noch aus wie eine Baustelle und ein großer Teil der Ware ist noch nicht angeliefert worden. „Ich bin mir mittlerweile nicht mehr sicher, ob alles ankommt, aber ich will das noch nicht wahrhaben“, sagt Brigitte und stopft ein Hamnett T-Shirt in einen Pappkarton. Auf die die Frage, wie sie sich die ersten Momente ihres ersten Arbeitstags im eigenen Laden vorstellt, atmet Brigitte tief durch und sagt: „Ich lege mich dann in meine Umkleide und schlafe erstmal zehn Tage lang.“

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