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Nico Rosberg: Der neue Schumi
Vor kurzem hat Nico Rosberg etwas Komisches erlebt. Er dachte sich: Ich bin jetzt 21 Jahre alt, habe einen Beruf, verdiene ordentlich. Nun ist es an der Zeit, zu Hause auszuziehen, auf eigenen Beinen zu stehen, selbständig zu werden. Aber dann hat er gemerkt: So einfach ist das gar nicht, wenn man in Monaco groß wird. Das Fürstentum ist gerade einmal halb so groß wie der Londoner Centralpark. So richtig weit kann man seinen Eltern da nicht aus dem Weg gehen. Nico Rosberg tat, was er konnte. Er suchte sich eine Wohnung am anderen Ende des mondänen Steuerparadieses und ging los, um Möbel zu kaufen. Dabei erlebte er die zweite Überraschung. „Alle Möbel“, staunt er, „haben Lieferzeit.“ Sich vorzustellen, wie Nico Rosberg, das derzeit heißeste Talent der Formel 1, sechs Wochen lang in zwei leeren Zimmern sitzt und auf die Côte d’Azur blickt, hat etwas Tröstliches.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch fließend, Prädikats-Abitur, die Einladung, am renommierten Imperial College in London Aerodynamik zu studieren, als Teenager Moderator für Viva, Meister in der Formel BMW, mit 17 jüngster Testfahrer in der Formel-1-Geschichte, mit 20 Festanstellung, im ersten Rennen gleich die schnellste Rennrunde – im Leben von Nico Rosberg hat alles scheinbar mühelos geklappt, bestens und auf Anhieb. Er ist ein Sonnyboy. Als er Anfang des Jahres in die Formel 1 kam und die wohl am grellsten ausgeleuchtete Bühne der Sportwelt betrat, schrieb das ansonsten eher dröge Fachblatt Autosport vom „Beckham der Formel 1“, und Alan Jones, Weltmeister des Jahres 1980, schwärmte: „Nico ist seinem Vater schon jetzt einen Schritt voraus. Er ist größer und sieht besser aus.“ Selten zuvor kam einem Neuling ähnlich viel Aufmerksamkeit entgegen, was auch an seinem Nachnamen liegt: Rosberg. Nicos Vater Keke wurde 1982 Formel-1-Weltmeister. Mit dem britischen Williams-Team. Den Motor zum Erfolg lieferte damals Cosworth. Nico Rosberg fährt auch für Williams. Der Motor, der ihn antreibt, kommt auch von Cosworth. Die Geschichte kann Ballast sein, der bremst. Vielleicht interessieren sich deshalb so wenige Formel-1-Fahrer für Gewesenes. Michael Schumacher, Fernando Alonso und Kimi Räikkönen kennen alte Rennen nur von Videos, die sie zufällig zu sehen bekamen. Sie halten den Blick ausschließlich nach vorne gerichtet. Bei Nico Rosberg ist das anders. Ihn fasziniert die Geschichte des Sports. „Ich finde das inspirierend“, sagt er. „Die großen Hinterreifen, die breiten Flügel – die Autos waren früher schöner“, sagt er. Aber er sagt auch: „Fahren konnte man die nicht, das war viel zu gefährlich. Da musste man bekloppt sein, total bescheuert. Damals wäre ich eher Fußballer geworden. Der Auslöser, dass er doch Rennfahrer wurde, war sein Vater. Als der 1995 bei der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft in Hockenheim seinen Abschied gab, saß der zehnjährige Sohn bei der Ehrenrunde auf dem Auto. Als Nico Rosberg die jubelnde Masse sah, wusste er, was er werden wollte. Motorsport ist ein kompliziertes Geschäft. Anders als in der Leichtathletik oder beim Schwimmen kommt man nur mit Talent und Eifer nicht weit. Wer es im Motorsport zu etwas bringen will, muss Aufmerksamkeit erregen, Sponsoren gewinnen, Kontakte aufbauen, um an das beste Material zu kommen. Bietet sich die Gelegenheit, bei einer Testfahrt zu glänzen, ist ein guter Berater wichtig, der die richtigen Tipps gibt: Wie muss ich auftreten? Wann soll ich wie viel riskieren? Motorsport ist teuer. Ein Auto vorzubereiten, eine Strecke zu sperren - all das kostet. Nur wer schnell lernt, hat eine Chance. Nico Rosberg hat immer schnell gelernt - auch, weil er stets einen gewieften Berater zur Seite hatte: seinen Vater, der ihn managt. Keke Rosberg ist inzwischen 57, etwas füllig geworden und meist braun gebrannt. Seine Rolle spielt er gerne herunter. Er sagt: „Ich freue mich schon auf den Tag, an dem es heißt: ,Da kommt der Nico mit seinem Vater.' Und nicht mehr: ,Da kommt der Keke mit seinem Sohn.'“ In Wahrheit genießt es der alte Rosberg, dass ihm der junge es ermöglicht, auf den lieb gewonnenen Spielplatz zurückzukehren. Die beiden sind ein gutes Duo. Der Vater gibt die Richtung vor. Der Sohn folgt. Nico Rosberg ist kein Revoluzzer. Frank Williams, sein Chef, ist 64 und damit der älteste Teamboss im Fahrerlager. Bei Williams geht es rau zu, traditionell. Es gibt sicher vieles, an dem ein 21-Jähriger sich reiben könnte. Aber Nico Rosberg muckt nicht auf. Sein Vater hat ihm eingeimpft: Williams ist der richtige Ort für den Einstieg, und jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Michael Schumachers Karriere neigt sich ihrem Ende zu. Bald wird sich Deutschland nach einem neuen Auto-Helden sehnen. Dann soll Nico Rosberg parat stehen, so hat es sein Vater ausgeheckt, und darauf haben die beiden hingearbeitet. Nico Rosberg hätte auch der neue italienische Auto-Held werden können, der neue französische, oder der neue finnische. Mit seinem Hintergrund wäre alles möglich gewesen. Aber der deutsche Markt ist der größte, dort lässt sich am meisten verdienen. Nico Rosbergs Mutter ist Deutsche. Geboren wurde er in Wiesbaden. Aufgewachsen ist er in Monte Carlo. In Nizza besuchte er eine internationale Schule. Viele seiner Freunde sind Kinder Mailänder Geschäftsleute. In Finnland ist er bloß achtmal gewesen, aber selbst dort ist er populär. „Die Finnen haben mich adoptiert“, sagt Nico Rosberg: „als Sohn meines Vaters.“ Über den Begriff „Heimat“ mit Nico Rosberg zu reden, ist interessant. Es gibt zwei Rennen in Deutschland. „Das sind Heimrennen“, sagt Nico Rosberg: „Weil so viele Freunde und Verwandte kommen.“ Das Rennen in Monaco ist auch ein Heimspiel. „Mit einem Formel-1-Auto über die Straßen zu rollen, über die ich früher mit dem Bus zur Schule gefahren bin – das ist cool“, sagt er. Bislang ist seine Geschichte eine Erfolgsgeschichte, sein Aufstieg ein Erfolgsmodell in einer Welt, in der die Herkunft scheinbar keine Rolle mehr spielt und doch entscheidend bleibt. Jeder Rennfahrer braucht eine Lizenz. Nico Rosberg tritt mit einer deutschen an. Wenn er gewinnt, wird das Lied über Einigkeit und Recht und Freiheit gespielt. Ob er mitsingen könnte? „Nein“, sagt Nico Rosberg: „Bisher habe ich ja immer nur die Melodie gehört.“