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Mittendrin statt nur dabei

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Bei den islamischen Theologen ist gestern die Mikrowelle explodiert, darum riecht es im Treppenhaus ein bisschen streng. Abgesehen davon ist es fast beängstigend steril in diesem schmalen Bürogebäude. Es liegt eingeklemmt zwischen Rewe und Eisdiele, beherbergt zwei Arztpraxen, eine Anwaltskanzlei und das Centrum für Religiöse Studien – und eben auch das Zentrum für islamische Theologie (ZIT) der Universität Münster. Nur ein paar Vortragsplakate an den Türen und vereinzelte arabische Kalligrafien an den Wänden weisen darauf hin. Daniel Garske, studentische Hilfskraft, empfängt erst in seinem Büro, möchte für ein Gespräch aber lieber in die Bibliothek gehen. Stört man denn da keine lernenden Studenten? „Ich glaube nicht, dass da irgendjemand ist“, sagt Daniel.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was Daniel und seinen Kommilitonenam Zentrum für islamische Theologie auch tun – alles wird sofort als Teil ihrer Glaubensauffassung verstanden.

Es ist gar nicht so einfach, diesen ruhigen Ort mit seinem Ärztehaus-Charme – Lamellenrollos an den Fenstern, rechteckige LED-Lampen an der Decke – mit dem aufgeheizten Konflikt um das ZIT in Verbindung zu bringen. 2012 nahm das Zentrum seine Arbeit auf, als einer der wenigen Standorte in Deutschland, an dem man islamische Theologie und islamische Religionslehre für den Schulunterricht studieren kann. Bisher ist das Ganze noch ein Pilotprojekt und kein eigenständiger Lehrstuhl – und doch schon ein Politikum, in dem es um den „richtigen Glauben“, um Mitbestimmung und Auslegung geht. Und letztlich auch wieder um die Frage: Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht?

Der ZIT-Konflikt ist alles auf einmal: politisch, wissenschaftlich, religiös. Ein Beirat mit Vertretern der muslimischen Verbände sollte eingesetzt werden, um über die Berufung der Hochschullehrer abzustimmen, so wie es in den christlichen Theologie-Studiengängen durch die Kirche geschieht. Das Problem: Das Bundesinnenministerium lehnte bestimmte Kandidaten für den Beirat ab, weil sie dem muslimischen Verband Millî Görus angehören, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Darum kommt der Beirat nicht zustande und darum ist die Berufung des Personals informell – auch die des Leiters des Zentrums, Professor Mouhanad Khorchide, dessen großes, abgedunkeltes Büro im ZIT der umgebenden Linoleumatmosphäre trotzt. Über seine Person wird der Konflikt zwischen Muslimverbänden und Staat hauptsächlich ausgetragen. Khorchide vertritt einen sehr liberalen Islam, der einigen konservativen Muslimen nicht gefällt. Einer wie er solle keine Islamlehrer ausbilden. Nur eine Gruppe wird in dem Konflikt fast nie: gefragt die Studenten. Wie ist es, am ZIT zu studieren? Beeinflusst der Macht- und Glaubenskampf sie in ihrem Studienalltag?

„Wir studieren hier islamische Theologie und nicht Professor Khorchides Meinung“

Wenn man das herausfinden möchte, merkt man zunächst, dass die Studenten sich einigeln, abschotten. Einige von ihnen fühlten sich gestört, weil Journalisten unangekündigt mit Kameras vor Seminarräumen aufgetaucht sind. Seitdem verbietet das ZIT jedem, der hier nicht studiert, den Besuch der Lehrveranstaltungen. „Über mangelnde Aufmerksamkeit können wir uns nicht beschweren“, sagt Daniel und schmunzelt. Daniel, 33, Student der islamischen Theologie, in weißem Pulli unter weißer Strickjacke, mit Bundfaltenhose und Treckingschuhen, spricht sehr ruhig und gewählt, immer wieder faltet und öffnet er seine Hände. Er sagt dabei oft „wir“ und „uns“, nur sehr selten „ich“.

Er verstehe den ganzen Rummel nicht, sagt er, „wir studieren hier islamische Theologie und nicht Professor Khorchides Meinung“. Aber er weiß auch: „Wir haben gar nicht die Möglichkeit, kein Bild von uns nach außen zu tragen. Was wir sagen oder tun oder nicht sagen oder nicht tun, wird als Teil unserer Glaubensauffassung verstanden.“

Daniel ist vor dreieinhalb Jahren zum Islam konvertiert und studiert im dritten Semester. Später möchte er im akademischen Bereich arbeiten, an der Uni lehren und forschen. „Wir haben hier die Möglichkeit, die verschiedenen Traditionen und Schulen des Islam kennenzulernen, zu vergleichen und uns ohne den gesellschaftspolitischen Hintergrund mit dem reinen Glauben auseinanderzusetzen“, sagt Daniel. Neben ihm an der Wand stehen Regale mit edel aussehenden Büchern mit goldener Verzierung und geprägten Kalligrafien: Koranhermeneutik und Werke über Koranexegeten. Davon abgesehen ist die Bibliothek wenig prachtvoll: Viele Regale sind nur halb voll, im religionspädagogischen Bereich fehlt es an Lehrbüchern; vor allem deutschsprachige Literatur ist rar. Das ZIT selbst arbeitet an einem Lehrhandbuch.
 
Derzeit sind hier fast 450 Studenten eingeschrieben. In den vergangenen beiden Jahren haben sich die Bewerberzahlen verdoppelt, von etwa 600 auf 1200. Absolventen gibt es aber noch keine. Frühestens 2017 werden die ersten ihr Zeugnis bekommen. Und dann? Islamischen Religionsunterricht gibt es in Nordrhein-Westfalen erst an drei Schulen. Die Situation ist paradox: Auf der einen Seite wird zu wenig Unterricht angeboten, um Lehrer unterzubringen; auf der anderen Seite muss der Unterricht angeboten werden, aber es gibt zu wenig Lehrkräfte. Uni und Schulen hoffen darauf, dass beide Seiten ab 2017 zusammenfinden.*



Die meisten Studenten am ZIT sind türkisch- oder arabischstämmig und geborene Muslime, Daniel ist einer von zwei Konvertiten. Eben, auf der Treppe runter zur Bibliothek, hat Daniel eine Kommilitonin begrüßt, die nach oben sprintete. Sie trug Kopftuch zu Jeans. Auch die Bibliothekarin, eine freundliche, rundliche Frau, die Bonbons verteilt, trägt eines. „Manche hier sind mehr, manche weniger konservativ“, sagt Daniel. „Nicht alle Frauen tragen Kopftuch.“ Insgesamt ist das ZIT ein liberaler Ort.

Daniel arbeitet mit zwei Frauen zusammen in einem Büro, „das würde in der arabischen Welt nicht passieren“, sagt er und lacht. „Eigentlich kann man sich das Studentenleben hier genau so vorstellen wie bei anderen Studierenden, nur minus Alkohol.“ Das ist wohl etwas untertrieben. Als Daniel genauer schildert, wie sie ihre gemeinsame Freizeit gestalten, gewinnt man den Eindruck, dass viele islamische Theologen sich ihrem Fach mehr verpflichtet fühlen als der durchschnittliche Anglistik- oder Jura-Student: Wenn andere Institute zum Semesterende durch die Kneipen ziehen, treffen sich die ZIT-Studenten in der Moschee, essen, lesen und diskutieren, sie begehen gemeinsam das Fastenbrechen oder organisieren Vortragsabende.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Professor Mouhanad Khorchide leitet das "Zentrum für Islamische Theologie" in Münster. Seine liberale Auffassung des Islam gefällt vielen konservativen Muslimen nicht.

Weil es im ZIT außer den Büros nur zwei kleine Seminarräume gibt, finden die meisten Veranstaltungen in den verschiedenen Unigebäuden statt, über die ganze Stadt verteilt. Nur, wer einen Termin hat oder in die Bibliothek muss, verirrt sich hierher. Oder wer mit Professor Khorchide sprechen will. Wenn er denn mal Zeit hat. Ein Student huscht in sein Vorzimmer, um eine Frage loszuwerden, nach dreißig Sekunden ist er wieder draußen. Khorchide ist in Eile, zwischen Presseterminen und Seminaren, bittet dann aber doch in sein Büro. Die Rollos sind heruntergelassen, nur ein Deckenstrahler brennt, ein zusammengerollter Gebetsteppich liegt auf der Fensterbank, drei Wände voller Bücher, ein riesiger Schreibtisch, ein großer, massiver Konferenztisch voller Unterlagen, Bücher, Keksdosen. „Setzen Sie sich dahin, wo Sie sich wohlfühlen“, sagt Khorchide, ein charismatischer Mann im Anzug, mit Krawatte und Weste und sauber getrimmtem Bart.

Auch er macht wie Daniel weisende Handbewegungen, während er darüber spricht, dass zu viel über seine Person verhandelt werde und die Debatte auch den Studenten und der Atmosphäre am ZIT schade. „Mein Wunsch wäre, dass man uns weiter in Ruhe arbeiten ließe!“, sagt Khorchide. „Es geht hier darum, seine eigene Religion zu hinterfragen und selbst zu verantworten. Das kommt gerade bei jungen Muslimen gut an.“ Diese fühlten sich durch die anhaltende „Gehört der Islam zu Deutschland“-Debatte in ihrer Identität verletzt. „Für sie kommt das so rüber, als würde darüber diskutiert, ob sie dazugehören“, sagt Khorchide, „dabei leben sie oft in der dritten Generation in Deutschland, hier ist ihre Heimat. Und trotzdem meinen wir, wenn wir ‚wir Deutsche sagen nicht auch die Muslime.“

Damit sich das ändert, müssten sich aber auch die Muslime stärker einbringen, zeigen, wie der Islam die Gesellschaft bereichern könne, nicht immer nur fordern und sich in der Opferrolle sehen. Auch das sollen sie hier am ZIT lernen. „Ich sage den Studierenden, dass Theologie auch eine Wissenschaft ist, die das Herz berührt“, sagt er und legt dabei leicht die Hand auf seine Brust. Khorchide ist ein Mann für große Worte und passende Gesten. Nach zehn Minuten muss er wieder los. Oberseminar.

Noch bevor die ersten von ihnen überhaupt ein Zeugnis in der Hand halten, sind sie Teil der Debatte geworden.

Die Kollegin in Daniels Büro lacht. „Wir würden uns freuen, wenn der Professor mal zehn Minuten für uns hätte“, sagt sie. Daniel bestätigt aber, dass man mit Khorchide gut sprechen könne. Er mag ihn. Auch unter den Studenten hat der Professor Befürworter und Skeptiker. Die Fachschaft hat im Dezember eine Stellungnahme veröffentlicht – aus Sorge, im Wirbel um Khorchide das Vertrauen der „muslimischen Basis“, aber auch das des Koordinationsrats der Muslime (KRM) zu verlieren. Im Statement wurde betont, das ZIT sei pluralistisch geprägt und Khorchides theologische Ausprägung sei nicht identisch mit der des gesamten Zentrums. Daniel hat dazu eine Antwort verfasst und auf Facebook veröffentlicht. Er empfand die Stellungnahme als ein „zu Kreuze kriechen“ vor dem KRM, der doch genauso wenig für die Meinung aller Muslime stehe wie Khorchide. „Also kämpft, für euch, für eure geistige Emanzipation, für eure Zukunft und für die Freiheit unseres Glaubens, und hört damit auf, aus Gewohnheit verkrustete Hierarchien zu unterstützen“, hieß es in seiner Antwort.

So ganz können sich also auch die Studenten nicht von der öffentlichen Diskussion befreien. Es ist, wie Daniel sagte: Solange sie beobachtet werden, haben sie gar nicht die Möglichkeit, kein Bild von sich nach außen zu tragen. Sie haben ein Studium angetreten, das sie im besten Fall zu Vermittlern machen kann: zwischen der Gesellschaft und dem Islam. Zwischen konservativen und liberalen Strömungen ihrer Religion. Sie könnten diejenigen sein, die Ruhe und Sachlichkeit in die Debatte bringen. Aber noch bevor die ersten von ihnen überhaupt ein Zeugnis in der Hand halten, sind sie, ihr Studienort und ihre Fächer selbst Teil der Debatte geworden. Dazu müssen sie sich verhalten, werden hin- und hergerissen zwischen muslimischen Verbänden und Familien, Schulen und der Universität, Religion und Gesellschaft; fühlen sich verpflichtet zu Statements und Gegen-Statements. Man kann verstehen, dass einige von ihnen das ziemlich anstrengend finden.

Im ZIT gibt es neben der Bibliothek auch einen Gebetsraum – der wie alles hier provisorisch wirkt. Auf etwa zehn Quadratmetern, ohne Fenster, mit blauem Büro-Teppichboden und im Licht der LED-Lampen, können Studenten die ersehnte Ruhe finden. „Raum der Stille“, steht auf dem Schild, das vom Treppenhaus aus den Weg dorthin weist. Stille – davon könnten sie hier mehr gebrauchen.

*Nachtrag 07.04.2014: Nach Informationen der Pressestelle des Ministeriums für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen ist diese Information veraltet und falsch: Der bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht wurde zum Schuljahr 2012/13 in NRW eingeführt und wird derzeit an 36 Grundschulen und 25 weiterführenden Schulen für etwa 4500 Schülerinnen und Schüler erteilt. 98 Lehrerinnen und Lehrer haben die Lehrerlaubnis durch den Beirat erhalten, 140 Lehrerinnen und Lehrer haben die Fortbildung für das Fach IRU absolviert. 

Text: nadja-schlueter - Fotos: Fabian Stürtz

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