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"Menschliche Abgründe kann man nicht rausschneiden"

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„Rrrrrrr“, rollt Daniel Werner in seiner telefonzellengroßen Sprecherkabine. Auf dem Bildschirm trinkt gerade ein Pseudo-Bayer in weiß-blau-kariertem Hemd und Lederhose aus einem Proseccoglas und schaut dabei, so heißt es zumindest im Manuskript, „semi-erotisch“. Bei Daniel Werner, der die Off-Kommentare beim „Perfekten Dinner“ spricht, steht „anzügliches Rollen“ in der Regieanweisung. Anzüglich war das „Rrrrrrr“, aber es kam zu spät. „Nochmal von vorne“, ordnet der Toningenieur hinter dem Mischpult an. Und dann rollt Daniel Werner noch einmal. 

In einem kleinen Tonstudio im Hauptquartier von RTL und Vox in Köln, versteckt zwischen vielen Gängen und erreichbar nur über mehrere Aufzüge, werden gerade die Off-Texte in eine Folge des „Dinners“, wie hier alle sagen, eingesprochen. Diese Runde spielt im Bergischen Land und heute, am zweiten Sprechtag, sind die Donnerstags- und die Freitagsfolge an der Reihe. Daniel ist von Anfang an dabei. Seit dem Sendestart 2006 hat er rund 2 000 Folgen kommentiert. Vorher hat er als Schauspieler am Theater gearbeitet und Fernseh-Trailer eingesprochen. In seine Sprecherkabine darf außer ihm niemand, auch nicht der Toningenieur, die Produzentin oder der Autor Eric Pfeil, die im Vorraum sitzen. Alle drei schauen abwechselnd auf den Bildschirm und auf die Zettel vor sich, während Daniel sekundengenau die Sätze auf seinem Manuskript einspricht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Autor Eric Pfeil (im kleinen Bild links) und der Sprecher Daniel Werner (im kleinen Bild rechts) sorgen beim "Perfekten Dinner" für die Off-Kommentare.

Wenn eine Folge vertont wird, ist der größte Teil der Arbeit schon erledigt, der Dreh, die Nachbearbeitung. Dann beginnt Erics Arbeit. Als Autor schreibt er für die FAZ und den Rolling Stone über Musik. Seit zwei Jahren textet er neben vier weiteren Autoren die Kommentare für das „Perfekte Dinner“. Eric arbeitet zu Hause. Er sieht sich die geschnittenen Folgen an und textet in die Lücken hinein. „Ich versuche, Typen herauszuarbeiten. Einzelne Szenen sehe ich zehn Mal, ich kann manche Teile auswendig mitsprechen“, sagt er. Für eine Folge braucht er ungefähr zwei Tage und hat dabei sein eigenes System entwickelt. Er schaut sich die einzelnen Folgen nicht vorab als Ganzes an. „Ich will nicht wissen, dass bei Minute 43 alles anbrennt. Wenn ich die Sendung schon kenne, schreibe ich langweiliger.“

Grundsätzlich halten Off-Texte die Sendung zusammen. Es ist aber noch mehr. „Ohne die Off-Stimme würde man nur Leute sehen, die kochen“, sagt Eric, „die Kommentare hauchen dem Ganzen eine Seele ein.“ Mal ist der Sprecher verwirrt, mal stellt er den anderen in Frage oder deckt einen Widerspruch auf. „Er ist die Figur, die über allem schwebt“, sagt Daniel. 

Kurze Pause. Eric und Daniel stehen im Flur und erzählen, wie die Kommentare entstehen. Da gibt es feste Bestandteile wie die Vorstellung der Kandidaten und die Zusammenfassung der Punktestände. Sonst gibt es kaum Vorgaben. „Es sind mehr logische Dinge“, sagt Eric, „man muss eine Gurke erwähnen, wenn sie im Bild ist, und nicht erst, wenn schon die Sahne geschlagen wird. Und wir sind den Teilnehmern positiv zugetan.“ Den Rest macht jeder Autor anders. Ausgerechnet Thomas Mann und Rainer Brandt nennt Eric als Vorbilder. „Meine gestelzte Sprache und die dezenten Homosexuellenreferenzen sind Anspielungen auf Thomas Mann, von Rainer Brandt, der viele Italowestern synchronisiert hat, habe ich dieses Debil-Royale. Sobald eine Person den Raum betritt, schreibe ich gerne ‚Aha, er kömmt’. Jede Produktionsfirma auf der Welt sagt dann, der kömmt nicht, der kommt.“ Daniel ergänzt: „Beim ‚Dinner’ geht das. Es ist ein literarisches Format.“

Eric beschreibt, was zu sehen ist, ihm ist es aber wichtig, dass die Kommentare darüber hinausgehen. Das können auch mal philosophische Betrachtungen sein: „Ich schreibe viel über Musik, da schreibe ich auch nicht ’Die drei Jungs rocken auf der Bühne, nach drei Zugaben gehen die nassgeschwitzten Männer ab’. Ich schreibe, was es bedeutet, suche einen interessanten Vergleich. Beim ‚Dinner’ ist es genauso. Wenn etwas anbrennt, schreibe ich über die Vergeblichkeit allen irdischen Treibens und Bemühens, weil wir letztlich doch alle zum Scheitern verurteilt sind.“ Von Freunden wird er nach der Sendung manchmal gefragt „Was hast du denn da geraucht?“ Während er das erzählt, schüttelt Eric den Kopf: „Als ob Fantasie nur entsteht, wenn man irgendwas zu sich genommen hat.“

Fantasie ist nötig, wenn man, wie jetzt im Studio, nur sieht und hört, was die Kandidaten machen und sagen. Das ist oft nicht viel. Manchmal bringt Daniel beim Einsprechen noch eine Idee mit ein. Wie jetzt: Die Sendung ist fast zu Ende und der Bayer von vorhin sagt, er werde ganz „me-melancholisch“, Daniel spricht aus seiner Kabine heraus die anderen an: „Ich könnte ihn doch unterbrechen und was mit Melanzane einwerfen, das Wort haben die in der Woche so oft benutzt.“ „Ist das nicht zu weit hergeholt?“, fragt die Produzentin. „Doch, doch, ich sag’ Melanzane“, antwortet Daniel. Und so wird es auch gemacht.

Daniel kann alle Autoren auseinanderhalten, manche schreiben etwas frivol, andere ein bisschen fies. Wie weit darf man gehen? „Bis zu dem Punkt, an dem es bei jedem Menschen mit Stil, Geschmack und Würde im Gespräch auch aufhört. Ich bin vorsichtig mit diesem Dieter-Bohlen-Argument ‚Man kann im Fernsehen jedem einen mitgeben, weil die das so wollten’“, sagt Eric. Wenn in einer Folge jemand ein Außenseiter ist, neigt er dazu, ihn zu schützen. „Und wenn eine Studentin ein Essen zusammenbastelt, ist unsere Sympathie eher da als bei jemandem, der für 1 000 Euro Wagyu-Rind kauft und es von einem Butler servieren lässt“, ergänzt Daniel. Und wenn jemand mit Absicht niedrige Punkte vergibt, um selbst zu gewinnen? „Da sag ich ‚Boah, vier Punkte? Das ist ja wohl nicht wahr!’, nicht ‚Ah, er gibt vier Punkte, das gemeine Schwein.’“

Ist es beim „Promi-Dinner“ einfacher, gemein zu sein? „Die Welt ist so bösartig, so laut, ich glaube nicht, dass man das noch verstärken muss“, sagt Eric. Weil die Promis das zensieren? „Die Agenten sehen die Sendung nicht vorher. Und wir wollen hier nichts enthüllen“, sagt Daniel. Eric freut sich besonders über die Details. Er erinnert sich, dass der Sänger Heinz Rudolf Kunze zu Hause Filzpantoffeln getragen hat und seine Frau kochen ließ. Er stand nur telefonierend daneben und stellte fest: „Meine Brille ist beschlagen“. Eric sagt: „Da kann ich mich stundenlang darüber freuen. Das sind menschliche Abgründe. Die kann man nicht rausschneiden.“ Egal, wie sehr sich manche vornehmen, eine bestimmte Rolle zu erfüllen, früher oder später entlarvt sich jeder. „Das ‚Dinner’ schafft, was viele Romane versuchen: ein Sittenbild. Heute hatten wir einen sexuell aufgeschlossenen Schlumpfsammler dabei, einen Indierocker mit Bart und eine Lehrerin, die nur auf den ersten Blick nett ist. Das sind Typen“, sagt Eric. Der letzte Satz in der Freitagsfolge ist inzwischen gesprochen. „Wir haben ein Kreuzchen bei Minute 3.23“, sagt die Produzentin. Die Stelle muss Daniel noch mal sprechen, das Timing hat nicht ganz gepasst. „Der Satz war für die Szene zu lang, den kürzen wir“, antwortet Eric. Danach ist Feierabend.

Daniel erinnert sich an sein erstes Jahr als Sprecher des „Perfekten Dinners“. In manchen Foren kam seine Stimme besonders bei Frauen gut an. „Da sind Fantasien von Mittzwanzigern aufgekommen, bis jemand ein Scheiß-Foto aus dem Internet reingestellt hat – daraufhin haben alle Daumen runter gepostet. Davor hatte ich viele Autogrammwünsche, das hat sich sehr schnell gegeben, als die Leute wussten, dass ich wie ’ne Vogelscheuche aussehe.“  

Wenn man wie Daniel und Eric Woche für Woche andere beim Kochen und Essen begleitet, will man da nicht auch selbst mitmachen? „Ich würde oft gern mit am Tisch sitzen, wenn ich einen Kandidaten gern mag“, sagt Eric, „aber ich möchte mir nicht dabei zusehen, wie ich wie Heinz Rudolf Kunze in Pantoffeln neben meiner Freundin stehe und keine Ahnung vom Kochen habe.“ Daniel würde es reizen, sich selbst zu kommentieren. „Aber dann wäre der Mensch, der nicht zu sehen ist, plötzlich zu sehen. Ich müsste einen anderen spielen – und dann macht das ja gar keinen Sinn.“ Vor dem Kochen hätte er keine Angst, er würde einfach Spaghetti kochen. Essen ist ihm ohnehin nicht so wichtig: „Das ist gar nicht schlecht, sonst könnte ich mich vielleicht nicht so gut konzentrieren.“ Bei Eric ist das anders: „Ich habe seitdem einen wahnsinnigen Anspruch an Essenseinladungen. Ich erwarte immer drei Gänge und dass alles liebevoll gemacht wird. Und ich werde immer sehr enttäuscht.“

„Das perfekte Dinner“ läuft werktags um 19 Uhr auf Vox.

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