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Mein Vater, der Chef

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Als Marisa Poto das erste Mal im „Da Noi“ arbeitete, hatte sie gerade Mist gebaut – was genau, das weiß sie heute gar nicht mehr. Zur Strafe verdonnerte ihr Vater sie dazu, in seinem Restaurant zu arbeiten – an ihren freien Wochenenden, ohne Lohn. Marisa, 17 damals, stand drei lange Wochenenden an der Tür des „Da Noi“ im Münchner Nobelvorort Solln und drückte den Gästen zum Abschied eine Rose in die Hand. Obwohl sie sich über ihre Strafe ärgerte, war Marisa nett und lächelte immer freundlich. Irgendwann steckte ihr ein Gast 50 Mark zu. Als Trinkgeld. Einfach so. „Kein schlechter Anfang“ sagt ihr Vater heute und lacht. Die kleine Tochter raucht Das war vor 10 Jahren. Heute ist Marisa 27 und stellvertretende Geschäftsleiterin: Sie führt das „Da Noi“, wenn Nicola Poto nicht da ist, lenkt die Mitarbeiter. Den Rest der Zeit aber ist sie Angestellte. Und ihr Vater ist ihr Chef. Familie ist in Deutschland ein wirtschaftliches Erfolgskonzept: 85 Prozent der deutschen Unternehmen sind Familienbetriebe, sie gelten als wachstumsstärker und langlebiger. Doch Familienbetrieb ist nicht gleich Familienbetrieb: Internationale Konzernriesen wie BMW oder Henkel sind ebenso in Familienbesitz wie mittelständische Betriebe und kleine Firmen, seien es Handwerksbetriebe oder Restaurants. Je kleiner die Firma, desto enger die Zusammenarbeit in der Familie: Der Vater wird zum direkten Vorgesetzten. Besonders gilt das für die Gastronomie: Kein Büro und keine Werkstatt, um sich zurückzuziehen, ständig ist man in Kontakt – und das bei Arbeitstagen mit bis zu 18 Stunden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn der Vater mit der Tochter einen Betrieb führt: Marisa und ihr Vater Nicola sind zusammen im Geschäft. Foto: christoph-gurk Für Marisa und ihren Vater war das am Anfang schwierig – und eigentlich auch nicht so geplant: Als Teenager wollte Marisa zuerst Zahnarzthelferin werden, aber nach ihrer Ausbildung fand sie keinen Job. Vom Geld ihrer Eltern leben wollte sie auch nicht, also fängt sie mit 19 im Restaurant ihres Vaters an. Eine Notlösung. „Ich dachte: Die spinnt!“ sagt ihr Vater Nicola Poto heute. „Drei Jahre Lehre und dann will sie auf einmal kellnern.“ Als sie anfängt, hat Marisa keinen blassen Schimmer von Gastronomie. Die ersten drei Monate steht sie hinter der Bar und lernt, wie man Cocktails mixt und Cappuccino macht. Ganz nebenbei muss sie sich auch noch an ihren neuen Chef gewöhnen: Die Trennung von Familie und Geschäft, die Umstellung von der Vater-Tochter- auf eine Chef-Angestellten-Beziehung ist nicht leicht. Irgendwann bittet Marisa ihren Vater, sie zu behandeln wie eine ganz normale Mitarbeiterin. Bald danach bereut sie das wieder: „Mein Papa ist ein lieber Vater, geschäftlich aber ist er knallhart“, sagt Marisa. Nicola Poto ist ein strenger Chef – besonders zu seiner Tochter. Die Rollen vermischen sich und damit auch die Probleme: Dass sie raucht, wusste ihr Vater schon lange. Trotzdem ist es Marisa unangenehm, wenn er sie mit Zigarette sieht. Am Anfang ihrer Arbeit im Restaurant versteckt sie sich zum Rauchen auf die Toilette, nach ein paar Wochen bekommt ihr Vater Wind davon und verbietet es ihr – wie sieht das denn aus, wenn die Tochter des Hauses auf dem Klo raucht? Will Marisa rauchen, muss sie das hinter der Bar tun – in Sichtweite ihres Vaters. „Die erste Zigarette war schlimm für mich“, sagt sie. „Mein Vater hat mich von weitem beobachtet und kopfschüttelnd gesagt: Meine kleine Tochter raucht.“ Besonders begeistert war Marisa anfangs nicht von ihrem neuen Job, aber das Geld reizt sie. Deshalb macht sie weiter. Als sie von der Bar in den Service kommt, soll sie länger und mehr arbeiten; so wie alle andere auch. Marisa sträubt sich, sie will am Wochenende frei haben und mit ihren Freunden ausgehen. Angestellte und Chef streiten sich, die Tochter sieht nicht ein, warum der Vater nicht einfach nachgibt. Marisa kündigt. Sie versucht, in einem Büro zu arbeiten, kommt aber bald zurück, zu verlockend das Geld. Letztendlich kann sie sich mit ihrem Vater doch noch einigen: Von Montag bis Donnerstag muss sie komplett durcharbeiten, dafür hat sie den Rest der Woche frei. Für Marisa perfekt – in der Gastronomie aber eine sehr ungewöhnliche Abmachung, die zwischen Chef und einem normalem Angestellten so wohl nicht zustande gekommen wäre. Von Morgens um 10 bis spät in die Nacht arbeitet Marisa mit ihrem Vater im „Da Noi“, eine Zeitlang wohnt sie sogar über dem Restaurant. In einer Woche verbringen Vater und Tochter soviel Zeit miteinander, wie manche Familien nicht im ganzen Jahr. Ein Vorteil, wie Marisa heute findet, denn es galt etwas aufzuholen – in der Beziehung zwischen Vater und Tochter. Nicola Poto kommt vor über 30 Jahren mit seiner Frau aus Süditalien nach Deutschland. Eigentlich will er nur ein bisschen Deutsch lernen, um in Italien leichter eine Arbeit zu finden. Aber er bleibt in München, arbeitet in einem großen Hotel und einigen Restaurants, dann eröffnet er das „Da Noi“. Die Trattoria läuft gut, Klientel und Essen sind gehoben, Nicola Poto ein Gastronom mit Leib und Seele. „Ich bin jemand, der immer nur arbeitet. Ich habe keine Hobbys außer Essen, Trinken und das schöne Leben. Und das schöne Leben ist die Arbeit.“ Dieses schöne Leben hat seinen Preis: Die beiden kleinen Töchter sehen ihren Vater nur selten. Wenn sie aufstehen, schläft Nicola Poto noch, wenn sie ins Bett gehen, ist er immer noch in der Arbeit. Die ganze Familie sieht sich nur, wenn alle am Wochenende gemeinsam essen oder der Chef einen freien Tag hat. Das ändert sich schlagartig, als Marisa beginnt, im „Da Noi“ zu arbeiten: „Früher war mein Vater für mich eine fremde Person“, sagt sie. „Erst als ich hier angefangen habe, habe ich ihn richtig kennen gelernt. Mit den guten, aber natürlich auch mit den schlechten Seiten.“ Vater und Tochter sehen sich nun fast jeden Tag – als Chef und Angestellte zwar, trotzdem ändert das auch ihre private Beziehung. „Man muss ein bisschen die Vater-Tochter Beziehung abbauen“, sagt Nicola Poto, „dann kommt man mehr ins Gespräch. Und das eröffnet dann auch das Privatleben. Marisa erzählt mir heute mehr als früher. Wenn man den ganzen Tag zusammenarbeitet, dann gewinnt man mehr Vertrauen zueinander.“ Die gemeinsame Arbeit sorgt dafür, dass es immer etwas zu reden gibt, sie verbindet die beiden Generationen – und irgendwann auch Privates und Geschäft. Schwierig nur, wenn die Situation aus dem Gleichgewicht gerät und eine der beiden Seiten zu kurz kommt: Dann knirscht es im Restaurant, weil das Private sich zu sehr mit dem Geschäftlichen vermischt. Dann schreien sich Marisa und ihr Vater an – oder sie reden gar nicht mehr miteinander. Familie eben. Schwierig ist es auch, wenn das Geschäft das Privatleben vollkommen überdeckt: „Man vergisst schnell, dass man irgendwann nur noch über geschäftliche Dinge redet“, sagt Marisa. „Ich sehe meinen Vater zwar jeden Tag, allerdings die meiste Zeit als Chef und nicht als Vater.“ Der Vater ist Herr Poto Diese Trennung ist klar: Zuhause ist ihr Vater ihr Vater, im Restaurant nennt sie ihn „Herr Poto“ oder „Chef“. Und obwohl Marisa und Nicola Poto privat auf Deutsch reden, sprechen sie im Restaurant nur Italienisch, so wie alle anderen Angestellten auch. Zwischen Familie und Beruf zu trennen ist nicht immer leicht, aber auch ihr Vater meint: „In bestimmten Situationen gibt es keinen Vater, da bin ich Marisas Chef und sie muss machen was ich sage.“ Irgendwann einmal soll sich das ändern. Dann soll Marisa das „Da Noi“ übernehmen und ihr Vater in den Ruhestand gehen. So zumindest die Theorie. Denn wer sich seinen eigenen Betrieb aufgebaut hat, der identifiziert sich mit seiner Arbeit – und möchte meistens nicht so einfach aufhören. So wie Prinz Charles auf die Krone wartet, warten viele Kinder über Jahre, bis sie auch mal an die Reihe kommen. Und wenn es dann endlich so weit ist, ziehen sich die Eltern nicht zurück: Sie arbeiten Teilzeit, mischen sich in die Geschäfte ein. Ob Marisa Lust hat, das „Da Noi“ unter diesen Umständen zu übernehmen, weiß sie noch nicht. Dass Nicola Poto jemals aufhört zu arbeiten, das glauben aber weder Marisa noch er selbst. „Mein Vater hat kein Privatleben“, sagt Marisa. „Er wird und das ,Da Noi’ zwar übergeben, aber trotzdem immer da sein. Er könnte gar nicht anders.“ Vergangenes Jahr ist Marisa selbst Mutter geworden. Noch hat sie genug Zeit für ihre Tochter Sara. Sollte sie das „Da Noi“ tatsächlich übernehmen, würde die Zeit sicher knapper werden. Marisa hätte Angst, ihr Kind so wenig zu sehen, wie ihr Vater sie gesehen hat. Momentan arbeiten Nicola Poto und seine Tochter im Schichtbetrieb: Wenn Marisa arbeitet, passen ihr Mann oder ihre Eltern auf Sara auf. Eigentlich perfekt. Und Nicola Poto freut sich, dass er von seiner Enkelin mehr haben wird, als er von seiner Tochter hatte. Hätte Marisa jemand vor zehn Jahren gesagt, dass sie irgendwann mal zusammen mit ihrem Vater ein Restaurant führt, sie hätte ihn für verrückt erklärt. Heute ist sie eigentlich ganz zufrieden mit ihrer Entscheidung: Chef und Angestellte verstehen sich gut, Vater und Tochter vielleicht sogar noch besser. Und auch wenn Marisa gerne so behandelt werden möchte: Eine stinknormale Angestellte ist sie nicht. Dafür ist ihr Chef einfach zu sehr ihr Vater. „Klar hab ich viele Vorteile“, meint Marisa. „Ich kriege eher durch, was ich mir wünsche – drei Tage Urlaub zum Beispiel oder einfach mal früher gehen.“ Auf der anderen Seite verpflichtet Familie auch, Marisa muss öfter aushelfen als andere, hat mehr Verantwortung und sie könnte auch nicht einfach mal einen Tag blau machen – selbst wenn sie wollte: „Ich würde es einfach nicht übers Herz bringen, meinen Vater zu belügen.“

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