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Mein Freund, der Beethoven
Miriam Schulz wirkt noch zierlicher als sonst, vor dieser schweren Holztür. Früher hielt Adolf Hitler hier Empfänge ab, „Führerbau“ nannten die Münchner das Gebäude. Heute ist die Musikhochschule am Königsplatz ein marmorner Palast für die Kunst. Im Konzertsaal hinter der Tür sitzen etwa 60 edel gewandete Münchner, Miriams Oma ist da, die ganze Familie. Und in der ersten Reihe thronen zwei streng blickende Herren und eine Dame: Die Juroren für den 44. Münchner Regionalwettbewerb von Jugend musiziert. Ob sie nervös ist, will eine andere Geigerin wissen. „Geht so“, sagt Miriam. Natürlich ist sie nervös. Schon beim Frühstück hatte sie „ein kribbeliges Gefühl im Bauch“. Ihre Schwester hat bereits gestern gespielt, „total perfekt“, sagt Miriam, 24 von 25 Punkten, „da will man als ältere Schwester nicht schlechter sein“. Vor allem aber will die 15-jährige Gymnasiastin zeigen, was sie gelernt hat, oder besser gesagt: was sie sich erarbeitet hat. Jeden Tag übt sie etwa zwei Stunden auf ihrer Geige. Erst Tonleitern. Dann Doppelgriffe. Dann die Stücke, die ihr der Geigenlehrer aufgetragen hat. „Unter der Woche treffe ich mich fast nie mit Freunden“, sagt sie. Und nun öffnet sich die Holztüre – die nächsten 20 Minuten lang werden alle nur ihr zuhören.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zuhause im Garten: Geigen-Spielerin Miriam, Foto: Gerald von Foris Jugend musiziert ist der größte deutsche Wettbewerb für klassische Musik. Etwa 20 000 junge Geiger, Kontrabassisten oder Sänger messen sich in der ersten Stufe, den Regionalwettbewerben wie jenem in München. 6500 schaffen es zu den Landeswettbewerben, knapp 2000 dürfen zum Bundeswettbewerb, der Krönung, die dieses Jahr Ende Mai ausgetragen wird. Viele bekannte Musiker hat der Wettbewerb seit 1963 hervorgebracht. Kürzlich war er sogar im Kino zu sehen, im Film „Vier Minuten“, mit Hannah Herzsprung als wilder Klavierschülerin, die sich aus dem Frauenknast bis zum Bundeswettbewerb spielt. Miriam kommt aus einem Einfamilienhaus in München-Obermenzing. Nicht aus einer Villa in Grünwald, wie es ein Klischee über Jugend musiziert-Teilnehmer besagt. Ihre Mutter sitzt neben der Oma im Publikum, lacht viel und trägt keine Peitsche, mit der sie Miriam zum Spielen antreibt. Was das zweite Klischee wäre. „Das ist ihr Ding“, sagt die Mutter und grüßt andere Eltern. Man kennt sich, vielleicht vom letzten Jahr, vielleicht, weil es so viele talentierte Nachwuchsmusiker in München nicht gibt. Es ist also Miriams Ding da oben auf der Bühne. Die Regeln sind einfach: Drei Stücke, drei Epochen. Sie spielt „den Beethoven“, wie sie sagt, Violinsonate Nr. 4, „den Kreisler“, Präludium und Allegro, dazu „den Pärt“, Fratres. Sie spricht von den Komponisten, als seien sie alte Freunde. Aufrecht wie der Notenständer steht Miriam da, die Haare streng zum Pferdeschwanz gebunden. Sie stimmt ihre Violine, ein schönes hellbraunes Instrument, dessen Kinnhalter abgenutzt ist vom vielen Üben. Dann setzt das Klavier ein und Miriam spielt los. Der Kreisler rieselt auf das Publikum herunter wie ein Regenschauer. Der Beethoven fließt warm und sanft in den Saal. Miriams Oberkörper schaukelt im Takt der Musik, an dynamischen Stellen hüpft ihr Pferdeschwanz. Die Finger tanzen über das Griffbrett, manchmal tanzen sie Ballett, meistens Stepptanz. Als sie fertig ist, bricht Applaus los. „Bravo“, rufen manche. Miriam spielt seit ihrem dritten Lebensjahr. „Als ich zwei war, habe ich meine Cousine Geige spielen gehört“, sagt sie. Die kleine Miriam wünschte sich auch eine Geige, bekam aber keine. Wenn sie jemand fragte, was ihr Geburtstagsgeschenk war, sagte sie: „Keine Geige.“ Kurz darauf spendierten ihr die Eltern doch eine, dazu Unterricht bei einem Japaner, der die Mutter rügte, wenn Miriam nicht geübt hatte. Die richtige Haltung lernte sie mit Essstäbchen. Man kann wohl sagen, dass der Lehrer ein schräger Vogel war. Aber Miriam mochte ihn. Sie hat ihn erst vor eineinhalb Jahren verlassen. Es war Zeit. Sie hat sich lange umgehört, bis sie Jorge Sutil gefunden hat. Seitdem ist alles anders. Miriam musste ihre ganze Haltung umstellen. Lockerer mit der Bogenhand spielen, mit mehr Handgelenk, sagte der Lehrer, die Geigenhand soll runder sein. „Da muss man geduldig sein“, sagt Miriam, „aber nach eineinhalb Monaten hatte ich wieder eine gescheite Technik.“ Wie die Jury Miriams Vorspielen bewertet, liest du auf der nächsten Seite.
Der neue Lehrer empfängt seine Schüler in einem Gartenhaus nahe München. Bonum entra melior ex!, steht an der Tür, mögen gute Geigenspieler eintreten und bessere wieder rausgehen. Im Inneren schwebt Duftöl in der Luft, ein dicker Notenständer steht auf einem Perserteppich, die eleganten Sessel ruhen auf Schutzschälchen, damit sie das Parkett nicht zerkratzen. Der Lehrer mag es ordentlich. Hier probt Miriam derzeit Mendelssohns Konzert in e-Moll für Violine und Orchester, ein heikles Stück. Der Lehrer steht daneben wie ein Dirigent, zuckt mit dem Kopf, „jetzt mehr Bogen!“, ruft er. Miriam sagt fast nichts. Sie spielt ein paar Takte, schon wird sie wieder unterbrochen. „Jaka-jaka-taka-damm!“, singt der Lehrer vor, er stampft mit dem Fuß auf den Boden und sagt: „Kümmere Dich mehr um den Bogen, der macht die Musik.“ Jahrzehntelang spielte Sutil bei den Münchner Philharmonikern, er lässt nichts durchgehen. Ein strenger Mann mit weißen Locken. Sobald Miriams Haltung nicht stimmt, legt er ihr seinen Bogen auf die Schulter. Seitdem Miriam bei diesem Lehrer ist, „hat sie ihr Übungspensum verdoppelt“, sagt die Mutter. Falls sie es vorher nicht war, ist sie jetzt zur Perfektionistin geworden. Sie übt, weil sie sich vor ihrem Lehrer keine Blöße geben will. „Ich finde das peinlich, wenn man was nicht kann“, sagt sie. Und nach all’ dem Üben will sie auch mal wissen, wo sie steht im Vergleich zu anderen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Sie dringt in die Tiefe der Stücke ein, so beurteilt die Jury Miriams Geigenspiel, Foto: Gerald von Foris Gut zwei Stunden nach ihrem Auftritt ruft Professor Bernhard Tluck Miriam zu sich, der Jury-Vorsitzende. Jeder Teilnehmer hat das Recht auf ein Beratungsgespräch. Tluck sagt Miriam noch nicht, welches Ergebnis sie bekommt. Er sagt: „Es hat mich berührt, dass Du in Deiner Jugend in die Tiefe der Stücke dringst und nicht an der Oberfläche bleibst.“ Er schwärmt über ihre Auswahl und sagt, dass sie an manchen Stellen die Schulter zu weit nach oben nimmt. Vor allem empfiehlt er ihr, nicht mit dem Geigespielen aufzuhören. Am Abend erfährt Miriam ihr Ergebnis: 23 Punkte. Einer von vier ersten Preisen, sie darf mit ihrer Schwester zum Landeswettbewerb fahren, am heutigen Montag in Garmisch-Partenkirchen. Die Familie feiert beim Chinesen. Tags darauf steht Miriam wieder in ihrem Zimmer und übt. Über dem Bett wachen acht staubfreie Pokale, vom „31. Gaukinderturnfest“ und dem U-14-Turnier des Tennisclubs, 1. Platz. Sie legen nahe, dass Miriam schon immer erfolgreich war. Dass sie es weit bringen wird mit ihrer Disziplin, bis zur Geigerin in einem großen Orchester vielleicht. Oder sie macht es doch wie ihr älterer Bruder, der gerade für ein halbes Jahr eine Schule in Spanien besucht: Er packt seine Geige nur noch aus, wenn er Lust darauf hat. „Der sagt nicht: Das muss jetzt perfekt werden“, sagt Miriam. „Der genießt die Musik.“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Lies hier das Porträt von Tristan , der bei dem Wettbewerb "Deutschland sucht den Superstar" ziemlich weit kam. Aber noch nicht weit genug.