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Löcher im Laden

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Was wir uns fragen, wenn wir einkaufen: Ist das cool? Oder sehe ich damit aus wie ein Trottel? Was wir uns oft nicht fragen: Wo kommen die Waren her? Von wem sind sie wie gefertigt worden, dass sie so günstig sind?

Dass wir diese Fragen verdrängen, ist nicht verwunderlich. Die Antworten könnten jeden Shoppingspaß vermiesen. Wer kann sich schon über eine Hose freuen, die von einem Neunjährigen zusammengenäht und ohne Schutzkleidung gefärbt wurde, bis seine Hände aufgeweicht waren vom Bleichmittel? Die Medien bringen das Thema Kinderarbeit immer mal wieder schlaglichtartig in unser Bewusstsein. Sie zeigen erschreckende Arbeitsbedingungen, die ein unangenehmes Gefühl hinterlassen. Vielleicht sogar gute Vorsätze. Doch meist sind die beim Anblick der nächsten Turnschuhe auf Zalando wieder vergessen.

Das aVOID-Plugin soll den Job machen, an dem der gute Wille und das schlechte Gewissen bisher gescheitert sind. Einmal im Internetbrowser installiert, blendet es in großen Onlineshops die Angebote der Marken aus, die mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht werden. Es hilft, Produkte mit fragwürdiger Herstellung zu meiden (engl. avoid), indem es im Shop an ihrer Stelle nur eine Lücke (engl. void) zurücklässt. Rechtlich ist das Plugin nicht angreifbar, weil jeder Nutzer selbst entscheidet es zu verwenden. Es ist vergleichbar mit einer Kinderschutzsoftware, mit einem Filter, den man installiert, um keine nackten Frauen mehr angezeigt zu bekommen.

Entwickelt haben das Plugin drei Mitarbeiter von Interone, einer Münchner Agentur für integrierte Multikanalkommunikation, in Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Verein EarthLink. Im Rahmen der Kampagne „Aktiv gegen Kinderarbeit“ veröffentlichte der Verein vor ungefähr sieben Jahren eine Liste, die seitdem kontinuierlich aktualisiert und erweitert wird. Sie zeigt anhand einer Ampelbewertung mit roten, gelben oder grünen Punkten, gegen welche Marken konkrete Vorwürfe vorliegen, wem das Thema egal ist und wer sich gegen Kinderarbeit einsetzt. Insgesamt sind mittlerweile 314 Marken und Firmen erfasst, 58 davon aus der Textilbranche.

Die Entwickler Gregor Myszor, Jörg Radehaus und Thomas Fink kannten die Liste, doch die Anwendung war ihnen viel zu kompliziert. „Man musste sehr viel Aufwand betreiben, um an den Punkt zu kommen, an dem man sagen konnte: Ich shoppe jetzt fair“, erklärt Gregor Myszor. Man musste sich eine halbe Stunde damit beschäftigen, die Liste aufzurufen und mit den Onlineangeboten abzugleichen. Die drei boten dem EarthLink-Geschäftsführer Bernhard Henselmann an, das Plugin zu programmieren, und das auch noch ehrenamtlich. Henselmann war begeistert. „Das Plugin trifft die Firmen nochmal anders“, sagt Henselmann. Während es für Unternehmen früher noch nahezu keine Auswirkungen hatte, was die EarthLink-Liste über sie sagt, schmerzt sie das Plugin mehr. Seit es online ist, haben sich schon einige Firmen gemeldet, um selbst Auskunft zu geben und sich zu informieren, damit ihre Produkte nicht mehr gesperrt werden. Für Henselmann ein großer Erfolg.

Wer das Plugin installiert, ahnt vielleicht schon, dass mehr Produkte mit Kinderarbeit hergestellt werden, als einem bewusst ist. Der Blick in einen Onlineshop wie Zalando ist dennoch schockierend. In der Kategorie Stiefeletten sind die fünf am häufigsten gekauften Schuhe ausgeblendet. Statt fünf Modelle der beliebten Marke Tamaris sieht man kleine aVOID-Logos auf viel weißer Fläche.

Beim weiteren Klicken durch die Seite, wird das beklemmende Gefühl immer größer. Viele große, sehr beliebte Marken fehlen: American Apparel, Tommy Hilfiger oder Cheap Monday – sie alle stehen auf der EarthLink-Liste. Das bedeutet, sie haben in einer von drei Kategorien einen roten Punkt bekommen. Es heißt allerdings nicht zwingend, dass sie alle ihre Produkte mit Hilfe von Kinderarbeit herstellen. Die Sache ist etwas komplizierter, denn es kommt auf die Kriterien an, die Earthlink zur Bewertung heranzieht.

EarthLink wolle nicht gegen die Firmen arbeiten, sondern ihnen helfen, ihre Verantwortung wahrzunehmen, erklärt Bernhard Henselmann: „Ein Vorfall von Kinderarbeit kann jeder Firma einmal passieren. Die Gefahr liegt oft bei den Subsubsub-Unternehmern.“ Aber dann müsse man eben auch Verantwortung zeigen. „Wir wollen keine Firma reinreiten“, betont Henselmann. Könne ein Unternehmen Vorwürfe aus dem Weg räumen, verschwinde der rote Punkt auch ganz schnell wieder.

Es ist meist schwer, von Marken, gegen die konkrete Vorwürfe vorliegen, an aufschlussreiche Informationen zu kommen. Die Sportartikelmarke Speedo teilte auf Anfrage von jetzt.de mit, der zuständige Leiter sei drei bis vier Wochen im Urlaub. Eine Vertretung gebe es nicht – ebensowenig weitere Auskünfte. Der Mutterkonzern Warnaco hatte der EarthLink-Liste zufolge in China Produkte mit Kinderarbeit für Speedo herstellen lassen. Als das heraus kam, hat Warnaco den Zulieferer zwar verwarnt, aber trotzdem weiter beschäftigt.

Treffen die Vorwürfe mit einiger Wahrscheinlichkeit zu, halten sich die Unternehmen also gerne bedeckt. Anders ist es bei vielen Marken, für die die Liste in den anderen beiden Kategorien einen roten Punkt anzeigt: Unternehmenspolitik und Kontrollen der Produktionsstätten. Hier geht es zum einen darum, ob Firmen Kinderarbeit ablehnen und einem Verhaltenskodex folgen – einem so genannten Code of Conduct. Zum anderen ist die Frage, ob Konzerne ihre Produktionsstätten oder Zulieferer regelmäßig kontrollieren. Ist eins von beidem nicht der Fall, gibt es einen roten Punkt, und das Plugin filtert die entsprechende Marke.

Hier allerdings fühlen sich Firmen ungerecht behandelt. Denn für einen roten Punkt kann schon eine unbeantwortete Mail Grund genug sein. Die Marke Tamaris zum Beispiel wird durch das Plugin gesperrt, weil sie sich – so heißt es auf der EarthLink-Homepage – auf eine Anfrage vom 18. April 2012 bis heute nicht gemeldet habe. Die Wortmann Schuh-Holding, zu der Tamaris gehört, kann nicht bestätigen, ob sie diese E-Mail erhalten haben oder nicht. Grundsätzlich, heißt es in einer Stellungnahme, beantworte Wortmann Anfragen dieser Art aber umgehend. Denn Wortmann ist sogar stolz auf seine Unternehmenspolitik gegen Kinderarbeit. Seit vielen Jahren schon gebe es einen ausführlichen Code of Conduct, der ein klares Verbot von Kinderarbeit beinhalte. Bei einem Verstoß trete ein Aktionsplan in Kraft, um den betreffenden Kindern und Jugendlichen zu helfen. Außerdem würden externe Kontrollen der Produktionsstätten durch international tätige Prüfungsinstitute erfolgen. Damit würde die Marke Tamaris allen geforderten Punkten von EarthLink entsprechen. Stellt sich die Frage, warum EarthLink das bei der Recherche nicht herausfinden konnte. Hätte man vielleicht nur einmal mehr nachfragen müssen?

Geschäftsführer Henselmann erklärt, dass die Mitarbeiter im Internet mit der Recherche beginnen, hauptsächlich auf den offiziellen Seiten der Marken. Finden Sie dort keine oder ungenügende Informationen zur Unternehmenspolitik und den Produktionsstätten versenden sie eine E-Mail-Anfrage mit der Bitte, sich binnen vier Wochen zu melden. „Wenn die Unternehmen länger brauchen, um an die Auskünfte zu kommen, warten wir gerne. Hauptsache, sie reagieren“, so Bernhard Henselmann. Wer sich auf das Anschreiben allerdings gar nicht meldet, wird rot gekennzeichnet und fällt damit in den Filter. EarthLink interpretiert eine ausbleibende Rückmeldung als Desinteresse gegenüber dem Thema Kinderarbeit und damit als nicht wahrgenommene Verantwortung.

Henselmann sieht in dieser Arbeitsweise kein Problem. Sie zeige viel mehr ein weiteres Problem der Firmen: Wenn die Kontaktdaten im Internet nicht angegeben sind oder nicht an die richtige Stelle führen, ist das ein Mangel an Transparenz. „Sie haben auch die Verantwortung, ihren Kunden die Möglichkeit zu geben, sich zu informieren.“

Auch die Marke Bench hat zwei rote Punkte und wird aus den Shops herausgefiltert. Die Begründung laut EarthLink: „Das Unternehmen hat auf unsere Nachfrage an kundenservice@benchstore.de am 10.01.2012 noch nicht geantwortet.“ Julia Hanke, Pressesprecherin von Americana Germany, die Bench vertritt, erklärt das Ausbleiben der Antwort mit internen Umstrukturierungen. Der Kundenservice sei erst Ende letzten Jahres nach Deutschland geholt worden, und im Januar noch als reine Betreuung bei Fragen zur Bestellung im Onlineshop eingesetzt worden. Auf die große Zahl der Anschreiben und Fragen zur Unternehmenspolitik sei man damals noch nicht vorbereitet gewesen. Der bestehende Code of Conduct, in dem sich Bench auch gegen Kinderarbeit ausspricht, sei zwar knapp gehalten, aber er existiere.

Sehr oberflächlich und nicht ausdifferenzierte Kodizes sind nicht selten reine Imagemaßnahmen ohne große Wirkung. Bei EarthLink reicht das aber, um erst einmal um seine roten Punkte abzubauen. Im Zuge der Recherche für diesen Artikel wurde die Stellungnahme zum Code of Conduct von Bench an den Verein EarthLink weitergeleitet. Die roten Punkte in der Liste wurden daraufhin sofort geändert. In einigen Tagen wird die Marke auch durch das Plugin nicht mehr gesperrt werden.


Text: teresa-fries - Illustration: Katharina Bitzl

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