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Lernen mit Opa und Oma

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Zumindest jeder Student einer geisteswissenschaftlichen Disziplin kennt die Situation, einen Vorlesungsraum zu betreten, der nur mit Seniorenstudenten gefüllt ist, eine Situation, die ein Kommilitone einmal theatralisch-metaphorisch verarbeitet hat: „Ich – inmitten eines Meeres aus weißem Haar“. Oft genug gehen sie einem ein bisschen auf den Wecker, diese ewigen Pünktlich-Kommer, denen es auf rätselhafte Art gelingt, um zehn in aller Herrgottsfrühe sine tempore zu erscheinen und die immer einen Platz finden, diese Vorne-Sitzer, die das Mikrofon viermal pro Vorlesung mit ihren Hörgeräten rückkoppeln, diese „Zu leise“-Rufer, diese ewigen Fragesteller, diese Nachkriegszeitschilderer! Zwischen 100 und 200 Euro pro Semester bezahlt der Seniorenstudent derzeit je nach Anzahl seiner Wochenstunden an der LMU München. Für die Senioren gibt es ein spezielles Programm und weitaus nicht alle Veranstaltungen stehen für sie offen – was gerne ignoriert wird. Grauhaarige Schwarzhörer blockieren unter Umständen Plätze, die nicht für sie vorgesehen sind, so der Hauptvorwurf der Jungen. Es ist nicht auszuschließen, dass auch ein bisschen Neid auf die alten Kommilitonen mitschwingt. Sie sind meist viel sauberer vorbereitet als wir, bereiten Vorlesungen vor und nach, sie sprechen fließend altgriechisch, bei ihnen folgt nicht auf jeden Bücherkauf ein Spaghetti-mit-Ketchup-Monatsende, und sie sind souverän genug, sich unaufgeregt mit den größten Koryphäen zu unterhalten. Und eigentlich sind sie meistens nette Menschen, die sich für die gleichen Dinge interessieren wie wir. Trotzdem: Wir Jungstudenten kommen eigentlich sehr selten mit ihnen ins Gespräch. jetzt.de hat sich deswegen mal bei den Senioren umgehört – und zumindest alle Vorurteile hinsichtlich der Studienfachwahl bestätigt. *** Karin, 66

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute: Ich studiere Philosophie, Religionswissenschaft, ein bisschen Kunstgeschichte und etwas Alte Geschichte. Früher: Ich habe ganz andere Dinge gemacht. Ich komme aus Rumänien und durfte dort als Fabrikantentochter und somit Ausbeuter-Tochter nicht studieren. Dafür, dass ich das nun nachholen kann, bin ich der LMU sehr dankbar. Im Sozialismus gab es die Volkskirche der deutschen Minderheit, deshalb interessiere ich mich jetzt besonders für die anderen Religionen, um offen zu sein und andere Menschen zu verstehen. Was können wir von Ihnen lernen? Das weiß ich nicht, aber ich lerne von den jungen Leuten. Leider kommt man mit ihnen viel zu selten ins Gespräch. *** Peter, 71

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute: Theologie und Theaterwissenschaften sind dieses Jahr meine Schwerpunkte. Ich hole das nach, was ich die letzten 40 Jahre nicht machen konnte. Früher: Eigentlich wollte ich Journalist werden, dann habe ich in Geschichte promoviert. Später habe ich in einem Marktforschungsinstitut gearbeitet. Wie ist das Verhältnis der Seniorenstudenten zu den Jungen? Ich glaube, der Dialog zwischen den unterschiedlichen Lebenswelten ist wichtig. Leider ist es aber relativ schwierig, mit den Jungen in Kontakt zu kommen. *** Hans-Joachim, 76

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute: Ich studiere Geschichte, Kunstgeschichte und Etymologie. Früher: Ich habe BWL studiert und dann als Kaufmann gearbeitet. Was können wir von Seniorenstudenten lernen? Systematisches Arbeiten. Das ist für uns Ältere wichtig, weil das Gedächtnis nicht mehr so gut arbeitet. *** Primus, 58

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute: Ich bin jetzt ordentlicher Student der Religionswissenschaft, der Ethnologie und der Volkskunde. Zusätzlich besuche ich dieses Semester Veranstaltungen über den Buddhismus. Früher: Ich bin heute Rentner, davor habe ich in einem Hormonlabor als CTA gearbeitet. Ich habe Biologie und Chemie studiert, aber ohne Abschluss. Was nervt Sie an den Studenten? Eigentlich nervt mich gar nichts. Aber ich finde es schade, dass man öfters hört, dass die älteren Herrschaften den Jungen die Plätze wegnehmen würden. Das ist nicht ganz fair, denn wir Senioren bezahlen ja auch, dieses Semester schon 200 Euro. Aber ein bisschen verstehen kann ich sie schon, denn sie sind ja auf die Scheine und den Abschluss abgewiesen – wir studieren bloß zum Zeitvertreib. Wir könnten ja auch ins Kino gehen.


Günter, 67

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute: Ich studiere Philosophie, Geschichte und Religionswissenschaft. Früher: Ich habe BWL studiert und war 37 Jahre als Diplom-Kaufmann tätig. Was können wir von Ihnen lernen? Das systematische und wissenschaftliche Arbeiten und das Halten von Referaten. Ich glaube, dazu braucht man viel Erfahrung. *** Peter, 68

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute: Ich bin Student der Alten Geschichte. Früher: Ich bin Jurist und habe 37 Jahre als Präsident eines Sozialgerichtes gearbeitet. Wie ist das Verhältnis zu den jungen Studenten? Ich hätte gerne mehr Kontakt zu ihnen, aber das ist schwierig, weil ich nur Vorlesungen besuche. *** Gertraud, 85

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Studiert: Ich bin Studentin der Altphilologie. Früher: Ich habe früher schon in München Altphilologie studiert. Nach dem Examen habe ich aufgehört und bin Hausfrau und Mutter geworden. Was können wir uns von den Senioren abgucken? Das Lernen. Man soll nicht aufgeben und sich für alles Mögliche interessieren. Nicht nur für die eigenen Krankheiten. *** Annemarie, 59

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute: Ich bin ordentliche Studentin der katholischen Theologie. Früher: Ich habe unter anderem als Sozialpädagogin, Kartographin und Malerin gearbeitet. Was stört Sie an den Jungen? Nichts, ich habe keine Probleme. In meinem Hebraicum-Kurs waren nur junge Menschen, alle waren nett und angenehm. Sie haben es natürlich schwerer, ich brauche keinen Beruf mehr und muss nicht von meiner Ausbildung leben.

Text: dana-brueller - Fotos: Dana Brüller

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